Sixpack ohne Schweiß

Ein Amerikaner forscht an einer Pille für Faulpelze, die tägliches Fitnesstraining ersetzen soll. Über die Risiken spricht er ungern.

Das Problem: Zu viele Weihnachtskekse und nicht genügend Sport
Die Lösung?
Die »Sport-Pille« 516, die ein Sixpack ohne Schweiß verspricht
Was fehlt? Die Gewissheit, dass sie keinen Krebs verursacht

Es klingt einfach zu schön, um wahr zu sein. Im Salk Institute in La Jolla bei San Diego gibt es Vierbeiner, für die ein Traum Wirklichkeit geworden ist: Die Mäuse mit dem Kosenamen »Lance Armstrong«. Sie leben neben den Mäusen »Couch Potato«. Die Couch Potatoes ernähren sich von Keksen, Brot und Zucker, also ungefähr wie ich zur Weihnachtszeit. Die Lance Armstrongs essen genau das gleiche, aber während die grauen Couch Potatoes ihrem Namen als Faulpelz alle Ehre machen und man ihre Speckröllchen zählen kann, sind die Lance Armstrongs der Traum aller Mäuseweibchen: stramm und muskulös wie der berühmte Namensvetter.

Auch ihr Besitzer ist auffallend fit - ein stoppelbärtiger 68-jähriger namens Ronald Evans, schlank und sehnig vom vielen Radfahren und Wandern. Er hat etwas gefunden, das Profi-Sportler und Bodybuilder schon lange interessiert: Der preisgekrönte Hormonexperte forscht an sogenannten Kernrezeptoren, hat damit Durchbrüche in der Diabetes-Behandlung und bei Bauchspeicheldrüsenkrebs erzielt, aber am allermeisten interessiert sich die breite Öffentlichkeit für ihn, weil er die vierbeinigen Lance Armstrongs füttert, und zwar mit einer Substanz namens GW501516, kurz 516 oder Endurobol.

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2008 veröffentlichte er seine erste Studie zu dem Medikament. Nach nur vier Wochen auf Endurobol laufen seine Mäuse schneller, weiter, länger; ihr Taillenumfang schmilzt dahin, während die Muskeln schwellen und die Ausdauer steigt, und das fast ohne Training. »Wir können Sport durch eine Pille ersetzen«, sagte Evans dem New Yorker, und nannte Endurobol gar »Sport in Pillenform«: Die Pille gaukelt dem Körper vor, er habe gerade einen halben Marathonlauf oder sechs Stunden im Fitnessstudio hinter sich - und die Zellen reagieren entsprechend auf diese Signale.

Das ist der Traum, oder? Alles essen, was man will. Sowenig Sport wie nötig. Und trotzdem ein Sixpack und Bizeps wie Hugh Jackman.

Der Biologe Tim Willson entwickelte 516 ursprünglich in den Neunzigerjahren für GlaxoSmithKline als Mittel gegen Diabetes. Dabei stellte er fest, dass 516 in seinen Rhesusaffen nicht nur den Blutzucker senkte, das Cholesterol drosselte und den Stoffwechsel ankurbelte, sondern sie eben auch fitter und schlanker machte. GlaxoSmithKline glaubte schon, der Wunderdroge für die Wohlstandsgesellschaft auf der Spur zu sein, aber dann lieferte die Langzeitstudie ein brutales Gegenargument: Die Affen, die 516 zwei Jahre lang einnahmen, entwickelten Krebs und zwar massiv und am ganzen Körper. GlaxoSmithKline ließ die Entdeckung 2007 in der Schublade verschwinden, als den Verantwortlichen klar wurde: Die Gesundheitsbehörden würden diese Droge nie auf dem Markt zulassen.

