Kampf der Kulturen

Seit fünf Jahren verstoßen die USA in Guantanamo gegen die Menschenrechte. Berichte von Augenzeugen.

Die Ankunft

Nizar Sassi, Gefangener Nummer 325, von Januar 2002 bis 26. Juli 2004 inhaftiert.
Nachdem das Flugzeug auf der Landebahn aufgesetzt hatte, trieben die Soldaten uns aus der Maschine. Mein erster Gedanke war: Hier ist es besser als im Gefangenenlager in Kandahar. Weil es hier warm war. In Kandahar war es enorm kalt gewesen. Dann scheuchte man uns aus dem Flugzeug. Ich stolperte herum, fiel hin und wurde hoch gerissen, und fiel wieder. Meine Augen waren ja mit einer großen geschwärzten Brille verdeckt, so dass ich nichts sehen konnte, die Hände waren über dem Bauch festgebunden und ich stand noch unter dem Einfluss der Drogen, die uns die Amerikaner für den langen Flug verpasst hatten.

Carol Rosenberg, 47, Reporterin des Miami Herald, bis heute über 500 Tage in Guantanamo.
Wir sahen, wie sie auf dem Rollfeld ankamen. Niemand wusste, wer kommen würde, wie lange sie bleiben würden, wie die Gefangenschaft aussehen würde, welche Rechte sie hätten. Es gab keine Kameras und eine Art Presseboykott für vier oder fünf Stunden. Erst dann durften wir aufschreiben, was wir sahen: Männer in orangefarbenen Overalls, die mit Fußfesseln, Scheuklappen, Ohrenschützern und Gesichtsmasken aus dem Flugzeug hinaustorkelten, nach einem 27-Stunden-Flug aus dem eiskalten Afghanistan. Sie wurden mit Zwischenstopp in der Türkei ausgeflogen in die Hitze von Guantanamo. Sie brachen auf der Rollbahn zusammen.

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Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Vor dem Flugzeug nahmen uns Soldaten in Empfang. Sie trieben uns in einen Bus, wo sie mich wieder am Boden fest ketteten. Sie suchten nur nach einem Vorwand, um zuzuschlagen. „Setz dich nicht so hin!“ Wieder ein Schlag. „Setz dich nicht so hin!“ Wieder ein Schlag. Dann hörten sie plötzlich auf und es war still. Für ein paar Augenblicke. Dann hetzten sie Hunde auf mich, die mich in die Waden bissen. Ein Soldat stellte sich über mich und pinkelte auf mich herab. Ich habe mir immer und immer wieder gesagt: Ich werde nicht sterben.

Carol Rosenberg, 47, Reporterin des Miami Herald.
Als die Männer auf der Rollbahn kollabierten, diskutierten wir Journalisten, ob sie fielen, weil die Marines sie geschlagen haben oder weil sie vom Flug so geschwächt waren. Als die Menschen aus dem Flugzeug kamen, merkte man, dass sie Angst haben. Aber auch die Soldaten hatten Angst. Ihnen hatte man ja gesagt, die Schlimmsten der Schlimmen kämen:

Ruhal Ahmed, 25, Gefangener Nummer 110, von Februar 2002 bis 5. März 2004 inhaftiert.
Wir fuhren in dem Bus vom Flughafen, es war ein Bus ohne Sitze, damit wir auf dem Boden festgekettet werden konnten. Die Hände sollten wir seitlich am Oberkörper halten, was wegen der Fesseln sehr weh tat. Nach einiger Zeit legte ich meine Hände in den Schoß. Sofort brüllte mich ein Soldat an, ich solle die Hände auf mein linkes Knie legen. Weil ich tat, was er sagte, wusste er, dass ich Englisch verstand. „This motherfucker speaks english“, schrie er und schlug und trat mich zusammen.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Im Lager bekam ich ein Plastikband mit der Nummer 325 um den Arm. Meine Gefangenennummer. Von da an sprachen sie mich nur noch mit “325“ an. Die Männer erklärten mir, dass ich mich auf einer Militärbasis befände, auf der ein General das Sagen hätte. Danach sperrten sie mich in eine Zelle. Das war Camp X-Ray, ein Zoo, in dem überall Menschen eingepfercht waren wie Tiere.

