»Im Gesetz steht von Liebe kein Wort«

Als renommierte Scheidungsanwältin blickt Helene Klaar regelmäßig in Abgründe ehelicher Gemeinheit – und klagt über einen Verhaltenszug, der sie vor allem bei den Frauen frustriert.

Klaar empfindet ihren Beruf als eheerhaltend: Nach all dem, was sie täglich hört, kommt ihr Mann ihr einfach großartig vor.

SZ-Magazin: Als Expertin für die kaputte Ehe: Was würden Sie Leuten vor der Hochzeit raten?
Helene Klaar: Weiß ich nicht. Ich sehe Ehen scheitern, die mit den besten Absichten geschlossen werden. Mann und Frau sagen: Wir sehen die Gefahren und machen es besser. Sie scheitern. Es scheitern Ehen, die erst geschlossen werden, nachdem die Partner schon lange miteinander gelebt haben. Manche heiraten, wenn schon ein Kind da ist. Auch diese Ehen scheitern. Früher gab es ja Muss-Ehen, weil ein Kind unterwegs war. Das ging oft schief. Aber das gibt es nicht mehr.

Wann geht es heute schief?
Der häufigste Scheidungsgrund ist das zweite Kind. Mit einem Kind lässt sich der Status noch aufrechterhalten. Mit dem zweiten Kind tritt der permanente Ausnahmezustand ein. Sicher, selbst Leute, die zehn Jahre verheiratet sind, kriegen das erste Kind, und schwupp, geht die Ehe den Bach runter. Aber selbst wenn man die erste Krise überstanden hat, kommt mit dem zweiten Kind die größere Krise.

Was sind die Anschuldigungen?
Kein Sex am Nachmittag. Kein ungestörtes Essen mehr. Keine Gespräche mehr über Literatur und Theater. Ich habe ja selbst zwei Kinder. Das erste Kind war schwierig und anstrengend. Wenn Besuch kam, hat einer von uns das brüllende Kind herumgetragen, der andere hat die Gäste charmant unterhalten. Als wir zwei Kinder hatten, ist jeder in einem Zimmer verschwunden, und die Gäste haben nicht mehr gewusst, warum sie da sind. Nach kurzer Zeit hatten wir einen neuen Freundeskreis: Leute, die auch brüllende Bälger hatten. Mit anderen Menschen kann man nicht verkehren in dieser Phase.

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Sie sind noch mit dem Vater der schreienden Bälger verheiratet. Was ist Ihnen gelungen, was anderen nicht gelingt?
Wir haben nie geglaubt, dass uns das pure Glück erwartet. Wir haben nicht an die Fernsehwerbung geglaubt, die einem vormacht, wenn man den Kindern nur die richtige Windel umschnallt, tanzen sie Cancan, schreien nie, und man kann wunderbar kochen und hübsch sein und aufregenden Sex haben. Außerdem haben mein Mann und ich feste politische Überzeugungen und sind der Meinung, dass an allem wirklich Schlechten der Kapitalismus schuld ist. Daher lassen wir uns nicht gegeneinander hetzen.

Guter Trick.
Ich bin überzeugt, dass die 40-Stunden-Woche viel dazu beiträgt, dass die Menschen unzufrieden sind. Man kann nicht 40 Stunden arbeiten und daneben einen Haushalt führen und die Kinder unterhalten.

Sie haben das gemacht.
Und wir haben Stress gehabt. Man ist am Abend müde und geschafft, kocht das Nötigste und lässt die Unordnung Unordnung sein. Wer das nicht aushält, sondern aufräumt und bügelt, ist danach zu müde für Sex. Das ist, als würde man versuchen, einen Tisch mit einem zu kleinen Tischtuch zu bedecken. Irgendwo ist immer eine nackerte Stelle. Also kommt die Frau drauf, der Mann ist schuld, denn er ist zu wenig da und macht nix. Das stimmt ja meistens. Und der Mann findet, die Frau ist nicht mehr für ihn da, sondern kümmert sich nur um die Kinder.

Stimmt ja meistens auch.
Ja. Dann sind beide der Meinung, mit einem anderen Partner ginge es besser. In Wirklichkeit ist es die 40-Stunden-Woche.

