G wie Google

Google verändert die Zeitungen mehr, als Redakteure und Verleger wahrhaben wollen. Ein Gespräch mit dem Medienprofessor Jeff Jarvis.

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DAS INTERVIEW: SZ-Magazin: Was bedeutet Google für den Journalismus?
Jeff Jarvis: Nicht nur Google, das ganze Internet verändert den Journalismus. Druckerpressen zu besitzen ist heute ein Nachteil, weil es viel Geld kostet, Zeitungen zu drucken. In der neuen, digitalen Welt lassen sich Nachrichten billiger verbreiten und auch permanent korrigieren und aktualisieren. Sie können auf verschiedene Art präsentiert werden – als Video, Text oder als Audiodatei. Die Zukunft liegt zweifellos jenseits der Druckerpresse.

Aber in der Gegenwart machen die deutschen Verlage den meisten Umsatz immer noch mit ihren Zeitungen und nicht mit ihren Onlineportalen. Der deutsche Markt ist wohl nicht so einfach mit dem amerikanischen zu vergleichen. Dennoch sollten die Blätter, die in den USA gerade reihenweise sterben, Warnung genug sein für die deutschen Verleger. Ich gehe sogar so weit zu sagen: Jedes Zeitungshaus sollte sich einen Termin setzen, zu dem es seine Druckerpressen abstellt. Nicht weil ich gegen Printprodukte wäre, sondern weil es die Verantwortlichen zum Nachdenken zwingt: Worin besteht der eigentliche Mehrwert der Arbeit von Journalisten? Wie lässt sich dieser Mehrwert auf das Internet übertragen? Welche Leute brauche ich für diese Arbeit? Wie finde ich Anzeigenkunden, die den nötigen Umsatz generieren? Alles Fragen, die sehr schwer zu beantworten sind. Deshalb sollten die deutschen Zeitungen nicht so lange warten, bis sie sich in einer ähnlich verzweifelten Lage wiederfinden wie etwa das Traditionsblatt Boston Globe. Dann ist es nämlich zu spät.

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Sollten Medienhäuser nicht umgekehrt alles versuchen, um ihre Blätter am Leben zu erhalten, schon allein wegen ihrer Bedeutung für die Demokratie? Nicht die Zeitungen sind wichtig für die Demokratie, der Journalismus ist es. Leider wollen das einige Leute nicht zur Kenntnis nehmen und nur ihre Besitzstände verteidigen. Das sieht man auch an den Versuchen, die Leser im Internet zur Kasse zu bitten. Altes Denken: einen Artikel zu veröffentlichen und dann Geld zu verlangen, wie schon bei der gedruckten Zeitung. Diese Rechnung wird aber im Internet nicht aufgehen.

Welche dann? Mehrere Faktoren spielen eine Rolle, zum Beispiel Effizienz: Die meisten Zeitungen produzieren Tag für Tag ein vollwertiges Nachrichtenangebot. Im Internet ist das nicht mehr nötig, weil der Rest der Welt nur einen Link entfernt ist. Eine Regionalzeitung braucht im Internet keinen eigenen Kinokritiker mehr. Wozu Filme rezensieren, die im Internet und auch in den großen Zeitungen schon dutzendfach besprochen wurden? Im Internet gilt die Maxime: Tu nur das, was du am besten kannst. Für alles Übrige gibt es Links.

Damit geht aber Vielfalt verloren. Nun ja. Hier in den USA verfolgen etwa 15 000 Journalisten das politische Geschehen. Wenn wir nur noch die Hälfte hätten, wären es immer noch zu viele. Außerdem kommen im Internet viele neue Stimmen und Perspektiven hinzu, die bisher kaum an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Das Internet fördert also eine gewisse Kakophonie und damit auch die Demokratie.

Wirtschaftlich hat sich das von Ihnen propagierte Geschäftsmodell, Links statt Inhalten, bisher nur für Google ausgezahlt. Insbesondere die Seite Google News besteht nur aus Links zu Zeitungs- und Magazinbeiträgen. Google liefert also keinerlei originäre Inhalte, schöpft aber trotzdem das Gros der Werbeeinnahmen im Internet ab. Typisches Argument, das vor allem die Europäer gern wiederkäuen: Google klaut unsere Inhalte. Das Gegenteil ist wahr! Google News lenkt Leser zu den Seiten der Nachrichtenanbieter. Damit erhöht Google, wie auch jeder Blogger, den Wert dieser Seiten. Es ist an den Verlagen, aus dem Publikumsverkehr endlich Kapital zu schlagen.

