»Ich will meinen Körper zurück!«

Bei einem Wochenbett-Besuch trifft unsere Kolumnistin, die Hebamme, auf eine Frau, die ein Fünf-Kilo-Kind zur Welt gebracht hat. Was man auch an ihrem Bauch sieht, der noch immer stattlich ist.

Illustration: Cynthia Kittler

Als ich die Treppe zu Frau F.s Wohnung hochging, fielen mir die vielen Laufschuhe vor der Tür auf: In jeder Farbe des Regenbogens standen da jeweils ein Männer- und ein Frauenpaar. Trainierten die für den Marathon? »Wann kann ich denn wieder?«, war dann auch gleich die erste Frage, die Frau F. bei meinem Wochenbettbesuch stellte. »Sex oder Sport«, fragte ich zwinkernd, während ich meine Jacke auszog.

»Sport!« Sie sah zu ihrem Partner. »Ok, beides.« Ich grinste. »Also Sport, wenn die Rückbildung abgeschlossen ist, so nach sechs bis acht Wochen. In der Zeit sollten Sie aber gezielt mit Beckenbodentraining beginnen und das ist, wenn man es richtig macht, auch nicht ohne. Mehr geht dann erst, sobald der Beckenboden mitmacht.« Ich erklärte ihr, dass man sich den Beckenboden nach der Geburt wie ein ausgeleiertes Trampolin vorstellen müsste, und dass sie, wenn sie diesen nicht trainiere, Probleme bekommen und inkontinent werden könne. »Und Bauchmuskel-Training?«, hakte sie nach. Dafür gilt das selbe: Erst vorher den Beckenboden trainieren und halten können... Frau F. nickte einsichtig.

Sie wirkte sehr betrübt, wie sie so auf dem Sofa und dem (Becken-) Boden der Tatsachen saß, ein Spucktuch über der Schulter und ihren vier Wochen alten Sohn, den kleinen Milo, an ihrer Brust. Wobei, was heißt klein: Knappe fünf Kilo hatte er bei der Geburt auf die Waage gebracht, er gehörte der Spezies Brummer an. DAS war mal eine sportliche Leistung: Frau F. hatte ihn spontan geboren und das bei ihrer drahtigen Figur und ihren schmalen Hüften. Wie es zu so kräftigen Babys kommt, weiß man nicht genau. Diabetes kann ein Grund sein, aber Frau F. hatte keinen. Wahrscheinlich war es einfach Veranlagung. Von ihrer Mutter wusste sie, dass einige in der Familie als Baby sehr groß waren.

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Angetrieben von ihrem eigenen Ehrgeiz – Frau F. und ihr Freund waren tatsächlich Hobby-Triathleten – und vielleicht auch von dem Gedanken, dass sich ein gesunder Lebensstil auf das Baby im Bauch auswirken würde, war Frau F. bis in den sechsten Monat mehrmals die Woche joggen gewesen und bis kurz vor der Entbindung schwimmen. Wie vor der Schwangerschaft auch. Dagegen hatte ja auch nichts gesprochen. Nur jetzt konnte sie das Training nicht nahtlos wieder aufnehmen.

Durch die Geburt hatte sie zwar schon neun Kilo Gewicht verloren – durch das Fruchtwasser, das Gewicht des Babys, durch die Plazenta und Wassereinlagerungen. Aber ihr Bauch war, wenn auch weniger prall, immer noch ziemlich groß (auch im Vergleich zu anderen Baby-Bäuchen nach der Geburt). Hatten ja auch fünf Kilo Milo dringesteckt. »Ich war gestern beim Frauenarzt zur Laborkontrolle«, erzählte Frau F, »im Wartezimmer hat mich eine der Frauen gefragt, wann es denn bei mir soweit ist.« »Autsch!« - ich verzog das Gesicht. »Die Frau hat es sicher nett gemeint«, sagte Frau F. »Aber ich frag mich schon, wann der Bauch sich wieder zurückbildet.«

Es ist die zweithäufigste Frage nach »Kommt bei der Geburt Stuhlgang mit raus?«. Bitte wieder so aussehen wie vor der Schwangerschaft, unverzüglich zu den Original-Einstellungen zurück – das wünschen sich so viele Frauen. Ich frage mich immer, warum wir denken, unser Körper – egal ob der von Frauen oder Männern – dürfe sich nicht verändern. Nicht drastisch an Gewicht gewinnen, nicht altern, nicht faltig werden.

