Einsame Spitze

Unter den elf Millionen Singles in Deutschland sind immer mehr erfolgreiche Akademikerinnen auf der Suche nach ebenbürtigen Partnern. Doch der moderne Mann fürs Leben findet sich nicht so leicht. Was ist der Grund für das Dilemma der Super-Frauen?

Ähnlich wie die weltweite Finanzkatastrophe muss man die Krise rund um das Liebesleben erfolgreicher Frauen pragmatisch und rational betrachten, mit Schuldzuweisungen kommen wir da jetzt nicht weiter. Professor Karl Grammer, 58, springt auf und zieht ein DIN-A3-Schema aus seinem mit Ordnern und Papierstößen vollgestopften Regal im schmucklosen Sechzigerjahre-Bau des Ludwig Boltzmann Instituts für Stadtethologie der Universität Wien, und da liegt es nun auf dem dunklen Holztisch, das ganze Dilemma: Es zieht sich in Form einer sanft geschwungenen roten Kurve wie ein unfertiger Formel-1-Parcours über die Koordinaten.

Der schmächtige Professor beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren hauptberuflich mit dem Balzverhalten der Großstädter, er ist der Papst unter den Liebesforschern, er kann erklären, warum es funktioniert und warum nicht. Dass ihm der durchsichtige graue Haarflaum im Gegenlicht der Wiener Nachmittagssonne fast einen Heiligenschein verleiht, erscheint nur angemessen. »Sie müssen das als Markt sehen«, sagt er, während sein schmaler Zeigefinger auf den Anfang der roten Linie zusteuert. »Angebot und Nachfrage regeln diesen Markt, ganz pragmatisch.« Auf dem deutschen Markt sind: elf Millionen Singles, darunter immer mehr attraktive Superweiber über 35 mit Diplom und Verantwortung, Audi quattro und Ansprüchen. Die Zahl der berufstätigen Akademikerinnen ist seit 1991 um mehr als 70 Prozent gestiegen, Frauen haben die Männer bei der Bildung längst überholt. Das ist das Angebot, die rote Kurve.

Die Nachfrage nach Frauen über 35 dagegen sinkt in einer blauen, deprimierend geraden Linie nach unten. Männer heiraten im Durchschnitt mit 32 Jahren. Bis die Akademikerin ihren Doktortitel und die erste Bereichsleitung im Lebenslauf hat, sind die netten, verständnisvollen, bindungsfähigen und gut verdienenden Typen vom Markt, zumindest fürs Erste. Überhaupt haben die meisten Paare sich längst gefunden.

Meistgelesen diese Woche:

Übrig bleiben die beiden Bevölkerungsgruppen mit den wenigsten Chancen, einen Partner zu finden: männliche Hartz-IV-Empfänger – und berufstätige Akademikerinnen. Newsweek hat schon 1986 einer 40-jährigen Singlefrau eine größere Chance attestiert, bei einem Terroranschlag ums Leben zu kommen, als einen Mann zu finden. Auf dieser Milchmädchenrechnung gründet sich der Erfolg ganzer Reihen von Soap-Operas weltweit, Ally McBeal, Sex and the City und so weiter. Dabei war und ist die Sache mit dem Terroranschlag Quatsch, eine Falschmeldung. Grundsätzlich gibt es für jede einen. Nur: Es gibt nicht für jede Akademikerin einen adretten Akademiker.

Rein pragmatisch gesehen, liegt die Lösung auf der Hand. Wenn sich die Akademikerinnen mit den Hartz-IV-Empfängern verbinden könnten, wären beide Problemgruppen in einem Handstreich von der Straße weg, die Inflation der Einsamkeit mit einem Schlag auf null Prozent gedrückt, und auch ökonomisch wäre das eine sinnvolle Liebesbeschaffungsmaßnahme: Die Hartz-IV-Empfänger könnten auf die Kinder der Spätgebärenden aufpassen, während diese gleich wieder zur nächsten Vorstandssitzung eilen. Mindestens 18 Prozent der Superweiber müssen »nach unten« lieben, damit die Rechnung aufgeht, raten Psychologen und Buchautoren. Logisch: Je geringer die Ansprüche, desto höher die Wahrscheinlichkeit, einen zu finden.

