Gefährt oder Gefährte?

Es gibt Menschen, die wollten nie ein Auto – brauchten aber eines. Wie unser Autor. Wie fühlt es sich dann, nach Jahren, an, es zu verkaufen?

Ich hatte keine Lust, von einem der rumänischen Trucker vom Fahrrad geholt zu werden, die Feinschnitt-Tabak in die Zigarettenfabrik neben meiner alten Redaktion brachten, Tag und Nacht. Ich wollte auch nicht dauernd klebrig, zerregnet und eingeschneit bei Terminen auftauchen; die Redaktion der Zeitung, für die ich arbeitete, lag in einem Industriegebiet am hinteren Ende der Kleinstadt, über die sie berichtete, und mit dem Rad zur Arbeit fahren und mit dem Rad zur Arbeit fahren müssen, sind zwei grundverschiedene Konzepte, nicht nur dann, wenn neben dir bei Neuschnee ein Laster ausschert.

Also kaufte ich, der ich nie ein Auto hatte haben wollen, ein Auto. Einen Mini, gebraucht, sechs Jahre alt, eigentlich wollte ich einen schwarzen, über die Kleinanzeigen fand ich dann einen silbernen mit Rallyestreifen, auch okay. Guter Preis, trotzdem noch fast um einen Tausender runtergehandelt, teuer wurde er dann später.

Wir hatten es gut miteinander. Morgens zur Arbeit, abends nach Hause, am ersten Urlaubstag vor Anbruch der Dämmerung über die Autobahn zum Flughafen, samstags in die Waschanlage, Programm B1 mit Heißwachs, dann Großeinkauf, dann wieder zurück auf den Parkplatz in den komplizierten Innenhof, in dem man sekundengenau wissen muss, wann man beim Rückwärtsfahren um wie viel einschlagen muss, um nicht gegen den Müllkübel zu fahren, es kostete mich zwei Tage und einen Außenspiegel, dann konnte ich's im Schlaf.

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Aber mehr war da nicht. Andere Leute fanden ihn niedlich, schrieben ihm Charaktereigenschaften zu, für mich blieb er: eine kleine, gut gebaute Maschine. Auf dem Redaktionshof gab es nicht genug Parkplätze, bald hab ich aufgehört zu zählen, wie oft ich um zehn vor acht zu dem neben der Zigarettenfabrik gelegenen Supermarktparkplatz gerannt und, ich arbeitete in der Kulturredaktion, zu einem Konzert in der Innenstadt geschossen bin, das um acht begann, immer hoffend, als Letzter nicht wieder die Plätze in der Mitte zu haben (hatte ich immer), noch einen Parkplatz zu finden (mal so, mal so), und nicht geblitzt zu werden (wurde ich nie).

Ich weiß auch nicht mehr, in wie vielen Mittagspausen sich der 2,10m-große-Artdirektor, der von sich behauptet, einen schwarzen Gürtel in Karate zu haben, auf die Rückbank gefaltet hat, und wie oft mich jemand aus der Verlagsbuchhaltung in der Chefredaktion denunziert hat, als ich auf einem der für Kunden (bitte: was für Kunden?) reservierten Parkplatz geparkt habe, weil ich keinen Bock hatte, immer zum Supermarktparkplatz zu rennen (stimmt nicht, das weiß ich genau: fünfmal war das, dann rief die Sekretärin des Verlegers in der Chefredaktion an, und wenn der Chefredakteur mit dem Lachen fertig war, brauchte er sich am Ende nur noch wortlos vor meinen Schreibtisch zu stellen). Es stimmt schon, wir hatten es wirklich gut. Und dann wurde es blöd.

Umzug aus der Kleinstadt in die Großstadt, raus aus dem komplizierten Innenhof, hier gab es noch weniger Parkplätze. Viele Jahre hatte ich damit verbracht, ein Auto zu brauchen und keins zu haben, jetzt brauchte ich keins mehr, hatte aber eins. Jetzt gab es Tram- und S- und U-Bahnen, und, ha, Fahrradwege.

Der Mini stand herum. War nicht ausgelastet. Wurde schwierig und anstrengend. Zuletzt habe ich mehrfach ernsthaft erwogen, einfach die Nummernschilder abzuschrauben und die Schlüssel in die Isar zu werfen. Eines Tages fuhr es im Rückwärtsgang plötzlich vorwärts und musste mit einem Kran ausgeparkt werden; der Abschlepper begrüßte mich mit »Ah, da ist er ja, der Bazi«. Dann hatte er einen Zweitmarderschaden (Tipp: nicht nach Monaten in einem Marderrevier plötzlich im Nachbarmarderrevier parken, schon gar nicht über Nacht und bloß nicht zur Brunftzeit).

Einmal war, als ich von einer Reise zurückkam, die komplette Straße gesperrt und aufgerissen, säuberlich um das Auto herum, ich muss die Schilder übersehen haben, wegfahren ging jetzt aber auch nicht mehr, denn die Batterie war so leer, dass nicht mal mehr die Zentralverriegelung aufging. Ich machte dann ein paar Tage lang einen großen Bogen, rechnete täglich damit, dass entweder die Polizei oder der Baggerfahrer mich nach Feierabend vor der Haustür stehen (passierte nicht) und meldete mich beim Carsharing an, irgendwann war die Straße wieder zu. Und einmal, als ich ihn auch gerade hatte fremdstarten lassen müssen, fiel nach zwanzig Metern der linke Außenspiegel auf die Landshuter Allee und wurde sofort von einem Omnibus zermalmt, ohne linken Spiegel erlischt die Betriebserlaubnis, Anhalten ging aber auch nicht, denn die Batterie war nach den paar Metern ja immer noch leer. Naja. Die Werkstattrechnung war dann meistens vierstellig.

Am Samstag hab ich ihn auf einen Großparkplatz in München-Laim gebracht, der Gutachter fuhr mit quietschenden Winterreifen eine Runde über den Hof, der Mini tuckerte wie immer: wie ein tapferer kleiner Trecker.

Ich unterschrieb auf einem Formular viermal an den markierten Stellen, ich hatte nie ein Auto haben wollen, aber ich hab ihm dann tatsächlich noch kurz gegen den Kotflügel geboxt. Keine Ahnung, ob er nochmal einen Besitzer kriegt. Aber vielleicht fährt der mit ihm dann auch nochmal nach Italien, das haben wir jetzt doch nicht mehr geschafft.

Foto: privat