Die Gewissensfrage

Darf man sich eine Munitionskiste als Deko-Objekt ins Wohnzimmer stellen, auch wenn darin einst tödliche Waffen transportiert wurden?

»Ich habe auf einem Flohmarkt eine Munitionskiste aus dem Zweiten Weltkrieg gekauft. Es sind keinerlei Abzeichen darauf, auf den ersten Blick ist es einfach nur eine schöne, alte Holzkiste - die aber früher einmal Granaten oder anderes Kriegsgerät der Wehrmacht enthielt. Mich interessiert nur der Gebrauchsgegenstand: die Form, das Material - nicht aber der politische Hintergrund. Ich finde die Kiste schön und habe dennoch Probleme, sie als Einrichtungsgegenstand zu nutzen. Kann mein ästhetisches Empfinden moralische Grenzen verletzen?« Mark L., Hanau

Böse Dinge hieß eine Ausstellung des Museums der Dinge in Berlin, die ab diesem Wochenende im Gewerbemuseum Winterthur zu sehen ist. Und, um es kurz zu machen, Ihre Kiste würde dort gut hinpassen. Natürlich gibt es streng genommen keine bösen Dinge, weil »gut« und »böse« menschliche Kategorien sind. In ihnen kann sich immer nur das Verhalten des Produzenten oder Designers oder - wie in Ihrem Fall - Verwenders widerspiegeln. Dennoch scheint mir der Ausdruck Böse Dinge sinnvoll, weil er so griffig ist. Warum nun fällt Ihre Kiste unter diese Rubrik? Der Kunsthistoriker Gustav E. Pazaurek widmete 1912 in seinem Standardwerk Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe der »geänderten Zweckbestimmung« ein eigenes Kapitel und empörte sich darin besonders auch über die Weiterverwendung von ausgedienten Waffen zu allen möglichen Zwecken.

Darunter fällt sicherlich auch die Idee, sich ohne Not aus ästhetischen Gründen mit einer Munitionskiste einzurichten. Darüber - schließlich geht es um Geschmack - ließe sich noch streiten, hier aber kommt etwas hinzu, was wir heute kritischer sehen als die Menschen vor hundert Jahren: die Tatsache, dass die Kiste dazu diente, weniger den Tod - der ja moralisch neutral ist - als vielmehr das Töten zu transportieren. Man könnte hier auch noch über die Frage diskutieren, ob es einen gerechten Krieg gibt, und dass das Militär schließlich auch der Verteidigung dient. Das aber scheint mir alles in den Hintergrund zu treten, wenn man Mittel, die dezidiert dem Töten dienen, wie eben Munition und deren Behältnisse, aus dem Bereich, in dem sie gegebenenfalls unvermeidbar sein mögen, in das Privatleben überträgt.

Nun kennt man Übertragungen im Bereich der Kunst als Mittel der künstlerischen Auseinandersetzung mit einem Thema. Die haben Sie hier allerdings gerade nicht vor, sie wollen sich vielmehr mit einem einfachen Schön-Finden von der Geschichte der Kiste distanzieren. Das aber gelingt meines Erachtens nicht; im Gegenteil, die Verbindung mit der Ästhetik lässt den ursprünglichen Zweck, das Töten, im Kontrast noch deutlicher hervortreten und macht die Kiste damit endgültig zum »bösen Ding«.

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Rainer Erlinger empfiehlt zu diesem Thema folgende Literatur:

Die Ausstellung „Böse Dinge“ ist von 16. Januar bis 31. Juli 2011 im Gewerbemuseum Winterthur, Kirchplatz 14, CH-8400 Winterthur zu sehen.

Webseite der Berliner Ausstellung "Böse Dinge – eine Enzyklopädie des Ungeschmacks"

Gustav E. Pazaurek: Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart und Berlin 1912.

Gustav E. Pazaurek: Geschmacksverirrungen im Kunstgewerbe – Führer dieser Ausstellung im Landesgewerbemuseum Stuttgart, 3. Auflage Stuttgart 1919. Hier online abrufbar.

Böse Dinge – Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks, Kurzführer durch die Ausstellung, herausgegeben vom Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin 2010

Rainer Erlinger: Gute Form. Böse Form. In: Süddeutsche Zeitung Magazin Heft 16/2009 Hier online abrufbar

Zur Frage des gerechten Krieges:
Wolfgang Huber: Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg? – Aktuelle Entwicklungen in der evangelischen Friedensethik (1) (April 2004) Hier online abrufbar.

Illustration: Marc Herold