Die Idiotie der digitalen Diener

Autokorrektur, Voreinstellung, automatische Ergänzungen: Computer und Smartphone tun so, als wüssten sie genau, was wir wollen. Sie wissen es aber kein bisschen. Und machen uns damit nur das Leben schwer.

Es ist ja nicht unser Stil hier im SZ-Magazin, mit Schaum vor dem Mund zu schreiben, aber ich muss es jetzt leider mal so sagen: Ich hab die Schnauze voll. Die Faxen dicke. Mir platzt der Kragen. Ich kotze. Tag für Tag schlage ich mich mit Geräten und Computern und Programmen rum, deren Hersteller so tun, als wüssten sie genau, was ich will – nur ihre Maschinen und Programme machen ziemlich genau das Gegenteil davon.

Immer ist alles Mögliche voreingestellt und automatisiert, das man erst mal abschalten muss. Geht ja schon los, wenn ich diesen Text hier in Word schreiben will: Da sind ganze Sätze rot unterringelt (erst die automatische Rechtschreibprüfung abstellen!), dann wird plötzlich alles eingerückt, nur weil ich eine 1 und einen Punkt tippe (automatische Aufzählung ausschalten!). Dann ersetzt das Programm willkürlich Abkürzungen oder Eigennamen durch Wörter (Autokorrektur abstellen!). Warum? Wer kommt auf die Idee, ich oder sonst jemand könnte ständig alles in Aufzählungen verwandeln wollen?

Ich rufe im Internet eine Website auf, sofort spielen von selbst alle Filme los, die sich darauf finden. Ich will mir einen Termin im Smartphone notieren, darf aber nicht mal fertig tippen, automatisch ergänzt es »19:00 Mül« zu »19:00 Müller«, weil ich schon mal einen Termin mit einem Herrn Müller hatte – dabei wollte ich mir diesmal merken, den Müll rauszustellen.

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Jaja, ich weiß, first world problems, es gibt Schlimmeres da draußen. Aber die meiste Zeit meines Arbeitsalltags verbringe ich nun mal nicht damit, den Weltfrieden zu sichern oder den Klimawandel zu stoppen, sondern ich ärgere mich mit Voreinstellungen rum. Seit Jahrzehnten wird uns versprochen, die Maschinen würden immer intelligenter – in Wirklichkeit beleidigen sie die Intelligenz ihrer Benutzer, indem sie lauter unnützes Zeug machen. Es ist, als wäre jedes Auto beim Kauf so eingestellt, dass die Lüftung immer auf Höchststufe bläst, die Hupe durchgehend dröhnt und das Radio auf voller Lautstärke läuft.

Ach ja, Autos. Seit da auch Computer drinstecken, ständig das Gleiche. Meins hat ein eingebautes Navigationsgerät, da in der Mitte, wo auch das Radio ist. Ich gebe eine Route ein, daraufhin zeigt mir nicht nur das Navi den Weg – die digitale Tempoanzeige hinter dem Lenkrad verwandelt sich in ein zusätzliches Navi. Wer um Himmels willen braucht zwei Navigationsanzeigen auf einmal? Ich kann mehrmals an einem Hebel neben dem Lenkrad rumdrücken, dann verschwindet das Zusatz-Navi wieder. Muss ich aber jedes Mal von Neuem machen. Aus Neugier habe ich mal beim Hersteller angerufen, da wurde mir gesagt: »Der Kunde möchte das so.« Ich sagte: »Äh, ich? Das muss ein Missverständnis sein, ich möchte das gar nicht.« Der Mitarbeiter am Telefon seufzte sehr deutlich sehr gelangweilt.

Dabei gibt es eine Menge DIN-Normen, nach denen Software gestaltet sein muss, und auf dem Papier klingen die alle ganz vernünftig. Programmierer berufen sich oft auf das »principle of least astonishment« (POLA), das Prinzip des geringsten Erstaunens. Es besagt: Je mehr Erstaunen etwas hervorruft, umso dringender muss es anders gestaltet werden. Ich bin aber, Himmelherrgottnochmal, trotzdem ständig erstaunt.

