»Kunst ist kein Wettbewerb, den man gewinnen muss«

Countrysänger Rodney Crowell spricht über die Lehren aus einem langen Künstlerleben, einen bizarren Trip in die bayerische Provinz, das Genie seines Schwiegervaters Johnny Cash – und dessen Hang zu dämlichen Streichen und Vandalismus.

Foto: Joseph Llanes

Wie schade, dass Rodney Crowell in Deutschland so unbekannt ist! Für mein Empfinden gehört der 66-Jährige zu den besten, interessantestenRoots- und Americana-Songwritern, und anders als viele jüngere Kollegen hat er auch eine direkte Verbindung zu einigen großen Legenden dieses Genres. Mit Townes Van Zandt und Guy Clark war er gut befreundet, mit Johnny Cash sogar familiär verbunden, als Ehemann seiner ältesten Tochter Rosanne. In den Achtzigerjahren waren Cash und Crowell ein power couple von Nashville, er produzierte mehrere Hitalben für sie und landete mit Diamonds & Dirt selbst einen Riesenerfolg. Außerdem zogen sie vier Töchter groß, drei gemeinsame – Chelsea, Caitlin und Carrie – sowie eine Tochter Crowells aus einer früheren Verbindung.

Nach der Trennung Anfang der Neunzigerjahre, die beide auf interessanten Breakup-Alben verarbeiteten, wurde es etwas ruhiger um Crowell, in den Nullerjahren startete er dann wieder durch. 2001 schrieb er über seine Kindheit das brillante Album The Houston Kid mit dem Höhepunkt »I Walk The Line (Revisited)« – einer Hommage an seinen Schwiegervater, auf der Johnny Cash sogar selbst mitsang. 2011 griff er dasselbe Thema, seine Kindheit und Jugend, in dem exzellenten Memoirenband Chinaberry Sidewalks auf, 2013 erschien Old Yellow Moon, ein mit einem Grammy ausgezeichnetes Duett-Album mit Emmylou Harris, in deren »Hot Band« Crowell einst als ernstzunehmender Musiker debütiert hatte. Nun ist sein neues, wiederum großartiges Album Close Ties (New West) erschienen, und auch hier richtet er den Blick wieder in die Vergangenheit. Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, mit Crowell zu telefonieren.

In den Memoiren ihrer Ex-Frau Rosanne Cash bin ich auf eine interessante Stelle gestoßen. Sie beschreibt, wie Sie eines Abends im Jahr 1987 nach Hause kamen und erklärten, Sie hätten eine »Vision« gehabt, wie Cashs nächstes Album klingen und von welchen Themen es handeln solle. Liegt Ihrem neuen Album Close Ties ebenfalls eine Vision zugrunde?
Ja. Es ist eine Platte über Leute, die ich gekannt habe und die Zeit, die ich mit ihnen verbringen durfte. Im Song »Nashville 1972« geht es zum Beispiel um Guy Clark und Townes van Zandt - Songschreiber, die meine Freunde wurden, als ich nach Nashville gekommen bin, und von denen ich immens viel gelernt habe. »Life Without Susanna« handelt hingegen von Susanna Clark, Guys Frau. Das Album schlägt einen Bogen von der Zeit, in der ich diese Menschen kennengelernt habe, bis heute, wo viele schon gestorben sind.

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Beschreiben Sie doch mal genauer, was Sie damals von jemand wie Guy Clark gelernt haben.
Ihn zu treffen, hat mein ganzes Weltbild auf den Kopf gestellt. Ich weiß noch, wie wir bei ihm zu Hause Tonaufnahmen des Dichters Dylan Thomas angehört haben, wie er seine Gedichte rezitiert. Es ging uns darum zu untersuchen, wie er Sprache verwendet; so wollten wir lernen, eine eigene poetische Sprache zu entwickeln. Wer macht so was heute noch? Ich vermute, nicht so viele. Heute geht es eher darum, denn nächsten Radio-Hit zu landen.