Bezeichnenderweise kommt derart guter Rat fast immer von Männern, und zwar von mittelmäßig erfolgreichen. Das ist, wie einen der Chefs von Lehman Brothers um einen Ausweg aus der Finanzmisere zu bitten. Überhaupt: Warum sind es eigentlich nur die Frauen, die ihr Verhalten zugunsten sozial Benachteiligter ändern sollen? Drehen wir doch den Spieß mal um, und betrachten wir das Beuteschema des Mannes. Die Soziologin Renate Liebold hat sich den Spaß erlaubt, 58 erfolgreiche Manager nach ihrem Lebensmodell zu durchleuchten:

Fast alle haben jüngere Akademikerinnen geheiratet, diese wurden ausnahmslos Hausfrauen. Das gilt in der jüngsten Shell-Jugendstudie als die sogenannte 80:40-Katastrophe. 80 Prozent der Frauen wollen Job und Familie vereinbaren, aber nur 40 Prozent der Männer können sich eine Partnerschaft vorstellen, in der die Aufgaben gleichberechtigt verteilt sind. Der Soziologe Ulrich Beck nennt das »verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre«.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite das Ergebnis einer Studie: »Die Intelligenz der Frau spielt im Beuteschema des Mannes keine Rolle.«)

Die starren Männchen sind für die Liebesforschung keine große Herausforderung. Wenn Forscher das männliche Paarungsverhalten unter die Lupe nehmen, kommt auch in Großaufnahme immer das Gleiche heraus: Männer kreuzen im Fragebogen an, es komme ihnen bei einer Frau vor allem auf innere Werte und Charakter an. Und nehmen dann die Hübschesten. An der Universität von St. Andrews in Schottland legten zwei Psychologen Männern eine Reihe von Frauengesichtern vor und baten sie, die Gesichter am Computer so zu verändern, dass sie ihnen am besten gefielen.

Es gab zwei Möglichkeiten: Sie konnten die Gesichtszüge weiblicher oder männlicher machen. Siehe da, mithilfe der Maus zogen sie die Augen noch größer, malten die Lippen noch üppiger, die Kiefer schmaler, die Augenbrauen dezenter. Wenn Männer Gott spielen dürften, sähen wir Frauen aus wie Barbie. Warum? Weil volle Lippen, schmale Kiefer, glatte Haut und eine Sanduhr-Figur Signale für einen hohen Östrogen-Spiegel sind, Indizien für Fruchtbarkeit und damit für ein erfolgreiches Investment des Mannes.

Glücklicherweise hat Professor Grammer Zoologie und Anthropologie studiert, ehe er Humanethologe wurde, und deshalb kann er Erkenntnisse über das Balzverhalten von Schimpansen und Wüstenfeldmäusen nahtlos auf den Menschen übertragen: »Männer müssen grundsätzlich davon ausgehen, dass was laufen könnte, um ja keine Kopulation zu verpassen.« Sie sind genetisch darauf programmiert, das Überleben ihrer Gene zu sichern, indem sie möglichst viele gesunde Nachkommen zeugen. Das beginnt beim Alter: Eine Frau erreicht mit 25 den Höhepunkt ihrer Fruchtbarkeit. Es macht also Sinn, dass Männer junge Frauen bevorzugen. Anders ausgedrückt: Auch wenn einer Armani trägt, heißt das nicht, dass er kein Affe ist.

Wenn sich ein Mann und eine Frau kennenlernen, ist das eben kein magischer Moment, in dem das Universum die passende andere Hälfte ausspuckt, und es erklingen auch keine Geigen. In Wahrheit läuft innerhalb von Sekunden unbewusst ein über vier Millionen Jahre entwickeltes Check-Programm ab, das den Partner auf guten Genpool und starkes Immunsystem testet. Akademikerinnen und Hartz-IV-Empfänger dagegen sind eine Erfindung der letzten hundert Jahre.