Vielleicht liegt’s nur an mir? Nein, ein Blick ins Internet und ich sehe: Es geht Millionen Menschen so. In Foren von San Francisco bis Sankt Petersburg diskutieren die Menschen »Presets« und »Preferences«, mal wütend, mal verzweifelt. Don Norman, ein kalifornischer Design-Guru, der in den Neunzigerjahren bei Apple den Begriff »User Experience« prägte, hat mal gesagt, unsere Verzweiflung im Umgang mit digitalen Geräten liege gar nicht so sehr daran, »dass sie schlecht, sondern dass sie eigentlich gar nicht designt« seien. Er fügte hinzu: »Zumindest nicht von jemandem, der etwas von Benutzbarkeit versteht. Oft sind das Ingenieure, die Dinge nach reiner Logik bauen, oder Designer, die keine Ahnung haben, was am Menschen orientierte Gestaltung ist.«

Dabei meinen die Ingenieure und Programmierer es im Grunde gut. Jedes Gerät, jedes Programm ist beim Kauf so eingerichtet, dass wir sofort loslegen können. Die Maschine als freundlicher Diener. Nur kommt es mir immer so vor, als würde sich der Butler mit servilem Lächeln verbeugen und mir dann den Champagner übers Hemd gießen, die Suppe in den Kragen kippen und abschließend mit der Serviette die Stirn polieren.

Apple hat zum Beispiel irgendwann angefangen, auf dem iPhone alles Mögliche in Termine zu verwandeln. Wenn ich in einer Mail oder einer Notiz die Worte »heute Abend« schreibe, werden die auf der Stelle mit einer Linie unterlegt – und das iPhone schlägt vor, daraus einen Termin im Kalender zu machen. Warum? Kann ich bitte einfach in einer Mail schreiben, »Ich bin so müde, heute Abend gehe ich keinen Schritt mehr vor die Tür«? Was soll das bitte für ein Termin werden?

Dann fing das irgendwann an mit den automatischen Links: Plötzlich werden auch Begriffe und Namen mit Linien unterlegt. Eine unbedachte Berührung, und das iPhone leitet mich ungefragt zu Wikipedia, auf irgendeine Website oder zur nächstbesten Gelegenheit, Geld auszugeben. Neulich antwortete ich einem Freund per SMS, »Puh, mit Helene Fischer kann ich echt nichts anfangen.« Plötzlich war ich auf einer Website, und man bot mir Konzertkarten an. Eine Kollegin von mir hat auf diese Weise versehentlich eine App gekauft, bis heute kann sie sich nicht ganz erklären, was da passiert ist. (Der einzige Trick, um das zu vermeiden, ist übrigens: Namen falsch zu schreiben oder mit zu vielen Leerzeichen. »Lady     Gaga« erkennt das iPhone nicht.)

Klar, bei Apple sagen sie, das sei doch sehr praktisch, die ganze Welt nur einen Klick entfernt und so weiter. Was sie eher nicht sagen: Es sieht wie Service aus, ist aber vor allem eine technisch raffinierte Möglichkeit, Benutzern das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Ingo Schulz-Schaeffer ist Professor für Technik- und Innovationssoziologie an der TU Berlin. Wenn man mit ihm über das Thema sprechen will, schimpft er erst mal von selbst los. »Benutzen Sie Firefox, den Internet-Browser?«, fragt er, »da war jahrelang der Home-Button rechts oben. Jetzt, nach dem letzten Update, ist er plötzlich links. Warum? Seit Tagen drücke ich ständig in der falschen Ecke des Bildschirms rum. Warum sollte das meinen Wünschen entsprechen? Es entspricht ja nicht mal meinen Gewohnheiten!« Ich verstehe den Mann sofort, gemeinsam regen wir uns eine Weile auf, dann erklärt Schulz-Schaeffer: »Die Frage ist, was kommt in Herstellungsprozessen zuerst? Der Wunsch der Benutzer oder die Technologie der Anbieter? Das liegt in unserer Gegenwart weit auseinander. Früher passierte ein Großteil der Entwicklung im Kontext der Nutzung. Der Schmied im Dorf, der Schneider, alle hatten laufend Kontakt zu ihren Kunden und konnten jederzeit besprechen, ob sie deren Wünsche treffen oder nicht. Aber wenn man Millionen von Kunden ansprechen will – wo soll dann der Idealweg liegen?«

