Das verstehe ich nicht

Braun ist das neue Weiß - die aktuellen Oberklassemodelle der Autohersteller beweisen es. Warum ist das so?

Es ist ja nicht oft so, dass in den Garagen rund um den Tegernsee oder im Taunus irgendwas Aufregendes passiert, aber diesen Sommer ist es fast schon unheimlich. Hinter gefühlt jedem zweiten Rolltor steht ein braunes Auto, gelegentlich sogar zwei. Links sein Volvo XC60 in Terra Bronze, rechts ihr Mini Countryman in Hot Chocolate. Oder der Touareg in Graciosa-Braun mit Olivesche-Türverkleidung. Oder die S-Klasse in Cupritbraun. Oder ein 911er in Macadamia.
Welchen Fantasienamen sich auch immer die Farbdesigner ausgedacht haben: Wir reden hier immer von demselben satten Braun einer auf den Schenkeln blutjunger Kubanerinnen gerollten Cohiba oder einer 100-Gramm-Tafel Valrhona Jivara mit 40 Prozent Kakaoanteil oder eines Grande Mocha Frappuccino mit einem Double Espresso Shot to go. Mit anderen Worten: Kackbraun, wie wir das in den späten Siebzigern nannten.
Wie konnte das passieren? Wieso tauchen derzeit alle Autohersteller ihre Spitzenmodelle in Farben, die wahlweise an dänische Schrankwände (Audi A5 Cabrio in Teak) oder Kifferhochburgen der Siebziger erinnern (BMW X1 in Marrakeschbraun)? Ist die Retrowelle, die sich bislang vornehmlich an Lederjacken und Sitzmöbeln von Werbefiguren wie dem nervigen Ergo-Boy ausgetobt hat (»Versicherungen! Könnt ihr nicht aufhören, mich zu verunsichern …«), im Luxussegment angekommen? Oder entwickelt sich die Coffee-to-go-Kultur evolutionär konsequent zur Coffee-to-drive-Kultur? Oder ist es, wie der Autolack-Monopolist BASF Coatings behauptet, »die gewachsene Bedeutung von Umweltthemen«, die Besserverdienende dazu nötigt, zwar immer noch Karren mit obszönem CO2-Ausstoß zu fahren, aber zumindest in einer kuscheligen Farbe, die Mutter Erde echt hübsch finden wird?

Sicher ist, dass Braun das neue Weiß ist. So wie Weiß das neue Silber war. Und Silber das neue Schwarz. Und Schwarz das neue Dunkelblau. Und … ach, ist auch egal. Von Farbpsychologen darf man sich allerdings nicht allzu viel Aufklärung über das Phänomen erhoffen. Für die einen ist Braun »eine Hinwendung zu Tradition und Werten, zu Familie und Freunden«, für die anderen stehen »die Farben der Siebziger- und Achtzigerjahre für eine optimistische Gesellschaft, die nach vorne gedacht hat« – Wissenschaft halt.
Noch ist Braun die Farbe derjenigen, die sich noch nie um den Wiederverkaufswert eines Autos haben scheren müssen. Alle anderen zögern noch. Zu Recht, denn will man wirklich ein Auto fahren, das wie ein Praliné aussieht?