Haben Sie nicht mal gesagt, vielleicht ein Buch über ihre frühen Jahre in Nashville schreiben zu wollen? Immerhin haben Sie schon ein Buch über ihre Kindheit und Jugend in Houston veröffentlicht, den großartigen Memoirenband Chinaberry Sidewalks.
Ja, so ein Buch wäre der nächste Schritt. Aber als Journalist dürften Sie wissen, dass es harte Arbeit ist, ein Buch zu schreiben. Man kann es nicht nebenher machen, sondern muss sich jeden Morgen hinsetzen. In den letzten Jahren war ich sehr aktiv im Musikgeschäft, habe viele Platten gemacht und war oft auf Tour, da ging es einfach nicht. Ich müsste mich aus all dem zurückziehen und dazu bin ich im Moment nicht bereit. Aber ich denke, früher oder später werde ich das Buch schreiben.

Neben dem Buch haben Sie auch ein komplettes Album über ihre Kindheit gemacht - The Houston Kid. Und Ihr neues Album beginnt mit dem Song »East Houston Blues«. Warum sind Sie wieder zu diesem Thema zurückgekehrt?
Die Inspiration kommt halt, wenn sie kommt. Deshalb weiß ich nicht, ob »zurückkehren« das richtige Wort ist.

Oder müssen Sie Ihre Kindheit immer noch verarbeiten? Im Buch schreiben Sie unverblümt von der Armut und häuslichen Gewalt, die Sie erlebt haben.
Ja, und das war ja auch so. Dennoch hatte ich damals nichts an meiner Kindheit auszusetzen, im Gegenteil: Ich fand sie ziemlich perfekt. Sie ist Teil von mir, im Guten wie im Schlechten. Wenn ich über sie schreibe, dann sicherlich nicht in erster Linie, um etwas zu verarbeiten.

Mir ist aufgefallen, dass mehrere ihrer Houston-Songs von einem Erzähler handeln, der kriminell wird. Das gilt für »East Houston Blues«, aber auch für »Telephone Road« und »Ain't Living Long Like This«, den Titelsong ihres ersten Albums aus dem Jahr 1977. Sie selbst waren aber nie kriminell, oder ist mir da etwas entgangen?
Nein, ich war nie kriminell, sieht man von ein paar Ladendiebstählen in meiner Jugend ab. Aber viele der Menschen um mich herum sind kriminell geworden - Nachbarn, Jungs mit denen ich aufgewachsen bin. Sie müssen wissen, dass Houston in den Fünfzigerjahren als »Mordhauptstadt der Welt« galt. Es war ein dunkler, brutaler Ort. Den Satz »You make one move and you're a dead man, friend«, den ich in »Ain't Living Long Like This« zitiere, habe ich selbst mal von Polizisten gehört, als ich mit Freunden unterwegs war.

»Ich wollte, dass Johnny Cash mich respektiert, aber ich wollte mich nicht anbiedern«

Ein anderer Song über ihre Vergangenheit ist »I Walk The Line (Revisited)« - sehr lebendig beschreiben Sie darin, wie Sie 1956 als kleiner Junge Johnny Cashs Songs »I Walk The Line« im Radio gehört haben. In der dritten Strophe vergleichen Sie »I Walk The Line« dann sogar mit Shakespeare und der Mona Lisa!
Da ist schon ein bisschen Übertreibung dabei. Dennoch finde ich es bis heute bemerkenswert, wie einzigartig dieser Song klingt und konstruiert ist. Es ist ein Song ohne Vorgeschichte. Bei »Ain't Living Long Like This« kann ich sagen, dass der Song von Jerry Lee Lewis beeinflusst wurde. Johnny Cash wurde zwar auch von Hank Williams und Jimmie Rodgers beeinflusst, dennoch war er von Anfang ein sein eigener Mann. Und das kann man besonders gut an der ungewöhnlichen musikalischen Konstruktion von »I Walk The Line« erkennen. Ich habe das natürlich nicht verstanden, als ich den Song zum ersten Mal gehört habe. Aber er hat mich schon damals tief berührt.

