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Was tun, wenn einem als Mann mit dem Alter nicht nur ein Bierbauch, sondern auch Brüste wachsen?

Eines Tages, als er gerade Anfang vierzig war, sah der Mann, dass er einen Busen hatte. Auf einem Foto, das ihn am Strand zeigte. Der Mann war es gewöhnt, Urlaubsfotos danach abzuscannen, wie sehr man seinen Bauch sah. Dies hier aber war neu: zwei halbovale Schatten oberhalb der Bauchfalte.

Seitdem weiß der Mann, dass er bei ungünstiger Beleuchtung (also jeder Art von Tages- oder Kunstlicht) einen Busen hat. Nicht groß, aber: Da entwickelt sich was. Der amerikanische Komiker Louis C. K. sagt, dass zwölfjährige Mädchen und Männer um die vierzig nur eine einzige Sache gemeinsam haben - sie fangen an, ihren Busen zu entdecken. Der Mann steht also abends vorm Spiegel und staunt ein bisschen. Was soll das? Warum, nach den Haaren aus den Ohren, dieser weitere absurde Scherz seines Körpers? Als wollte der sagen: Guck mal, du wirst älter, aber es kann auch ganz witzig sein. Also nicht im Sinne von »geistreich« witzig, mehr so im Sinne von Karnevalskostüm und Bürostreich. Ja, liest der Mann, der Männer-Busen ist offenbar eine ganz normale Alterserscheinung, begünstigt durch sein Übergewicht, das er albernerweise »leicht« zu nennen sich angewöhnt hat. Er sieht, dass er nicht der Einzige ist, aber es ist jetzt auch nicht gerade Gesprächsthema in seinem Freundeskreis: »Und, hast du nach dem Urlaub auch immer so weiße Ringe unter den Brüsten?«

Der Mann erinnert sich an Steve Martin, der im Film L.A. Story sagt: »Wenn ich eine Frau wäre, würde ich den ganzen Tag mit meinen Brüsten spielen.« Nein, das ist keine tagfüllende Tätigkeit. Er könnte »Shapewear« tragen, Unterwäsche, die den Körper formt. Das Angebot für Männer ist nicht viel kleiner als das für Frauen. Ein »Cotton Compression Tank«-Unterhemd der Marke Spanx kostet 64 Euro. Das könnte er sich ja mal vom Munde absparen. Aber nein, so weit kommt es noch, dass er sich von ungünstigen Rundungen seine Unterbekleidung oder seinen Ernährungsstil diktieren lässt! Stattdessen beginnt der Mann, im Kraftraum seines Sportvereins die Brustmuskelübungen schmerzhaft auszudehnen. Dies führt aber dazu, dass sein Busen durch die wachsende Muskelschicht immer weiter nach außen gedrückt wird. Das heißt, der Busen wächst,  statt von den Übungen aufgezehrt zu werden. Der Körper möchte sich offenbar um keinen Preis davon trennen. Der Busen scheint wichtig zu sein, er muss etwas bedeuten. Der Mann liest, dass es in langjährigen Partnerschaften während des Alterungsprozesses zu einer »Androgynisierung« kommt: Frauen werden mehr wie Männer, Männer mehr wie Frauen. Studien belegen, dass androgyne Menschen im Alter als attraktiver empfunden werden. Dies könnte den Mann trösten, aber zwischen ihm und »im Alter« liegen noch gut und gern zweieinhalb bis drei Jahrzehnte, die es mit Busen zu überbrücken gilt. Forscher sagen, dass eine »androgyne Rollenorientierung« das Älterwerden erleichtert. Es reicht also nicht, dass einem Brüste wachsen, man muss auch fähig sein, die alten Männer-Frauen-Klischees hinter sich zu lassen. Vielleicht sind die Brüste eine Art Mahnmal dafür.

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Und eine OP? Ab zwölfhundert Euro. Absurde Vorstellung. Nein, es hilft alles nichts: Der Mann wird seinen Busen mit Würde tragen, als Zeichen dafür, dass er die Hälfte seiner Wegstrecke mehr oder weniger anständig zurückgelegt und immer den Teller leer gegessen hat. Und dass er akzeptiert hat, dass am Ende alles eins ist.

Illustrationen: Pascal Cloëtta