John Lonergan, 43, US-Army, Oberstleutnant der Reserve, kommandierte von März 2005 bis März 2006 eine Einheit in Guantanamo.
Meine Soldaten und ich waren stolz auf die Mission in Guantanamo, immerhin ging es um den Kampf gegen den Terrorismus. Viele wären allerdings lieber im Irak oder in Afghanistan gewesen. Man fühlt eine Art Schuld, wenn man in einer relativ sicheren Umgebung auf einer Marinebasis dient. Das ging mir ähnlich.

Gitanjali Gutierrez, 36, Anwältin von einigen ehemaligen und einem derzeitigen Häftling. War zehnmal in Guantanamo.
Ich bekam als erster Anwalt die Möglichkeit, einen Mandanten in Guantanamo zu besuchen. Eigentlich wollten drei Anwälte kommen, aber am Tag vor unserer Abreise änderte das Militär die Regeln und nur ich durfte hin. Es passiert ständig, dass Vorschriften geändert werden. Das gehört zur Ermüdungstaktik gegenüber Anwälten.

Martha Rayner, 47, Juraprofessorin und Anwältin von vier Häftlingen aus Saudi-Arabien und dem Jemen.
Der Weg nach Guantanamo ist lang und beschwerlich für uns Anwälte. Man braucht eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Justizministerium, allein das dauert etwa 2 Monate. Dann fliegen nur zwei kleine Fluggesellschaften Guantanamo Bay an, Lynx Air und Air Sunshine, und die paar Plätze sind immer schnell weg. Außerdem muss man mit dem Justizministerium einen genauen Zeitplan absprechen: Wann und wie lange will man welchen Gefangenen sehen.

Clive Stafford-Smith, 47, Anwalt von 36 inhaftierten Gefangenen und Rechtsdirektor der Menschenrechtsorganisation Reprieve.
Wir landen nicht auf der Seite der Bucht, wo die Gefangenen gehalten werden und die Soldaten wohnen, sondern auf der anderen, der östlichen. Dort ist außer dem Flugplatz nur noch ein Wohnhaus für die zivilen Arbeitern, eine zweigeschossigen Baracke, in der Anwälte, Journalisten und Übersetzer untergebracht werden und die langweiligste Bar Amerikas. Morgens müssen wir mit der Fähre auf die andere Seite der Bucht, dort nimmt uns eine Militäreskorte in Empfang. Ab jetzt können wir keinen Schritt ohne sie tun. Sie bringen uns zum Camp Echo, wo sich die Anwälte mit den Gefangenen treffen. Nach mehreren Kontrollen, einigen Toren und Schleusen und einer Menge Stacheldraht sind wir endlich am Checkpoint: ein kleines Wachhäuschen und ein Tisch. Dort werden wir noch einmal durchsucht. Oft ist ein Soldat für drei Anwaltsteams zuständig, das kann dauern. Währenddessen warten die Gefangenen gefesselt im Gesprächsraum. In Guantanamo verzögert sich immer alles. Das ist Methode.

Simon Schorno, 39, Mitarbeiter des Roten Kreuzes in Washington.
Unser Gepäck wird am Flughafen durchsucht, wie das aller anderen Ankömmlinge auch. Allerdings haben wir Diplomatengepäck, auf das die Soldaten nur einen flüchtigen Blick werfen dürfen. Darin sind die Akten der Gefangenen.

Mahvish Khan, 28, dolmetscht zwischen afghanischen Gefangenen und deren Anwälten, war über 30mal in Guantanamo.
Wenn neue Anwälte dabei sind, jemand Briefe oder Fotos von der Familie mit hat, es am Tag davor Probleme mit einem Insassen gab oder der Häftling eines Anwalt krank ist, kann das dauern: Ich habe schon vier Stunden im Bus gesessen und gewartet. Das kostet wertvolle Zeit, die von den Gesprächen mit den Häftlingen abgeht.

James Yee, 38, von 5. November 2002 bis 10. September 2003 muslimischer Militärgeistlicher in Guantanamo.
Als ich nach Guantanamo kam, wusste ich nur, dass dort die Genfer Kriegsgefangenen-Konventionen nicht angewendet wurden. Deswegen durften wir die Männer nie Gefangene nennen, sondern immer nur Inhaftierte.

