Fleisch

Unser Autor fragt sich, warum sich sein einst so gutes Verhältnis zu Fleisch langsam immer mehr in eine Problembeziehung verwandelt.

Ich dachte immer, ich mag keine Vegetarier, bis ich merkte, dass ich selbst langsam einer wurde. Ich esse zwar noch Fleisch, aber irgendwie unter Protest. Manchmal auch mit einem gewissen Abschiedsschmerz. Als ob ich wüsste, dass ich eines Tages einfach aufwachen werde und kein Fleisch mehr essen kann. Was ist da aber passiert? Wann hat das angefangen, dass selbst moralisch normal verwahrloste Menschen wie ich darüber nachdenken, ob es nicht der erste Schritt zu einer besseren, wahreren Existenz wäre, die Hühnerbrust für zwei Euro neunundneunzig (»Dauer-Tiefpreis!«) nicht zu kaufen?

Ausgerechnet Huhn, das ich als Kind der Siebzigerjahre immer noch unter »weißes Fleisch, gutes Fleisch« abgespeichert habe. Mir wurde damals auch viel vom Östrogen erzählt, das in den Schweinen war, und vom Rindfleisch, das den Regenwald vernichten hilft. Ich kann nicht sagen, dass mir das egal gewesen wäre, aber ich habe daraus keine Konsequenzen gezogen. Das Wissen war sicher dort verstaut, wo es hingehört, im Unterbewusstsein, so hätte das Herr Freud gesagt, ein berühmter Vegetarier übrigens. Ich kann also, natürlich, nicht sagen, ich hätte nichts gewusst. Umso mehr fasziniert es mich, wie ich merke, dass ich da in etwas hineinrutsche, ohne dass ich es wirklich will. Verändere ich mich? Oder verändert sich die Umgebung, also die Gesellschaft, die sich lange genug selbst erzählt hat, dass man mit einem Kasten Bier von Krombacher oder einem Kaffee von Starbucks die Welt ein wenig retten kann, so lange, bis sie es selbst glaubte. Bin ich also ein ethischer Opportunist? Oder habe ich einfach den Ekel in mir entdeckt?

Besonders smarte Freunde von mir haben auch schon Jonathan Safran Foers Buch Eating Animals auf Englisch gelesen, das auf Deutsch erst im August erscheint. Sie tun so, als liege es vor allem an diesem Buch, dass die westlichen Wohlstandsmenschen zum Vegetariertum tendieren. Dabei ist dieses Buch natürlich vor allem Symptom und nicht Ursache. Und auch die Information, dass angeblich zwanzig Prozent der amerikanischen Studenten Vegetarier sind, kann mir nicht erklären, warum ich ein leichtes, bislang eher psychologisches Würgen bekomme, wenn ich Fleisch rieche, zurzeit vor allem in der gegrillten Form.

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Werde ich also enden wie Mike Tyson, der immerhin schon mal einem anderen Boxer auf sehr unvegetarische Art ein Stück Ohr abgebissen hat? Er ist heute Veganer, isst also gar keine tierischen Produkte mehr. Und hat davon tiefe Falten im Gesicht, aber vor sich ein langes Leben.