»Sinatra war ein irrwitziger Könner«

Für den Herbst ist ein neues Album von Roger Cicero mit Sinatra-Songs angekündigt, doch schon jetzt bringt er ohne viel Tamtam eine charmante Jazzplatte heraus. Im Interview erklärt Cicero, wie das zusammengeht und warum Sinatra immer noch der Maßstab für jeden Jazzsänger ist.

Manchmal ist kleiner auch feiner: Roger Cicero mit seinen Musikern Matthias Meusel (Schlagzeug), Maik Schott (Klavier) und Hervé Jeanne (Bass)

Foto: Alexander Heil

Herr Cicero, ich möchte mit Ihnen über das Album The Roger Cicero Jazz Experience sprechen, habe aber mit Verwunderung gesehen, dass in kaum zwei Monaten schon ihr nächstes Album erscheint – Cicero sings Sinatra. Wie kommt es zu dieser Zusammenballung von Ereignissen?
Das Jazzalbum war so eigentlich nicht geplant – wir haben das Programm erstmal nur live gespielt. Irgendwann haben wir es aber doch aufgenommen und festgestellt, dass es ziemlich schwierig ist, den richtigen Termin für die Veröffentlichung zu finden. Bei dem langen Vorlauf, den die meisten Veröffentlichungen heute haben, wäre wahrscheinlich nie Platz dafür gewesen! Darum machen wir das jetzt als sogenanntes Soft Release und bringen es einfach raus. Das Sinatra-Album kommt Ende November, und ich finde, dass sich die beiden Alben in keinster Weise im Weg stehen.

Bekannt geworden sind Sie mit Ihrer Bigband, auf dem Jazzalbum werden Sie nur von Schlagzeug, Bass und Klavier begleitet. Was ist für Sie der Reiz an dieser kleinen Besetzung?
Dass ich da viel mehr Platz zum Improvisieren habe. Ich kann als Sänger ganz anders agieren. Aber natürlich ist es auch fantastisch, sich von einer Bigband begleiten zu lassen.

Sie haben mehr Platz, aber Sie müssen bei einer so einer kleinen Besetzung als Sänger auch mehr tragen.
Ja, aber ich empfinde das nicht als Bürde. Ich genieße den Platz.

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Die Songauswahl auf Ihrem Album scheint mir sehr persönlich zu sein. Wie kamen Sie zum Beispiel darauf, einen Song von Nick Drake zu covern?
»From The Morning« stammt vom Album Pink Moon, das sehr ursprünglich ist – im wesentlichen hört man nur Drake und seine Gitarre, die er auf ziemlich außergewöhnliche Weise spielt. Der Titel hat mich von Anfang an sehr berührt, ich höre darin eine große Sehnsucht.

Und wie kamen Sie auf den Beatles-Song »The Long And Winding Road«?
Von den Beatles gibt es ja nun sehr viele tolle Songs, aber für mich war sofort klar, dass es »The Long And Winding Road« sein muss. Vielleicht weil der Song so pur ist. Die Melodie ist so stark, dass es mich sehr gereizt hat, den Song für unsere kleine Besetzung zu adaptieren.

Neben mehreren Popsongs sind aber auch ein paar Jazzklassiker auf dem Album, zum Beispiel »Moody's Mood«.
Den habe ich mir als junger Jazzsänger im Schweiße meines Angesichts draufgeschafft und liebe ihn bis heute. Ich wollte kein Album machen, auf dem ich das Great American Songbook nochmal neu interpretieren, aber es war mir wichtig, dass ein paar ältere Titel dabei sind. Ich bin ein Verfechter der Traditon.

Monty Alexander hat mir mal erzählt, wie wichtig es für ihn war, von älteren Musikern zu lernen. Er schwärmte davon, was für einmalige Persönlichkeiten Leute wie Ray Brown oder Dizzy Gillespie waren.
Bei mir fing das ja so an. Ich habe erst die ganzen Legenden kennengelernt und mich dann entschlossen, Musiker zu werden. Durch meinen Vater bin ich mit sehr vielen tollen Musikern in Kontakt gekommen, zum Beispiel Paul Kuhn oder Caterina Valente, und diese Menschen haben immer einen großen Reiz auf mich ausgeübt. Oft hat mich schon ihr Charisma in den Bann geschlagen. Später habe ich mal mit meiner Soulband im Vorprogramm von George Benson gespielt. Bei unserem Soundcheck tauchte der plötzlich auf der Bühne auf und hat Anekdoten aus seinem Leben erzählt - das war toll.

Ich frage mich, ob solche Persönlichkeiten heute noch nachwachsen.
Das weiß ich nicht, sicher ist aber: Um in der Musik Erfolg zu haben, braucht man auch heute noch sehr viel Persönlichkeit. Das gilt im Prinzip für jeden Stil, für den Jazz aber noch ein bisschen mehr.

Kaum jemand hatte eine größere Persönlichkeit als Frank Sinatra. Was zeichnete ihn aus als Sänger, wie würden Sie seine Magie beschreiben?
Er war ein unglaublicher, geradezu irrwitziger Könner. Seine Gesangstechnik war extrem ausgefeilt, er brachte sie aber stets so beiläufig an, dass es fast nicht aufgefallen ist. Natürlich wissen die Leute, dass Sinatra ein guter Sänger war, aber das ganze Ausmaß seiner Könnerschaft kann man vielleicht nur verstehen, wenn man selbst diese Songs zu singen versuscht. Er intoniert einfach immer völlig perfekt, als ob es ganz selbstverständlich wäre. Aber es ist nicht selbstverständlich. Und er swingt mit einer unerhörten Leichtighkeit, mit einem exquisiten Timing und Phrasing, dass man immer das Gefühl hat, ja, genau so muss es sein.

Kennen Sie das Sinatra-Album, das Bob Dylan im Februar veröffentlicht hat?
Ja, ich habe da reingehört und war ganz positiv überrascht. Aber ich habe es nicht besonders intensiv gehört.

Zum Schluss noch der Hinweis, dass im SZ-Magazin Anfang des Jahres ein Interview mit Frank Sinatra Jr. erschienen ist.
Ja, habe ich gelesen. Es ist schon ein erstaunlicher Weg, den der Sohn gegangen ist: alles nachzumachen und dieselben Songs zu singen wie der Vater, bloß ein paar Nummern kleiner. Sehr interessant, aber auch ein bisschen traurig.