Sie waren zuerst ein Fan von Johnny Cash, dann haben Sie seine Tochter Rosanne geheiratet. Wie hat sich Ihre Wahrnehmung seiner Musik geändert, als Sie ihn persönlich kennengelernt haben?
Johnny Cash war überlebensgroß. Seine öffentliche Rolle als »Man in Black«, seine mysteriöse globale Präsenz waren sehr real. Ich wollte, dass er mich respektiert, aber ich wollte mich nicht anbiedern, sondern habe mich im Gegenteil manchmal sogar etwas arrogant verhalten. Für mein Empfinden war ich ganz anders als die Schleimer und Ja-Sager, die ihn umlagerten - ich war Künstler und Songschreiber und wollte dafür anerkannt werden. Dass ich so nachdrücklich darauf bestand, hat ihn, glaube ich, etwas amüsiert, aber letztlich kam es so, dass er mich respektiert und mir vertraut hat.

Haben Sie etwas von ihm gelernt?
Ja, sehr viel. Aber es ist nicht leicht, das in Worte zu fassen. Wie er seinen Beruf als professioneller Musiker ausgeübt hat, seine Körpersprache auf der Bühne - das hat mich sehr geprägt. Ohne Zweifel war er durchdrungen von großer Kraft und einer großen poetischen Gabe. Sowas kann man niemandem beibringen, aber zu beobachten, wie er seine Gaben kultiviert und mit ihnen gearbeitet hat, hat mir klargemacht, dass man solch ein Talent niemals für selbstverständlich halten darf. Da muss man ständig dran arbeiten - sonst steht man in Gefahr, es zu verlieren. Und Johnnys Auftreten auf der Bühne war tatsächlich richtig ausgefeilt. Außerhalb des Rampenlichts war er dafür oft ein großer Junge, der anderen dämliche Streiche gespielt hat.

Zum Beispiel?
Eines Nachts haben wir Wein getrunken und unsere Initialen mit einem Messer in Marty Stuarts kostbare Lloyd-Loar-Mandoline geritzt. Schrecklich! Aber wir waren wie Kinder, und in dem Moment kam es uns wahnsinnig witzig vor. Marty kochte vor Wut. Ich weiß nicht, ob er mir das jemals vergeben hat.

Johnny Cash ist seit über 13 Jahren tot. Denken Sie noch oft an ihn?
Oh ja, ziemlich oft. Ich bin gerade in meinem Studio in Nashville, da hängt ein Bild an der Wand, wie er meine zweitälteste Tochter mit Eiskrem füttert. Das habe ich ständig vor Augen, wenn ich hier arbeite. Gestern war ich mit einer meiner Töchter im Kino und wir sind mit dem Auto an einem Plakat vorbeigefahren, auf dem er zu sehen ist. »Mensch, du siehst ihm wirklich ähnlich«, habe ich gesagt. Er steckt in meinen Kindern und wird immer Teil meiner Familie sein.

Ich möchte noch kurz ein anderes Thema ansprechen. Vor ein paar Jahren habe ich für meine Zeitung recherchiert, wie und warum Rosanne Cash ihr erstes Album 1977 ausgerechnet in München aufgenommen hat. Ich habe damals mit etlichen Leuten gesprochen, die am Album beteiligt waren - nur mit Ihnen nicht. Was haben Sie für Erinnerungen an diese Zeit?
Rosanne und ich sind durch dieses Album zusammengekommen. Sie hat mich angerufen und gefragt, ob ich dafür ein paar Songs produzieren könne. Klar, habe ich gesagt. Wir haben beide in Los Angeles gelebt, sind aber nach Nashville gefahren, um im Studio ihres Vaters aufzunehmen. Draußen lag ziemlich viel Schnee, das weiß ich noch. Wir haben drei Songs aufgenommen, danach ist sie nach München geflogen und hat das Album fertig gemacht. Als sie dann später einen Plattenvertrag bei Columbia in Nashville bekommen hat, hat sie mich ausgewählt, um ihr erstes Album zu produzieren. Daraus wurden dann eine intensive kreative Partnerschaft - und eine Ehe.

