Ein Blick in die Schublade

Wer von Chaos so viel versteht wie Axel Hacke, kennt den kurzen Weg von 1860 München zu Trump und Berliner Bürgermeistern.

In meinen vor zehn Jahren an dieser Stelle veröffentlichten Drei Thesen über Schubladen habe ich die Auffassung vertreten, Schubladen seien weniger zur Aufbewahrung von Dingen gedacht als zur Aufnahme von Unordnung. Beweis: mein außerordentlich ordentliches Büro, in dem man bei Öffnung einer Schublade ein Chaos aus Radiergummis, Visitenkarten, Gebrauchsanweisungen, Klebestiften, kaputten Handys, Ladekabeln, Taschenrechnern, Bonbons, Elternbriefen, Eierpieksern (im Büro!), Glühbirnen erblickt – alles nicht Sachen, die benötigt würden, sondern Nutzloses, das die Ordnung draußen stören würde. 
Mittlerweile glaube ich, dass sich diese Theorie vom privaten Rahmen auf das große Ganze übertragen lässt. Damit das Chaos nicht Deutschland erfasst, benötigen wir klar definierte Räume, die Chaos aufnehmen: Nationalschubladen, deren Existenz dem übrigen Land eine gewisse Aufgeräumtheit erlaubt. Es ist klar, dass der TSV 1860 München und die Berliner Politik hier zentrale Rollen spielen.

Den Laien verwundert es, dass der einst ruhmreiche Klub 1860, noch 1965 Europapokal-Finalist und 1966 deutscher Meister, seit Jahrzehnten ein Hort der Katastrophen ist, Insolvenzen, Abstiege, Gewaltausbrüche, Zwangsamateurisierungen folgten einander. Ebenso Berlin: ein Nichtflughafen, arabische Mafia-Clans, von linksradikalen Schlägern besetzte Häuser, Straßenterror am 1. Mai, ein öffentlicher Park, der dem Drogenverkauf vorbehalten ist, dysfunk-tionale Behörden – nirgendwo findet sich eine solche Ballung von Unfähigkeit wie in der Politik Berlins.

Warum hier? Warum nicht anderswo?

Meistgelesen diese Woche:

Die Antwort ist: Chaos zieht Chaos an. In den USA wurde 1982 die Broken-Windows-Theorie entwickelt, der zufolge eine einzige nicht reparierte Fensterscheibe die Verwahrlosung des gesamten Viertels zur Folge haben kann. Beim TSV 1860 ist es ähnlich: Die Inkompetenz des einstigen Präsidenten Riedl führte 1982 (das Broken-Window-Jahr!) zum Zwangsabstieg in die Bayernliga. Seither hat der Verein wie keiner (nicht mal Schalke 04) eine magische Attraktivität für Dilettanten entwickelt, zuletzt the one and only Hasan Abdullah Mohamed Investor Ismaik, der von Fußball noch weniger versteht als ein Verandageländer von der Geldanlage in Zero-Bonds.

Nicht anders die politische Führung Berlins, die auch ihre Europacup-Jahre hatte: der Regierende Bürgermeister Reuter, später Brandt, Vogel, Weizsäcker. Nun: Müller. Und eine den Senat führende SPD, der es gelingt, den Erz-Sozialdemokraten und früheren Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky zum Außenseiter zu machen, der mit CDU-Politikern für ein Volksbegehren zum Thema Video-Überwachung kämpft. (Nicht, dass ich Anhänger der Dauerverfilmung öffentlichen Lebens wäre; aber sollte das Sicherheitsgefühl von Bürgern einer SPD, die Bundestagswahlen gewinnen will, nicht wichtiger sein?)

Wie auch immer: Ich behaupte, es gibt eine gewisse, beschränkte Menge an Chaos und Unfähigkeit in der Welt – wie eben auch Erdölvorräte oder Seltene Erden begrenzt sind. Und es kommt darauf an, diese Menge, die man ja nicht wie Erdöl oder Seltene Erden verbrauchen kann, irgendwo zu lokalisieren, einzudämmen, einzuhegen und so beherrschbar zu machen, weil Chaos und Unfähigkeit sonst anderswo einsickern und neue Zentren bilden. Was hätte Hasan Abdullah Mohamed Investor Ismaik anderswo angerichtet, wäre er nicht beim TSV 1860 so beschäftigt?

Diese Schubladisierung gelingt zu wenig! Oder wie ist erklärlich, dass Chaos bereits das Weiße Haus erobert hat?

Dies ist alles sehr bedauerlich für Sechzger-Fans und die Bewohner Berlins. Aber jemand muss das Opfer bringen. Wir wollen dankbar sein dafür.

Illustration: Dirk Schmidt