Der Alltag in Guantanamo

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Von meiner Zelle in Camp X-Ray aus konnte ich noch Hügel und eine kleine Straße sehen, auf der das Militär vorbeifuhr. Die Zelle war 1,80 mal 2 Meter groß. Zwei Eimer, einer mit Waschwasser, einer für die Toilette, ein Stück Seife, Handtuch, Feldflasche mit stark gechlortem Trinkwasser. In der Ecke der Zelle liegt ein zweisprachiger Koran (= Englisch-Arabisch) und eine kleine Schaumstoffmatratze zum Schlafen. Die Landschaft war wie ein Paradies mit vielen Tieren: Leguane, Schlangen, viele Vögel. Das Camp war offen für die Natur. Die Schlangen waren so nah dran, dass sie in die Zellen krochen. Aber niemand ist gebissen worden. Sie waren sehr lang, aber ich glaube nicht, dass sie giftig waren. Nach ein paar Monaten wurden wir nach Camp Delta verfrachtet, das war der härteste Moment meiner gesamten Zeit in Guantanamo: Jetzt wusste ich, dass ich Jahre bleiben würde. Viele Gefangenen haben Probleme mit ihrer Sicht bekommen. Denn sie sehen hier jahrelang nur Gegenstände, die nicht weiter als drei Meter entfernt stehen. Die Gitterstäbe waren dort aus fluoreszierendem Grün. Das tut den Augen weh, es blendet. In Camp Delta hat sich alles geändert. Dort habe ich fast den Verstand verloren. Mein Nachbar ist total durchgedreht, er hat sich nackt ausgezogen und mit seinen eigenen Exkrementen eingeschmiert. Camp Delta ist ein Ort, um Leute in den Wahnsinn zu treiben.

Gitanjali Gutierrez, 36, Anwältin.
Guantanamo Bay hat traumhafte, felsige Strände und wirkt an vielen Orten wie ein Urlaubsparadies. Nicht im Camp Delta, dort sitzen die Häftlinge in soliden Zementzellen. Alles, was sie sehen, ist grüner Maschendraht und grauer Beton. Viele Gefangenen dort haben noch nie das Meer oder Gras oder einen Baum gesehen. Manche sehen noch nicht einmal Tageslicht.

Mahvish Khan, 28, Dolmetscherin.
Als ich nach Guantanamo kam, hatte ich einen finsteren Ort erwartet. Stattdessen strahlende Sonne, lachende junge Soldaten, feuchtfröhliche Grillabende und Strände, die förmlich nach nächtlichen Schwimmausflügen rufen. Wenn wir von den Gefangenen zurückfahren, halten wir an einem Supermarkt und kaufen Holzkohle, Steaks, Kartoffeln, Chips, Bier und Wein. In Guantanamo wird viel gegrillt, alle grillen.

Ruhal Ahmed, 25, ehemaliger Gefangener.
Zuerst war es verboten, sich zu unterhalten. Wer sich nicht daran hielt, wurde geschlagen. Später erlaubten sie den Zellennachbarn miteinander zu reden. Mir brachte das nichts, weil alle arabisch sprachen, und ich kein Wort arabisch konnte. Mit der Zeit lernte ich es, um wenigstens mit irgendjemandem sprechen zu können.

Martha Rayner, 47, Anwältin.
Der zivile Teil der Militärbasis unterscheidet sich kaum von einer x-beliebigen amerikanischen Kleinstadt: Straßen ohne Bürgersteige, McDonald’s, Subway, Kentucky Fried Chicken und Starbuckskaffee, eine Schule für die Kinder der zivilen und militärischen Angestellten und eine Bowlingbahn. Im Souvenirshop kann man sogar T-Shirts, Kühlschrankmagneten und Postkarten kaufen, mit der Aufschrift „Greetings from Guantanamo Bay“.

Daryl Matthews, 59, psychiatrischer Gutachter, beauftragt, eine Studie über das Lager zu erstellen.
In einem der Läden konnte man T-Shirts kaufen, auf denen ein Gefangener auf einem elektrischen Stuhl zu sehen ist. Darunter steht: „Taliban chat room“.

Mahvish Khan, 28, Dolmetscherin.
Einige Gefangene scheinen verrückt geworden zu sein. Ein Mann rannte vor und zurück wie ein tollwütiges Tier, als ich mit ihm durch die Gitterstäbe seines Käfigs sprechen wollte. Er ist seit fünf Jahren in Einzelhaft. Ein einziges Mal blieb er stehen, setzte sich hin und schaute mich an: Als ich ihm erzählte, dass seine Großmutter fünfmal am Tag für ihn betet.

Gitanjali Gutierrez, 36, Anwältin.
Ich bringe meinen Mandanten immer Essen mit. Meine Klienten sind alle Vegetarier, also bringe ich von McDonalds Egg McMuffins und Apfeltaschen oder eine vegetarische Pizza von Subway mit aber auch Snickers, Twix-Riegel und Coca-Cola. Oft lassen die Wachen meine Häftlinge nicht einmal aufessen. Das letzte Stück Pizza bleibt dann liegen, einfach, weil man die Häftlinge schikaniert, wo es geht.