In Ihrem Buch schreibt Rosanne Cash, dass Sie damals beide nach Deutschland gereist sind.
Ja, das stimmt. Wir waren sechs Wochen in Deutschland und haben in München bei ihrer Freundin Renate gewohnt, während Rosanne Promo für ihr Album gemacht hat. Ziemlich genau zur gleichen Zeit ist mein erstes Album in den USA erschienen und alle waren sauer, weil ich mit Rosanne in Deutschland war, statt mich um meine eigene Platte zu kümmern. Es war eine schöne Zeit, München hat mir wahnsinnig gut gefallen.

In Ihrem Buch erwähnt Rosanne auch, wie sie beide eine bizarre Veranstaltung in einem Zirkuszelt irgendwo in der bayerischen Provinz besucht haben.
Das war wahnsinnig witzig! Eine Radio-Livesendung wurde aus diesem Zelt übertragen, außerdem war noch Publikum da, vielleicht hundert Leute. Rosanne war wie versteinert. Sie musste drei Songs singen, aber als Playback, obwohl das ganze ja im Radio übertragen wurde. Da sehen Sie schon, wie bizarr es dort war. Nach ihrem Segment sind die Leute alle aufgesprungen und auf sie zugerannt. Ich bin als einziger auf der Zirkusbank sitzengeblieben und habe mir den Arsch abgelacht, so surreal war dieses Schauspiel.

Nun singt Rosanne auf Ihrem neuen Album mit. Wie haben Sie es geschaft, nach dem Ende Ihrer Ehe Freunde zu bleiben?
Das war eigentlich nie ein Problem. Wir haben uns immer gut verstanden und hatten auch das gemeinsame Sorgerecht für unsere vier Töchter. Hinzu kommt, dass ich ihren Mann John Leventhal sehr mag. Tatsächlich war es so, dass ich die beiden miteinander bekannt gemacht habe. John und ich haben ein Album für Jim Lauderdale produziert und ich habe ihn mal mit zu uns nach Hause in Nashville gebracht. Bei den beiden war es Liebe auf den ersten Blick. Wenn Leute mich nach Rosanne fragen, sage ich immer, dass unsere Ehe keineswegs gescheitert ist, sondern sehr erfolgreich war - bis zu dem Zeitpunkt, wo sie zu Ende ging.

Der Song, den Sie mit Rosanne singen, heißt »It Ain't Over Yet«. Ist damit vielleicht auch Ihre Karriere gemeint?
Ich habe den Song geschrieben, als ich wusste, dass mein Freund Guy Clark stirbt. In den letzten sechs Monaten seines Lebens konnte er nicht mehr arbeiten, und als ich ihn besucht habe, sind mir die Zeilen eingefallen: »These rickety old legs and watery eyes / It's hard to believe I could go for anybody's prize«. Das habe ich über Guy geschrieben. In dem Part, den Rosanne singt, habe ich hingegen Susanna Clark eine Stimme gegeben, die sich immer über diesen Wettbewerb lustig gemacht hat, den Guy und Townes und ich am laufen hatten, wer den besten Song schreibt. Ihr seid so albern, hat sie gesagt, Kunst ist kein Wettbewerb, den man gewinnen muss. Als ich diesen Part geschrieben habe, habe ich in meinem Kopf Rosannes Stimme gehört. Der Song handelt also tatsächlich von meiner Karriere, vor allem aber von meiner langjährigen Freundschaft mit Guy Clark.

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