Scheiden Sie kaum kinderlose Ehen?
Doch. Dann ist meistens ein Grund, dass einer von beiden kein Kind wollte. Sie haben sich geeinigt, auf Kinder zu verzichten, um sich einander widmen zu können. Wenn dann ein Fünfzigjähriger mit einer neuen Frau, einer Dreißigjährigen, doch ein Kind kriegt, ist das auch keine schöne Scheidung. Das geht mir immer sehr nahe. Weil ich wirklich nicht weiß, was ich der Frau Tröstendes sagen kann.

Warum trennen sich Paare nach 30 Jahren, wenn die Kinder aus dem Haus sind?
Meistens war die Ehe schon lange nicht gut, und sie fürchten sich davor, zusammen allein zu sein. Manchmal verändern sich auch die Männer sehr, wenn sie zu Hause sitzen und sich nicht mehr an ihren Lehrlingen oder im Büro abreagieren können. Dann kriegen die Frauen das ab, was vorher die Kollegen abgekriegt haben. Oder die Männer sind mit ihren Frauen plötzlich unzufrieden, weil sie ganz andere Lebensgewohnheiten und Interessen entwickelt haben, während sie neben ihnen herlebten.

Sie reden, als wären vor allem die Frauen die Leidtragenden.
Sind sie meistens auch. Weil sie nicht die Macht haben. Weil sie nicht das Geld haben. Ich kann Ihnen tausend Beispiele nennen. Die Frau, die gekocht und geputzt und die Kinder betreut und gearbeitet und gespart und sich gefreut hat auf die Zeit, in der sie zusammen die Rente genießen, die dann erfährt, dass er sich in eine andere, jüngere verliebt hat. Eine meiner Klientinnen, die einen guten Job hatte und einen Mann im Rentenalter, schied zum frühestmöglichen Zeitpunkt aus ihrer Firma aus. Ihr Mann hatte sich gewünscht, dass sie auch in Rente geht, wenn er geht. Nachher stellte sich heraus, dass er schon eine andere hatte, als sie kündigte. Er wusste, dass er bei nächster Gelegenheit weg sein würde. Wenn er ihr das gesagt hätte, hätte sie noch fünf Jahre arbeiten können und ihr Aktivgehalt gehabt. Plus: eine höhere Rente. Für Frauen ist die Scheidung meistens ein existenzielles Problem, für einen Mann ein finanzielles.

Man hört aber oft, dass mehr Frauen als Männer die Scheidung wollen.
Zu mir kommen immer wieder Frauen, die sagen, sie wollen sich scheiden lassen. Und wenn ich nachfrage, stellt sich heraus, dass der Mann sich scheiden lassen will.

In Deutschland wurde 2008 das Unterhaltsrecht geändert: Der Anspruch auf Betreuungsunterhalt der Person, bei der die Kinder leben, wurde auf drei Jahre reduziert. Damit Mütter der Arbeitswelt nicht so lange fernbleiben.
Zu sagen, wir wollen, dass die Frauen schnell wieder arbeiten, darum nehmen wir ihnen den Unterhalt, schiebt der Frau das Risiko zu, wieder einen Job zu finden. Wenn man wirklich wollte, dass Frauen dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben, müsste man die Unterhaltsansprüche erhöhen und nicht abschaffen. Wenn es für den Mann nach der Trennung teuer wird, weil sie nicht erwerbstätig ist, wird er sagen, ich bringe die Kinder in den Kindergarten, und du arbeitest weiter. Denn wenn beide gleich verdienen, muss er nie Unterhalt zahlen. Aber er muss vorher was dafür leisten.

Was spricht überhaupt für die Ehe?
Der Wunsch, den Widrigkeiten des Lebens zu zweit zu begegnen, einen Menschen zu haben, der zu einem hält und einen nie verlässt. Das ist verständlich und dem Menschen eingepflanzt. Außerdem ist die Ehe eine ökonomische Angelegenheit. Man braucht nur eine Wohnung, eine Waschmaschine, ein Auto.

Helene Klaar, 67, Scheidungsanwältin, in ihrer Wiener Kanzlei. Wie man an den Aktenstapeln sehen kann, ist ihre Auftragslage gut.

Dafür kann man auch ohne Trauschein zusammenleben.
In der Lebensgemeinschaft stellt sich die Frage, wer Mieter der Wohnung ist. Der, der nicht Mieter ist, ist innerhalb von 14 Tagen draußen.