Mahvish Khan, 28, Dolmetscherin.
Die afghanischen Gefangenen, für die ich übersetze, behandeln mich und ihre Anwälte wie Gäste: Wenn wir etwas zum Essen mitbringen, warten sie mit dem Essen solange, bis wir auch essen. Trotz der Fußfesseln stehen sie jedes Mal auf, um uns ihren Respekt zu erweisen, wenn wir gehen. Sie haben ihre Umgangsformen und ihren Sinn für Humor nicht verloren. Manche scherzen sogar die ganze Zeit über. Das ist ihre Art, damit fertig zu werden. Für mich sind sie wie Brüder, wie Väter, wie Freunde.

John Lonergan, 43, Oberstleutnant der US-Army.
In Guantanamo ernährt man sich von typischem Cafeteria-Essen. Die Speisen sind hervorragend. Es gibt viel Gemüse und frischen Salat. Man kann aber auch Hamburger und Hot-Dogs haben.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Die Tage liefen immer gleich ab: Zum Morgengebet bei Sonnenaufgang standen wir auf. Danach gab es Eier oder Cornflakes, in kleinen Portionen. Gegen zwölf Uhr gab es Militärrationen, für uns allerdings kalt. Bei Sonnenuntergang erhielten wir meist warme Reisgerichte. Einmal in der Woche durfte man 15 Minuten vor die Zelle und zehn Minuten duschen, aber oft erst abends, so dass ich wochenlang keine Sonne sah. Zwischendurch legte ich mich hin, wurde zum Verhör gebracht oder machte Sport, ein paar Gymnastikübungen in der Zelle. Manchmal haben die Wachen mir auch das verboten, ohne Begründung.

John Lonergan, 43, Oberstleutnant der US-Army.
Die Freizeitmöglichkeiten in Guantanamo sind exzellent. Nach Dienstschluss habe ich mir immer sofort Shorts und T-Shirts angezogen. Dann kann man fischen gehen, tauchen oder zum Bowlen, an den Strand, ins Fitnessstudio oder ins Lyceum, das kostenlose Freiluftkino. In meinem Jahr in Guantanamo war ich so oft im Fitnessstudio, dass ich jetzt besser in Form bin als vorher. Ich habe auch viel gelesen: Bücher über die Entwicklung des Militärs und der Militärführung oder einfach Romane, um zu entspannen.

Carol Rosenberg, 47, Reporterin des Miami Herald.
Als die Gefangenen kamen, hatten die zivilen Angestellten der Militärbasis, meist Jamaikaner oder Filipinos, große Angst. Früher war Guantanamo Bay ein kleiner, friedlicher Ort, an dem sie ihr Geld verdienten. Plötzlich ist es eine Hochsicherheitsbasis, von der die ganze Welt spricht. Mittlerweile ist es normal für sie geworden. Sie sprechen nicht darüber. Das Gefangenenlager hat die Lage für die zivilen Angestellten sogar verbessert: Sie bekommen mehr Geld.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Während der Fußballweltmeisterschaft 2002 steckten mir ein paar Wachen, die wussten, dass ich Fußballfan bin, ab und zu Ergebnisse zu.

Simon Schorno, 39, Rotes Kreuz Washington.
Meistens treffen wir die Gefangenen außerhalb des Trakts, in dem sie einsitzen. Die Soldaten bringen die Gefangenen zu uns. Wir haben einen Tisch, Plastikstühle und Sonnenschirme, damit wir im Schatten sitzen können. Die Wachen bleiben in der Nähe, müssen aber so weit entfernt stehen, so dass sie nicht hören können, was wir sprechen. Wir haben Kekse und Orangensaft dabei. In Camp 5, wo sich die Häftlinge in Isolationshaft befinden, treffen wir uns mit ihnen in einer einzelnen Zelle.

Mahvish Khan, 28, Dolmetscherin.
Guantanamo ist ein sehr verwirrender Ort. Solange ich dort bin, versuche ich nicht zu weinen. Manchmal passiert es trotzdem, zum Beispiel, als ich übersetzen musste, dass die Mutter eines Insassen gestorben ist. Aber normalerweise konzentriere ich mich im Lager auf die Arbeit, und danach, an den Abenden, verdränge ich alles und lenke mich irgendwie ab.