Sie wollen sagen: Google News erfüllt online eine ähnliche Funktion wie offline der Zeitungskiosk? So ist es. Und Google leistet noch viel mehr: Aus Untersuchungen wissen wir, dass in Amerika nur etwa 20 Prozent der Leser die Startseite einer Zeitung aufsuchen. Die Mehrheit gelangt über Links oder Suchabfragen, also vor allem über Google, zu einzelnen Artikeln der Zeitung. Ein weiterer Aspekt sind die sogenannten Google Ads, Anzeigen, die Google vermittelt. Selbst auf der Seite der renommierten New York Times finden sich Google Ads.

Vorerst bricht den Verlagen allerdings das Stammgeschäft weg, und der Umsatz im Internet vermag diese Verluste nicht annähernd wettzumachen. Der Fehler liegt im alten Denken: Zeitungen müssen im Internet nicht mehr sämtliche Inhalte selbst produzieren. Im Netz tummeln sich genügend Experten, deren Know-how und Inhalte die Zeitungen für ihre Seiten nutzen sollten. Das sind alles Leute, die eine Zeitung nicht anstellen, sondern einfach nur finden und koordinieren muss.

Wenn Zeitungen ihre Arbeit auslagern, verlieren sie dann nicht einen wesentlichen Teil ihres Kapitals? Etwa das Vertrauen der Leser, dass die Redaktion bestimmte, auch ethische Standards einhält und nicht nur irgendwelche Partikularinteressen verfolgt. Ich habe meine Zweifel, ob sich Redakteure per se ethischer verhalten als andere Menschen. Zudem behalten die Zeitungen auch im Internet die Kontrolle, indem sie sich ihre Experten und Mitarbeiter genau aussuchen. Wie auch die Seiten, zu denen sie verlinken. Die Zeitungen werden gar nicht umhinkönnen, einen Teil ihrer Arbeit auszulagern, weil die Redaktionen im selben Maß schrumpfen wie die Umsätze der Verleger. Trotzdem behaupte ich, dass dieses Nischengeschäft sehr profitabel sein kann. Wenn die Zeitungen die Gelegenheit nicht nutzen, werden andere es tun.

Sie meinten anfangs, es sei ein Vorteil, wenn Nachrichten permanent korrigiert und aktualisiert würden. Wollen Leser das tatsächlich: zehn Versionen ein und derselben Nachricht? Das hängt sicher vom einzelnen Leser ab. Aus Radio und Fernsehen sind die Menschen ja schon gewohnt, dass sich Nachrichten im Laufe des Tages mehrmals ändern können. Jede Zeitung ist gespickt mit Fehlern. Was spricht dagegen, diese Fehler künftig umgehend zu korrigieren? Davon profitiert doch der Journalismus.

Profitiert der Journalismus auch davon, dass künftig vielleicht die
Suchmaschine Google nach einem weitgehend unbekannten Algorithmus bestimmt, was die Menschen lesen?
Der Ruf von Google gründet darauf, die besten, relevantesten Links zu finden. Dabei ist das Unternehmen sicher weit weniger geheimnistuerisch, als es die Zeitungen sind. Welcher Journalist legt schon all seine Notizen offen und nennt, mit wem er gesprochen hat und mit wem nicht? Ich finde, Journalisten sollten sich viel mehr öffnen.

Besonders viel scheinen Sie nicht zu halten von Ihrer eigenen Branche. Ach was. Ich glaube durchaus, dass die Inhalte einer Zeitung einen Wert an sich darstellen. Gleiches gilt für die Fähigkeit von Journalisten, Nachrichten zu produzieren und den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Aber in der Vergangenheit wurde ein wesentliches Potenzial der Zeitung sträflich vernachlässigt: die Leser. Die Leser einer Zeitung wissen viel mehr als die Journalisten, die diese Zeitung herstellen. Genau darin sehe ich die große Chance für die Zukunft: dass Journalisten – mithilfe von Unternehmen wie Google – dieses Potenzial nutzen können, um bessere Geschichten zu schreiben.

Jeff Jarvis, 54, ist Medienwissenschaftler in New York und Autor des Buches »Was würde Google tun?« Er bloggt unter www.buzzmachine.com.

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Illustration: Christoph Niemann