Man kann zusammen Mietverträge unterschreiben.
Dann kriegt einer den anderen nicht raus. Da hilft nur der Tod. Die Ehe ist in ihrer Regelmäßigkeit mit dem Schlossgarten von Schönbrunn vergleichbar, mit seinen gestutzten Bäumen und hübschen Alleen. Die Lebensgemeinschaft ist die Prärie: Es gilt das Recht des Stärkeren. Und das ist nicht immer die Frau.

Sehen Sie es als Scheidungsgrund, wenn zwei sich nicht mehr lieben?
Ja, aber nur, wenn man trotz Scheidung gut leben kann. Wenn man hungert und friert, finde ich nicht so wichtig, ob die Liebe noch so ist wie am ersten Tag. Ich bekenne mich dazu, nicht der Meinung zu sein, dass nur eine Ehe erhaltenswert ist, die perfekt glücklich ist. Ich wehre mehr Scheidungen ab, als ich aktiv betreibe. Viele der Frauen, die zu mir kommen, denken, wenn er mich nicht mehr will, was bleibt mir anderes übrig als die Scheidung? Sie freuen sich, wenn ich sage, sie müssen das nicht wollen.

Aber was machen sie, wenn der Mann nicht mehr will?
Man kann die Scheidung in Österreich für etwa drei Jahre hinausschieben. Drei Jahre, in denen Mann und Frau getrennt sein müssen. Nach drei Jahren ist die große Kränkung meistens weg, und man kann sich auf das Wesentliche konzentrieren: Vermögensteilung, Unterhalt, die Kinder. Aber wenn alles zusammentrifft, die Kränkung, die Kinder, die komisch werden, weil der Vater auszieht und eine andere hat, fallen die Frauen allen möglichen Beratern in die Hände. Die einen sagen, geh bloß nicht arbeiten, dann muss er dir weniger zahlen. Die anderen sagen, von dem Schuft nimmst du kein Geld mehr. Beides ist in gleicher Weise falsch.

Wie ist es mit der Vermögensteilung?
Viele Frauen klammern sich im ersten Moment an alles: Wenigstens das Haus will ich haben, oder das Ferienhaus, für das ich die Vorhänge genäht habe, das muss ich meinen Kindern erhalten. Aber wenn sie drei Jahre allein im Ferienhaus gesessen haben, und die Kinder kommen höchstens viermal im Jahr, ist es plötzlich bei der Scheidung kein Thema mehr. Dann lässt man dem Mann das Ferienhaus, bekommt mehr Geld und kann sich eine Wohnung mit Balkon und Blumenkästen leisten.

Läuft die Bedenkzeit meistens auf die Scheidung hinaus?
Manchmal auch nicht. Mir erzählen Klientinnen: Jetzt sind die drei Jahre um, und ich höre nichts von meinem Mann. Dann denke ich, vielleicht will er die Neue nicht heiraten und sagt ihr, ich würde dich ja gern heiraten, Schnuckiputzi, aber es geht nicht, ich bin noch verheiratet. Ich hatte mal eine Klientin in der Situation. Sie schrieb der Geliebten des Mannes: Wissen Sie, dass mein Mann jederzeit die Scheidung beantragen könnte? Wollen Sie ihm nicht Dampf machen?

Raten Sie zu Eheverträgen?
Nein. Denn die schließt man, bevor man heiratet. Der schlechteste Zeitpunkt. Gerade ausgebildete junge Frauen, die ein gutes Einkommen haben, können sich nicht vorstellen, dass sie jemals in ein Abhängigkeitsverhältnis von ihrem Mann geraten, wie ihre Mütter oder ihre Großmütter. Die unterschreiben stolz, dass sie auf Unterhalt verzichten, denn wenn der Mann sie nicht mehr will, möchten sie nicht von seinem Geld leben und finden es unappetitlich, die Hälfte seines Sparvermögens zu beanspruchen. Nur: Wenn die Frau Kinder kriegt und nicht arbeiten geht, hat sie nichts Erspartes. Und wenn er kontrolliert, was sie kauft, wenn er ihr die Strumpfhosen und den Lippenstift verbietet, merkt sie, was sie da unterzeichnet hat. Die meisten Eheverträge werden auf Wunsch des gut verdienenden Mannes geschlossen und sind Verzichtserklärungen von Frauen.