Gitanjali Gutierrez, 36, Anwältin.
Manchmal sind wir noch im Lager, wenn gegen 18 Uhr die amerikanische Nationalhymne über die Lautsprecher gespielt wird. Dann herrscht eine sehr komische, verkrampfte Stille: alle Soldaten bleiben stehen, salutieren und grüßen die Fahne. Zurück im Hotel esse ich eine Kleinigkeit, ich bringe nicht so viel runter, wenn ich den ganzen Tag mit gefesselten Mandanten verbracht habe. Man kann dort draußen sitzen und den tollen Sonnenuntergang auf der karibischen Insel anschauen. Aber das einzige, woran ich denken kann, ist mein drei Meilen weiter sitzender Mandant in einer fensterlosen Zelle.

Daryl Matthews, 59, psychiatrischer Gutachter.
Für meine Studie über den mentalen Gesundheitszustand der Häftlinge durfte ich auch nachts ins Camp. Eine gespenstische Situation: Einer der Gefangenen ruft zum Gebet, und viele andere stimmen mit ein. Vollkommen versunken knien sie im Licht der vielen grellen Scheinwerfer, die das Lager beleuchten, während über ihnen die amerikanische Flagge weht.

Mahvish Khan, 28, Dolmetscherin.
Erst im Flugzeug Richtung Florida komme ich zur Ruhe. Dann setze ich meine große Sonnenbrille auf, so sieht niemand meine Tränen.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Ich habe viel geträumt in Guantanamo. Ich träumte, dass ich aus dem Lager draußen bin und meine Familie und Freunde treffe, aber dann wachte ich am Morgen wieder in der Zelle auf.

Der Kampf im Lager

Ruhal Ahmed, 25, ehemaliger Gefangener.
Ab und zu bekamen alle Gefangenen irgendwelche Spritzen. Wenn man sich dagegen wehrte, stürmten fünf Typen mit Helmen, kugelsicheren Westen, Schilden und schwarzen Knie- und Ellenbogenschonern in deine Zelle, sprühten dir Pfefferspray ins Gesicht und schlugen dich zusammen. Sie waren die Eingreiftruppe. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft sie in meine Zelle kamen.

John Lonergan, 43, Oberstleutnant der US-Army.
Einige der Gefangenen sind hoch gefährliche Terroristen. Es ist ihr Job, Widerstand zu leisten und Zwischenfälle zu provozieren. Das sind Leute, die sich selbst verletzen, um daraus einen Vorfall zu machen.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Die Amerikaner haben uns in die Kategorien eins bis vier eingeteilt. Kategorie eins waren die ruhigsten, sie haben nie revoltiert. Sie bekamen ein T-Shirt mehr. Kategorie vier hat nicht einmal eine Hose bekommen, nur ein Hemd. Die Schlimmsten haben sie in Camp 5 gesteckt, wo sie total isoliert wurden. Ich pendelte zwischen den Kategorien 1 und 2.

Clive Stafford-Smith, 47, Anwalt.
Einmal packte mich ein Verbindungsoffizier, schob mich in eine Zelle und sperrte ab. Er beschuldigte mich, ich sei der Urheber eines Hungerstreiks, der gerade unter den Häftlingen lief. Ich brüllte ihn zwanzig Minuten lang an, er brüllte zurück. Danach durfte ich gehen.

John Lonergan, 43, Oberstleutnant der US-Army.
Die Anwälte von Gefangenen haben nur ein Interesse: Sie werden alles sagen und tun, um Aufmerksamkeit zu erregen. Aber wir behandeln die Gefangenen mit Respekt und Würde.

Ruhal Ahmed, 25, ehemaliger Gefangener.
Als ich mich über das Essen beschwerte – grüne Bohnen, verfärbte Milch und hart gekochte, grüne Eier – wurde ich eine Woche in Isolationshaft gesteckt. In einen Raum, dessen Decke, Seiten und Boden komplett aus Metall waren. Wie lange man dort blieb, hing von einem selbst ab. Wenn man bei den Verhören kooperierte, kam man wieder zu den anderen Gefangenen. Man musste nur irgendetwas sagen, was sie hören wollten.

