»Frau Zschäpe, können Sie einschlafen, wenn Sie Ihren Kopf auf das Kissen legen?«

Der NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht neigt sich dem Ende zu. Ein Rückblick auf spannende, verstörende und bewegende Momente aus dem fünften Jahr dieses einzigartigen Verfahrens.

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    Nach über vier Jahren Beweisaufnahme haben im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München die Schlussplädoyers begonnen. Zunächst ergriff die Staatsanwaltschaft das Wort, dann sprachen die Anwälte der Nebenklage, darunter auch NSU-Opfer und deren Angehörige. Wie Ayse Yozgat, Mutter des im April 2006 erschossenen Halit Yozgat, die in ihrer Erklärung die Angeklagte Zschäpe persönlich ansprach: »Frau Zschäpe, können Sie einschlafen, wenn Sie Ihren Kopf auf das Kissen legen? Ich kann auch nach elf Jahren nicht einschlafen, denn ich vermisse meinen Sohn so sehr.«

    Die abschließenden Vorträge zeigen, wie unterschiedlich der Prozess von den verschiedenen Parteien bewertet wird. Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft hat die Beweisaufnahme eindeutig belegt, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos die ihnen vorgeworfenen Morde, Bombenanschläge und Raubüberfälle in alleiniger Verantwortung begingen. »Alle anderen Spekulationen selbst ernannter Experten«, so Bundesanwalt Herbert Diemer, seien haltlos, »wie Fliegengesumme in den Ohren«. Mehrere Anwälte der Nebenklage hingegen prangerten die Versäumnisse bei den Ermittlungen an. Es sei nicht ansatzweise geklärt worden, warum das NSU-Trio gerade diese zehn Opfer für ihre Mordserie gewählt hätten, offensichtliche Hinweise auf ein Netz von Unterstützern seien ignoriert worden.

    Insofern sei der NSU-Prozess typisch für die Aufklärung rechtextremer Anschläge in Deutschland, kritisierte Anwalt Mehmet Daimagüler: »Wann immer rechtsextremer Hass in Gewalt umschlägt, wann immer aus rassistischen Motiven Anschläge verübt werden, wann immer im Sinne völkischer Ideologie gemordet wird, dann muss es sich um das Werk eines Einzeltäters oder nur weniger isolierter Personen gehandelt haben. Terroristische rechtsextreme Strukturen darf es im post-nationalsozialistischen Deutschland nicht geben. Und dort, wo Einzeltäter zugeschlagen haben, werden rassistische Tatmotive und politische Hintergründe regelmäßig heruntergespielt oder bestritten.«

    Meistgelesen diese Woche:

    Da es im NSU-Prozess, wie in fast allen Strafprozessen in Deutschland, kein offizielles Gerichtsprotokoll gibt, hat das SZ-Magazin auch in diesem Jahr wieder dieses in der deutschen Nachkriegsgeschichte einzigartige Verfahren mitprotokolliert (zu den Texten und Filmen der Jahre zuvor geht es hier). Gekürzt, aber im Wortlaut unverändert dokumentieren wir spannende, verstörende und bewegende Momente aus den 68 Verhandlungstagen dieses Jahres: den Antrag von Olaf Klemke, dem Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben, von einem Sachverständigen bestätigen zu lassen, dass den Deutschen aufgrund sinkender Geburtenrate und Zuwanderung tatsächlich der »Volkstod« drohe; den Vortrag des von Beate Zschäpe und ihren Verteidigern bestellten Gutachters, der beklagt, beim NSU-Prozess handle es sich um Hexenverbrennung – und daraufhin vom Gericht für befangen erklärt wird; die Erklärung von Gamze Kubasık, Tochter des NSU-Opfers Mehmet Kubasık, die an das Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnerte, dass alles unternommen werde, um die Taten aufzuklären – und die der Bundesanwaltschaft vorwirft, sie habe eben dieses Versprechen gebrochen.

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    Das Protokoll des fünften Jahres im NSU-Prozess

    Eines der größten Gerichtsverfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte neigt sich dem Ende zu. Das "SZ-Magazin" hat auch das fünfte Jahr des NSU-Prozesses in Textform festgehalten.