Professor Grammer hat sechs Jahre lang das Balzverhalten von 12 000 Menschen im Großraum München durchleuchtet. Dabei hat er eine Reihe erschreckender Entdeckungen gemacht. Zum Beispiel: »Die Intelligenz der Frau spielt im Beuteschema des Mannes keine Rolle.« Lesen Sie sich diesen Satz ein zweites Mal durch, langsam, zum Mitdenken. Nun, sagt Grammer, und es scheint ihm selbst ein wenig peinlich, die Studie habe klar ergeben, dass Männer in erster Linie eine Frau suchen, die nett, verständnisvoll, gesund und attraktiv ist.

Zwar wünschen sich die meisten Frauen einen intelligenten Mann, aber umgekehrt kommt die Intelligenz der Frau auf der Wunschliste des Mannes erst an zehnter Stelle, nach den vollen Lippen, der glatten Haut und so weiter. Eine erfolgreiche Akademikerin kann also auf dem Beziehungsmarkt nicht mit den Dingen punkten, denen sie ihren Erfolg zu verdanken hat: Intelligenz, Durchsetzungsvermögen, hoher Status – alles nicht gefragt.

Deshalb wählt auch heute noch die Hälfte aller deutschen Akademiker eine unstudierte, jüngere Frau. Da nun 56 Prozent aller Uniabsolventen weiblich sind, lässt sich leicht ausrechnen: Wenn die Hälfte der schlauen Männer eine junge Doofe heiratet, bleiben für mehr als die Hälfte der schlauen Frauen nur doofe Männer übrig.

Aber warum ist Frauen Intelligenz so wichtig? Weil sich ein Mann theoretisch nach ein paar Minuten Anstrengung und einem Teelöffel Spermien aus dem Staub machen kann. Eine Frau muss damit rechnen, für ein paar Minuten Sex in einer Besenkammer mit neun Monaten Schwangerschaft und 18 Jahren Nachwuchsversorgung zu bezahlen. Deshalb haben Frauen und Männer unterschiedliche Beuteschemata: »Frauen fahren zweigleisig«, sagt Grammer. »Sie gehen mit dem Alpha-Typen ins Bett, weil der das optimale Erbmaterial garantiert. Aber auf Dauer wollen Frauen die fürsorglichen Typen, die Verlässlichkeit und Langfristigkeit bei der Aufzucht der Kinder gewährleisten.«

Auch wenn eine Frau eine Affäre mit dem knackigen Klempner riskiert, für die Ehe sucht sie den Versorger und Beschützer. Deshalb wollen Frauen immer noch tendenziell einen hochgewachsenen Mann und einen mit höherem Status, obwohl sie das logischerweise eigentlich gar nicht mehr bräuchten. Trotz Pille und Papageld, der Instinkt der Frauen riecht Versorger, nicht Versager. Außerdem, sagt Grammer, »suchen Frauen komischerweise umso weniger, je höher ihr Einkommen liegt«. Das hat ihn selbst überrascht, denn rein logisch betrachtet müsste es andersrum sein.


(Lesen Sie auf der nächsten Seite über Professor Grammer Überzeugung: »Wenn eine weitersucht, dann findet sie auch einen
«.

Die Wahrscheinlichkeit, einen Partner zu finden, ist bei Frauen umso höher, je jünger sie sind, und bei Männern umso größer, je mehr sie verdienen. Eigentlich müssten also erfolgreiche Frauen über vierzig umso aktiver werben, denn »von unten kommt ja immer neue Konkurrenz nach«. Aber Grammers Langzeitstudie hat gezeigt: »Wenn eine Frau zehn Männer getestet hat, ist Schluss. Dann hört sie auf zu suchen, und dann findet sie keinen mehr.«

Frauen suchen nicht? Ich könnte dem Professor nun von Moni erzählen, 44, Marketingleiterin bei General Electric, die ungelogen jede Skipiste zwischen Aspen und den Alpen, jedes Golfturnier und Luxushotel zwischen München und den Malediven nach verwertbarem Männermaterial abgrast, aber dann doch wieder nur den einen oder anderen Verheirateten für ein, zwei Nächte mitnimmt. Sie hat garantiert schon mehr als zehn getestet.