Clive Stafford-Smith, 47, Anwalt.
Die Soldaten versuchen systematisch, das Vertrauen zwischen Anwalt und Klient zu zerstören. Man sagte den Gefangenen, dass ihre Anwälte Juden oder schwul seien. Manchmal sprach ich morgens mit einem Mandanten, nachmittags wurde er verhört. Dabei stellte man ihnen Fragen nach Dingen, die sie mir, nicht aber dem Militär erzählt hatten. Ich nehme also an, dass unsere Gespräche abgehört werden, obwohl uns Vertraulichkeit zugesichert worden ist.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Wenn die Verhörspezialisten vermuten, dass ein Gefangener Informationen hat, wenden sie alle Mittel an, manchmal gemeinsam mit Psychologen und Ärzten. Sie wussten, wie man Menschen kaputtmacht: Kein Schlaf, drei Tage in einem schalldichten Raum mit lauter Musik, Drogen.

Simon Schorno, 39, Rotes Kreuz Washington.
Wir dürfen in alle sechs Lager von Camp Delta und Camp Echo. Wir wollen aber nicht dauerhaft auf der Base bleiben. Denn wir wollen kein Teil des Gefangenenlagers sein. Wir wollen klarmachen, dass wir unabhängige Beobachter sind.

Ruhal Ahmed, 25, ehemaliger Gefangener.
Das Schlimmste waren die Verhöre. Ich musste stundenlang in der so genannten Stressposition verharren. Dabei wurden die Arme mit den Beinen am Boden ganz eng zusammen gekettet. Sie ließen dann Hunde rein oder stellten die Klimaanlage ganz kalt oder so heiß, dass ich das Gefühl hatte, in dem Raum gekocht zu werden.

Daryl Matthews, 59, psychiatrischer Gutachter.
Ich sollte die psychiatrische Abteilung in Guantanamo bewerten. Zu den Verhören durfte ich nicht, was für ein Witz. Die meisten Gefangenen waren depressiv, sie litten unter Persönlichkeitsstörungen und Angstanfällen. Ich wollte diesen Männern irgendwie helfen, aber ich durfte nicht als Psychiater mit ihnen reden.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Das einzige Mittel, um die Amerikaner zu etwas zu bewegen, ist der Hungerstreik. Einmal protestierte mein ganzer Block so gegen Fußfesseln, die sich tief ins Fleisch einschnitten. Ein Hungerstreik kotzt die Amerikaner richtig an. Denn sie müssen verhindern, dass wir sterben. Nach dem Hungerstreik wurden die Fesseln über der Hose angebracht.

David Rose, 47, englischer Journalist.
Ich sprach mit dem Arzt, der die Zwangsernährung an den Gefangenen durchführte. Er sagte, dass die Selbstmordversuche der Gefangenen keine Selbstmordversuche gewesen seien, sondern „manipulatives, Aufmerksamkeit erheischendes Verhalten“ sei. Darauf war er stolz, diese Umschreibung hatte er selbst erfunden.

James Yee, 38, ehemaliger muslimischer Militärgeistlicher in Guantanamo.
Ich habe selber mitangesehen, wie der Koran entweiht wurde. Sie hielten ihn hoch und schüttelten die Seiten durch, weil sie dachten, sie fänden darin versteckte Messer. Danach warfen sie ihn in eine dreckige Zellenecke. Manchmal rissen sie auch Seiten heraus, die ich später wieder einklebte. Die Wächter versuchen ständig, die Gefangenen zu provozieren, sie sprechen sie an, während sie beten, denn ein Muslim darf nicht reden, während er betet. Wenn die Häftlinge dann nicht antworten, werden sie zusammengeschlagen.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Wir organisierten uns. Beleidigten die Wärter uns, schütteten wir Eimer voll Wasser auf sie. Misshandelten sie einen Häftling, wurden sie mit Urin bespritzt. Wenn sie einen Gefangenen während des Betens störten oder den Koran schändeten, bekamen sie eine Ladung Exkremente ab.

John Lonergan, 43, Oberstleutnant der US-Army.
Viele Gefangenen haben jeden Tag diese so genannten „menschlichen Cocktails“ auf die Wachen geschleudert. Leider gibt es beim Militär manchmal Leute, die darauf reagieren. Und das landet dann auf der ersten Seite der Zeitungen. Aber es ist schwer für die Soldaten, die oft erst 19 oder 20 Jahre alt sind und einen immens guten Job machen, ruhig zu bleiben.

Daryl Matthews, 59, psychiatrischer Gutachter.
Der größte Unterschied zu anderen US-Gefängnissen ist die kulturelle Kluft zwischen dem Personal und den Gefangenen. Natürlich sind unter den Wärtern ein paar böse Rassisten, aber viele haben einfach Angst, wenn sie in den Trakt gehen.