Die einzige gesellschaftlich akzeptierte Veränderung ist die Schwangerschaft. Für die Zeit direkt danach behaupten die Heidi Klums dieser Welt und Voyeurismus-Postillen wie InTouch oder Ok!, dass es diesen ominösen Reset-Knopf für den Körper eben doch gibt: Wenn man sich nur genügend anstrengt und richtig ernährt und mit seinem Personal Coach gezieltes Training macht, dann bekommt man zusätzlich zu einem Kind noch eine weitere Trophäe: den »After Baby Body«. Was für ein Bullshit. Und wie gefährlich.

Ja, manche Frauen haben glückliche Gene und super Bindegewebe, da sieht man nach Monaten wirklich kaum, dass sie ein oder mehrere Kinder bekommen haben. Da schlabbert nichts, da stehen die Brüste. Schön für sie. Es ist nicht der Normalfall.

Auch mit immer mehr Produkten wird den Frauen suggeriert: Wenn du hier cremst und da ölst, bekommst du keine hässlichen Schwangerschaftsstreifen. Das heißt im Umkehrschluss, wenn nicht, selber Schuld, oder was? Nochmal: Vieles ist Veranlagung. Und ja, man muss auf seinen Körper acht geben, ob schwanger, im Wochenbett oder einfach so. Aber sind diese Streifen nicht die denkbar schönsten Spuren des Lebens? Der Beweis, dass man einen anderen Menschen produziert, aus sich heraus hervorgebracht hat? Volle Props für alle Mütter, die in den sozialen Netzwerken seit einigen Jahren unter Hashtags wie #loveyourlines oder #takebackpostpartum zeigen, wie ihr Körper eben aussieht nach einer Schwangerschaft – eure Offenheit ist so wohltuend.

Eine Hippie-Klischee-Hebamme aus der Ausbildung, über deren Wallewalle-Klamotten wir uns immer amüsiert haben, hat mal darauf hingewiesen, dass der Bauch einer Frau nach der Geburt aus einem ganz bestimmten Grund weich und gemütlich ist: damit sich das Baby einkuscheln kann. Recht hat sie.

Aber das Schlank- und Straff-Postulat, dem Frauen ihr Leben lang ausgesetzt sind, führt dazu, den von der Schwangerschaft gezeichneten Bauch nicht als weich und gemütlich, sondern als faltig und wabbelig wahrzunehmen. Selbst wenn die meisten verstandesmäßig wissen, dass »das noch weg geht«, bekümmert es sie im Wochenbett. Da mischt sich zum Schlafmangel, zur Alltagsüberforderung ob all der neuen Aufgaben und Sorgen, zum Eindruck, ein Leben als Milch-Vollautomat zu führen, der simple Wunsch: Ich will mein Leben zurück, und das heißt vor allem: meinen Körper.

»Ach, Liebes! Gib dir noch etwas Zeit«, sagte schließlich Herr F., während er sich die Laufschuhe zuschnürte und zum Joggen los wollte. Draußen schien nach vielen grauen Tagen erstmals wieder die Sonne. »Du hast leicht reden...«, entgegnete ihm Frau F. bitter. – »Ich weiß. Mir würde der Sport auch fehlen. Aber ich kann nur sagen: Ich bin unglaublich stolz auf dich, deinen Körper und was er geleistet hat.« Er gab erst dem Kleinen ein Bussi, dann ihr. Ich schmolz kurz.

Als die Tür ins Schloss fiel, heckte ich mit Frau F. einen Plan aus, wie sie peu à peu wieder aktiver werden konnte. Ich merkte, dass nur das sie aus diesem Loch herausziehen würde. Wir machten einen Trainingsplan für Beckenboden-Übungen, ich zeigte ihr ein paar Youtube-Videos mit Anleitungen, gab ihr Tipps, wie sie kleine Übungen in den Alltag und sogar in den Kinderwagenspaziergang einbauen konnte; und ich nahm ihr das Versprechen ab, es wirklich langsam angehen zu lassen. Dann packte ich meine Sachen, schwang mich auf mein Fahrrad und genoss den Fahrtwind, während ich motiviert in die Pedale trat.