Oder von Patrizia, 42, einer hyperaktiven, erfolgreichen Immobilienmaklerin, die eine Million im Jahr verdient und das Geld Abend für Abend in Bars, Kinos, Restaurants, in Skiurlaube, Fitnessstudios und Tanzkurse investiert, damit als Dividende irgendwann mal ein Partner rausspringt. Professor Grammer aber bleibt eisern: »Wenn eine weitersucht, dann findet sie auch einen. Nur eben vielleicht nicht den, den sie sich gewünscht hat.« Damit sind wir wieder bei den Hartz-IV-Empfängern, aber auch bei der Frage, warum das in anderen Ländern so anders ist.

Dass die Rechtsanwältin den Klempner heiratet, kann nur gut gehen, wenn der erstens nett und fürsorglich und zweitens selbstbewusst genug ist, den Spott über den Bildungsunterschied auszuhalten. Für den Rollentausch braucht es zwei charakterstarke Partner; oder: ein anderes Land. In Amerika beispielsweise wird mehr über Bildungsgrenzen hinweg geheiratet als bei uns. In der DDR waren die Statusunterschiede ohnehin weniger ein Problem, weil sich auch der Fabrikdirektor bloß einen Trabbi leisten konnte.

Kronprinzessin Victoria von Schweden kann unter dem Beifall ihrer künftigen Untertanen ihren Fitnesstrainer heiraten. Und selbst in Frankreich, das uns Deutschen demografisch und soziologisch eigentlich am nächsten steht, heiratet jeder vierte Mann eine Frau, die besser gebildet ist als er. In Deutschland jeder zehnte.

Nur die archaischen deutschen Männer beharren irgendwie darauf, es seien gefälligst die Frauen, die sich ändern und ihre Ansprüche weiter zurückschrauben müssten. Als die geschiedene Dresdner Bürgermeisterin Helma Orosz, 55, letztes Jahr klagte, es gebe »Tausende von Frauen, die ihren Männern in gehobeneren Positionen den Rücken stärken, leider aber nur wenige Männer, die Gleiches tun«, sprach sie schlicht eine Binsenweisheit aus, wurde aber mit Häme und Spott überschüttet. Sie könne ja, sagte der Münchner Psychotherapeut und Buchautor Stefan Woinoff, eine Suchanzeige in einer polnischen Zeitung aufgeben. Irgendein arbeitsloser Pole werde sich schon finden.

Es sind eher Schauspielerinnen und Entertainerinnen, die bei der Partnerwahl auf Konventionen pfeifen dürfen, wie Nena und ihr zwölf Jahre jüngerer Schlagzeuger oder Iris Berben und ihr zehn Jahre jüngerer Stuntman, aber auch die werden dafür durch die Klatschpresse geschleift. Wenn tatsächlich mal eine erfolgreiche Politikerin gegen die Norm verstoßen würde, wenn also, sagen wir, Angela Merkel es ihrem französischen Kollegen gleichtäte und statt mit ihrem biederen Chemiker Joachim beim nächsten Staatsempfang mit einem zwölf Jahre jüngeren, singenden Ex-Model turteln würde, könnten wir ihr den unmittelbaren Ruin ihrer politischen Karriere ganz ohne Allensbach-Institut vorhersagen.

Die gute Nachricht ist: Der Mann ist ein Auslaufmodell, seine Tage sind gezählt. »Eigentlich«, sagt Grammer, »sind Männer überflüssig. Auch für die moderne Reproduktion brauchen Sie keine Männer mehr.« Frauen sind besser in der Schule, arbeiten härter im Job, halten Schmerz besser aus als männliche Weicheier, da macht es nur Sinn, dass sie auch die Paarprobleme ganz allein lösen. Grammer guckt dabei kein bisschen traurig ob seines drohenden Schicksals. Denn er weiß, dass es bis dahin noch einige Jahrtausende dauern wird. Wir werden die Männer noch einige Zeit behalten, auch wenn es hart wird. Wie gesagt, wir müssen das pragmatisch sehen.

(Foto: afp)