John Lonergan, 43, Oberstleutnant der US-Army.
Wir haben ein professionelles Verhältnis zu den Gefangenen. Sie wollen immer reden, reden, reden. Aber wir sind nicht hier, um eine Beziehung zu den Gefangenen aufzubauen.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Einige Soldaten waren gegen das System Guantanamo. Ich habe sie wegen uns weinen gesehen. Es hat sich fast so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Wenn irgendein Mithäftling ein T-Shirt oder Medikamente brauchte, sprach ich mit einer Wache, mit der ich gut auskam. Dann hatte der Mithäftling sofort, was er brauchte.

David Rose, 47, englischer Journalist.
Die Soldaten dort sind meist schlecht ausgebildete Reservisten, die eigentlich Glück gehabt haben: Sie hätten auch im Irak landen können. Ihnen wird vorher erzählt, dass sie es mit den gefährlichsten Menschen der Welt zu tun hätten. Menschen, denen man nicht einmal Zahnbürsten geben dürfte, weil sie damit die Augen der Wärter ausstechen würden. Und dann müssen sie feststellen, dass in den Zellen völlig verzweifelte Männer hocken.

John Lonergan, 43, Oberstleutnant der US-Army.
Das sind keine Schafhirten, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Wenn wir in den Bergen Afghanistans jemanden aufgreifen, der ein Satellitentelefon und 3000 Dollar in Bar dabei hat, glauben Sie dann, dass er ein Schafhirte ist? Die Insassen sind alle nicht ohne Grund in Guantanamo.

Ruhal Ahmed, 25, ehemaliger Gefangener.
Einmal wurde ich von einer Frau verhört, die mich fragte, was ich in Afghanistan für Kleidung getragen hätte. Ich sagte: Meistens eine Adidas-Trainingsjacke. Sie zeigte mir ein Foto, auf dem total unscharf ein Mann in einer Adidas-Jacke bei einer Rede Osama bin Ladens zu sehen war. Damit wollten sie beweisen, dass ich Mitglied von Al-Qaida sei.

James Yee, 38, ehemaliger muslimischer Militärgeistlicher in Guantanamo.
Am 10. September 2003 wollte ich von Guantanamo nach Hause fliegen. In Florida wurde ich von FBI-Beamten verhaftet, wegen Spionage-Verdachts. Darauf steht die Todesstrafe. Ich musste einen orangefarbenen Overall anziehen, wie ihn die Gefangenen in Guantanamo tragen müssen. Sie steckten mich für 76 Tage in Isolationshaft. Danach wurde ich frei gelassen, einfach so. Ohne dass es zu einer Verhandlung gekommen wäre. Angeblich seien die Beweise nicht verwertbar gewesen. Ich wurde ehrenhaft aus der Armee entlassen, erhielt aber bis heute keine offizielle Entschuldigung.

Kein Ende drinnen – keine Zukunft draußen

Clive Stafford-Smith, 47, Anwalt.
Jetzt sind viel mehr Gefangene als früher in den Hochsicherheitszellen eingesperrt – etwa 75 Prozent aller Gefangenen. Und selbst so lächerliche Privilegien wie „etwas zu lesen bekommen“ wurden extrem eingeschränkt.

Gitanjali Gutierrez, 36, Anwältin.
Seit September 2006 sind in Guantanamo auch 14 CIA-Gefangene, darunter mutmaßliche Attentäter vom 11. September 2001. Vielleicht ist das die Zukunft von Guantanamo, eine Haftanstalt in rechtsfreier Zone, in die die USA Gefangene bringt, die sie nirgendwo sonst haben will. Im Dezember wurde ein neuer Hochsicherheitstrakt in Betriebe genommen.

Katherine Newell Bierman, 38, Beobachterin bei den Militärtribunalen in Guantanamo.
Ende September verabschiedete der Kongress ein Gesetz, wonach die Militärtribunale wieder beginnen sollen, gerade wurde für 125 Millionen Dollar ein neues Gerichtsgebäude für die Militärtribunale gebaut. Aber in Guantanamo sind selbst die niedrigsten juristischen Standards bedroht.