Aber Willson hatte zuvor schon einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er die Zusammensetzung verriet, und die Versuchung war für andere Forscher zu groß, um die Finger davon zu lassen. Forscher wie Ron Evans in La Jolla. »Wir bewegen uns nicht genug«, sagt Evans. »Das führt zu Herzkrankheiten, Diabetes, usw. Die Pille reprogrammiert die Muskeln, als würden wir trainieren.« Er hat gerade im Fachblatt Cell Metabolism eine neue Studie veröffentlicht, die zeigt: Die Mäuse auf Droge können 70 Prozent länger laufen als die anderen - auch wenn alle anderen Faktoren gleich sind.

Obwohl sie nicht zugelassen ist, gibt es 516 in Amerika in jedem Online-Discounter für Bodybuilder, weil die Substanz so einfach nachzubauen ist und zwar nicht zur Einnahme, aber zu »Recherchezwecken« legal verkauft werden darf. Immer wieder werden Spitzensportler damit beim Doping erwischt. Amateure prahlen in Online-Foren, wie sehr sie damit ihre Zeiten verbessern. Während manche Anbieter immerhin das Krebsrisiko erwähnen, lügen andere einfach geradezu kriminell, die Substanz sei »extrem sicher, keine Nebenwirkungen.« Im Sonderangebot: »Zwei Packungen zum Preis von einer, 60 Pillen schon ab $49.99.«

Was in den Foren nicht diskutiert wird: Ist der Sieg beim Radrennen wert, Krebs zu bekommen? Ist ein halber Zentimeter mehr Bizeps auch einen Tumor in der Prostata wert? Ganz nebenbei: Eine Lösung wäre auch, Strafen für solch irreführenden, gesundheitsgefährdenden Schwachsinn einzuführen. Die Anti-Doping Agentur WADA hat die Substanz nicht nur verboten, sondern auch  wegen ihrer Schädlichkeit eindeutig vor ihr gewarnt.

Deshalb arbeiten konkurrierende Wissenschaftler am gleichen Konzept wie Evans, aber mit anderen Mitteln: An der Universität von Southampton stolperte der Biologe Ali Tavassoli beim Forschen an einer neuen Art von Krebsbehandlung eher zufällig über eine »Sportpille«, die als Nebeneffekt die Zuckerwerte senkt und dem Körper vorgaukelt, er müsse jetzt schnell alle entbehrlichen Fettreserven verbrennen. In Harvard glaubt der Zellbiologe Bruce Spiegelmann, er sei zwei vielversprechenden »Fitness-Hormonen« auf der Spur.

Evans aber ist am weitesten: Seine Firma Mitobridge hat gerade die erste Versuchsreihe mit einer modifizierten Version am Menschen gestartet. Und zwar nicht für Couch Potatoes und Möchtegern-Supermänner, sondern für Menschen mit der Muskeldystrophie Duchenne, also einer tödlichen Erbkrankheit, die die Herz- und Atemmuskulatur abbaut und meist zu einem frühen Tod führt. Da könne 516 womöglich tatsächlich lebensverlängern wirkend und dafür, glaubt Evans, kann er eine Zulassung bekommen.

Denn es gibt tatsächlich Szenarien, in denen Evans' Pille die Lösung für ein ernsthaftes Problem ist, zum Beispiel »für Menschen im Rollstuhl, für Soldaten nach einer Verletzung, für Patienten im Krankenhaus vor oder nach einer Operation, es gibt viele Gründe, warum Menschen nicht gehen, laufen oder Sport treiben können, aber wo es wichtig ist, die Muskeln zu stärken.« Vielleicht auch für Astronauten im All, also für Menschen, bei denen es für kurze Zeit lebenswichtiger ist, ihre Fitness zu erhalten als das Krebsrisiko zu senken. Für alle anderen dagegen ist der Traum vom Sixpack ohne Schweiß tatsächlich zu schön, um wahr zu sein.

Bekanntlich sind die Dopingversuche ja auch für den zweibeinigen Lance Armstrong nicht gut ausgegangen. Für uns Zweibeiner lautet die die einzige Lösung für die Überdosis Schokoplätzchen eindeutig: Ich gehe dann mal lieber Joggen.

Foto: Goami/fotolia.de