Ein Programmierer denkt anders als eine Journalistin denkt anders als ein Ingenieur denkt anders als eine Ärztin denkt anders als ein Friseur. Man kann durchaus lachen über die Heiligenverehrung, die Millionen von Menschen Steve Jobs entgegenbrachten, aber Experten halten ihm zugute: Er konnte denken wie ein Benutzer. Er war wie Tom Hanks in dem Film Big: Der spielt da einen Jungen, der durch Zauberei im Körper eines Erwachsenen aufwacht und dann zum genialen Vordenker eines Spielzeugkonzerns wird – weil er ja im Inneren nach wie vor ein Kind ist. Viele Apple-Kenner sagen, seit Jobs’ Tod verschwinde das Intuitive aus den Apple-Produkten, immer häufiger stehe man auch am Macbook oder mit dem iPhone vor reiner Ingenieurslogik. Ich sage nur: automatische Links.

Und gerade wenn man sich an alles gewöhnt hat, wenn man jeden Knopf und jeden Befehl einigermaßen kennt, dann geht es einem wie Professor Schulz-Schaeffer: Eine neue Version kommt auf den Markt, und alles ist anders. Ich kann den Ausdruck »neue Version« nicht mehr hören!

In Amerika gibt es das Wort »Tinkeritis«, abgeleitet vom Verb »to tinker«, basteln: der Drang von Firmen, an ihren Produkten immer wieder rumzuschrauben, auch wenn sich dadurch nichts verbessert. Oder, nüchtern betrachtet, vieles verschlechtert. Wer sich vor Jahren in die Apple-Welt begeben hat, weiß: In allen Programmen, die irgendwas mit Filmen machen, bedeutet ein Druck auf die Leertaste »Play«. Ob man jetzt Youtube-Videos ansieht oder Familienfilme. Galt zwanzig Jahre lang. Im Fotoprogramm »Fotos« nicht mehr. Die Leertaste macht das Filmchen größer und kleiner, sonst passiert nichts. Ganze Internetforen sind voll mit den Flüchen ratloser Benutzer, die den neuen Tastenbefehl suchen. Der Witz ist, es gibt keinen mehr. Man muss mit der Maus auf den Play-Button drücken.

Sogar Entwickler selbst klagen über die Vorgaben ihrer Arbeitgeber. Ein Mann, der für Microsoft an neuen Versionen des Software-Pakets MS Office arbeitet, stöhnte jüngst in einem Forum, er habe sich auch nach Jahren nicht an die neue Menügestaltung gewöhnen können: Ständig klappe da irgendwas von selbst auf. Zu Hause benutze er immer noch eine alte Programmversion.

Professor Schulz-Schaeffer spricht von einem »Innovations-Imperativ«, er sagt: »Wenn ich etwas als neu verkaufe, ist es immer schon legitimiert. In unserem gesellschaftlichen Diskurs ist das Neue immer das Gute. Aber ist es das denn wirklich?«

Und die Werbung verkauft jede Neuerung als weiteren Schritt hin zum perfekten Service: zur Maschine, die uns völlig zu Diensten ist und ganz von selbst alles tut, um uns das Leben zu erleichtern. Ich fürchte aber, das bedeutet nur: Der Butler kommt immer wieder ins Zimmer, grinst mich gut gelaunt an – und schüttet mir jedes Mal eine andere Suppe in den Kragen.

Illustration: Tim Lahan