Ehe und Liebe haben nicht viel miteinander zu tun, wenn man Ihnen so zuhört.
Ich sage immer, das Gesetz regelt die Ehe, und da steht von der Liebe kein Wort. Es ist keine Voraussetzung, dass Menschen sich in Liebe verbinden müssen. Man hat doch nicht geheiratet, weil man sich liebt.

Hat man nicht?
Nach den Begriffen des bürgerlichen Rechts nicht. Nur weil man sich liebt, könnte man auch so zusammenleben. Wenn man heiratet, erwartet man diese rechtliche Bindungswirkung. Und die ist völlig unabhängig von der Liebe. Natürlich, man hält die Ehe leichter aus, wenn einem der andere wenigstens sympathisch ist. Aber Geschäftsgrundlage der Ehe ist die Liebe nicht.

Sexualität schon, oder nicht?
Die umfassende Lebensgemeinschaft impliziert den Anspruch »auf den wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane«.

Darf ein Ehepartner, der über längere Zeit vom Partner zurückgewiesen wird, Sex einklagen?
Einmal Nein zu sagen ist sicher kein Scheidungsgrund. Aber die regelmäßige und grundlose Verweigerung des ehelichen Verkehrs ist einer. Hat natürlich den Nachteil, dass das schwer beweisbar ist.

Die Verweigerung oder die Grundlosigkeit?
Beides. Die Frau kann immer sagen, er hat nicht können. Und er kann immer sagen, sie hat mich nicht lassen. Aber ich habe Klienten, die zehn, zwölf Jahre keinen ehelichen Verkehr hatten. Und wenn nicht etwas anderes dazugekommen wäre, wären sie nicht bei mir aufgetaucht. Männer kommen meistens dann, wenn sie eine Frau finden, mit der es wieder schön ist.

Und Frauen?
Haben oft resigniert. Hätte der Mann nicht andere unliebenswerte Eigenschaften entwickelt oder sich nicht eine Freundin zugelegt, wären sie immer noch bei ihm.

Wie oft erleben Sie große Verbitterung auf beiden Seiten?
Meiner Erfahrung nach wollen die wenigsten Leute einen Rosenkrieg. Das kostet Zeit, Geld, Energie. Die meisten möchten so schnell wie möglich eine befriedigende Lösung. Das Schlimmste, oft Unfassbare, tun sich die Leute meistens im Vorfeld an. Gerade die, die sehr verliebt waren und eine sehr innige sexuelle Beziehung hatten, sind nachher besonders bösartig zueinander.

Weil sie besonders enttäuscht sind?
Vielleicht. Sie haben ein großes Rachebedürfnis. Der eine möchte sich sein Verhalten schönreden, indem er am anderen kein gutes Haar lässt. Der hat dann 20 Jahre lang überhaupt nichts richtig gemacht. Das ist schrecklich, weil man damit die ganze Vergangenheit entwertet.

Woran glauben Sie: Gleich und gleich gesellt sich gern? Oder: Gegensätze ziehen sich an?
Nach dem Gesetz der Trägheit kann man sich nicht das ganze Leben verstellen und mitmachen, was der andere macht, wenn man das eigentlich gar nicht gut findet. Partylöwe–Mauerblümchen, das wirkt zeitweise sehr attraktiv, aber man muss hart dran arbeiten, dass es gut geht. Die Menschen sind hormongesteuert und blicken in Richtung Fortpflanzung. Da gefallen ihnen Dinge am anderen Geschlecht, die ihnen nicht mehr gefallen, wenn die Fortpflanzung abgeschlossen ist.

Wie ertragen Sie es, sich ständig mit kaputten Beziehungen zu befassen?
Zu mir kommen die Leute mit ihrem Ehemüll und bitten mich, den zu trennen. Das mache ich, so gut es geht. Ich habe das Gefühl, einer sehr sinnvollen Tätigkeit nachzugehen.

Was kann Sie noch frustrieren?
Wenn meine Klientinnen den Unterhalt verspielen, den wir erkämpft haben. Sie heiraten einen anderen Mann, bei dem abzusehen ist, dass er nichts hat. Weil sie der Liebe noch mal eine Chance geben wollen. Dann ist aber auch der Unterhalt des ersten Mannes weg. Ich habe mal von einem Architekten gelesen, der sagte, er möchte die Häuser, die er gebaut hat, zehn Jahre nach der Übergabe nicht mehr sehen – aus Angst davor, was die Benutzer damit angestellt haben. Das denke ich auch manchmal.

Fotos: Peter Rigaud