Mark Denbeaux, 63, Anwalt von zwei tunesischen Gefangenen.
Ich glaube, die offizielle Position ist, dass die Militärtribunale nächsten Sommer abgehalten werden. Wahrscheinlicher ist es aber, dass sie zu dem Zeitpunkt nicht abgehalten werden, vielleicht sogar nie. Ich glaube nicht, dass die Regierung weiß, was sie will, und noch weniger glaube ich, dass sie das dann auch umsetzen könnte. Wenn sie die Tribunale eröffnen und auch nur einen Prozess verlieren würden, wäre das verheerend. Und so, wie sie sich bisher angestellt haben, würden sie wahrscheinlich eine ganze Menge der Prozesse verlieren. Die Regierung weiß wahrscheinlich jetzt, was sie mit Guantanamo angerichtet hat, aber gleichzeitig hat sie keine Ahnung, wie sie da wieder rauskommen soll.

John D. Altenburg, 62, ehemaliger Leiter der Militärtribunale.
Um mutmaßliche Kriegsverbrechen zu verhandeln, sind Militärtribunale eine angemessene Methode. Wir wollen faire und gerechte Verhandlungen. Das ist das Prinzip von Guantanamo: Das Rote Kreuz hatte uneingeschränkten Zugang seit der Öffnung des Lagers. Das Lager wurde von mehr als 1000 Journalisten besucht und von vielen Kongressabgeordneten. Die Inhaftierten haben mehr als 44 000 Briefe geschrieben und empfangen. Guantantamo ist die transparenteste Kriegshaftanstalt der gesamten Welt.

Nizar Sassi, 27, ehemaliger Gefangener.
Mit meiner Familie und meinen Freunden spreche ich nicht über meine Zeit in Guantanamo. Bei ihnen tue ich so, als ob es die Jahre dort nicht gegeben hätte. Ich versuche wieder ins tägliche Leben zurückzufinden. Ich arbeite in einem Lager und packe Kartons und Kisten aus und ein. Mein Leben bekommt langsam wieder Struktur. Ich kann wieder Fußball spielen.

David Rose, 47, englischer Journalist.
Mit den drei ehemaligen Häftlingen aus Tipton sprach ich zwei Tage nach ihrer Freilassung. Das waren ganz normale, junge Kerle. Einer von ihnen war früher mit einem christlichen Mädchen zusammen. Religion hatte keinerlei Bedeutung für sie. Diese Kinder litten so schwer in der Gefangenschaft, dass sie durch diese Zeit sowohl politisch als auch religiös radikalisiert wurden und sich jetzt politisch engagieren.

Gitanjali Gutierrez, 36, Anwältin.
Es hat immer noch keine Anhörungen vor einem amerikanischen Zivilgericht gegeben. Die Europäer sind alle frei. Die übrigen sprechen fast nur noch Arabisch, Urdu, Paschtu oder Farsi. Die Wärter können jetzt gar nicht mehr mit den Gefangenen kommunizieren. Für die meisten sind das nur noch Tiere. Die Zustände im Lager werden schlimmer statt besser. Es ist kein Wunder, dass sich in diesem Sommer die ersten umgebracht haben.

John Lonergan, 43, Oberstleutnant der US-Army.
Guantanamo war für uns eine sehr, sehr erfolgreiche Mission. Meiner Männer kommen aus Südkalifornien. Wir hatten alle ethnischen, religiösen und politischen Hintergründe: Schwarze, Weiße, Latinos, Muslime, Juden, Christen, Demokraten, Republikaner, Unabhängige. Das ist das schöne daran, ein amerikanischer Soldat zu sein: Es ist egal, woher wir kommen und was wir politisch denken. Wir führen unseren Auftrag aus.

Martha Rayner, 47, Anwältin.
Als ich Ende 2006 in Guantanamo war, regnete es die ganze Zeit. Sogar das Meer schien grau. Die Base war geschmückt mit Weihnachtsdekoration. Es gab einen Weihnachtsbaum mit Nadeln, die sahen aber aus wie draufgeklatscht, irgendwie alt und schlecht.

Mahvish Khan, 28, Dolmetscherin.
Ende letzten Jahres besuchte ich Haji Nusrat in Afghanistan. Er war mit über 70 Jahren der älteste Gefangene in Guantanamo. Zu meinem Erstaunen hat er keinen Hass auf die USA, er glaubt, dass das eigentliche Unrecht von seinen Landsleuten verübt wurde, die ihn gefangen nahmen und an die Amerikaner verkauften. Haji Nusrat lud mich zum Essen in sein Haus ein und schenkte mir einen bestickten Seidenschal. Er lacht wieder. Aber Guantanamo ist für ihn nicht Vergangenheit – sein Sohn wird noch immer im Lager 4 von Camp Delta festgehalten.