Die Gewissensfrage

»Meine Familie besitzt ein Familiengrab. Dort wurden bisher meine Eltern, mein Schwager und meine Frau bestattet. Nun ist meine Schwester verstorben, doch das Familiengrab bietet lediglich Platz für fünf Särge. Bin ich moralisch dazu verpflichtet, der Beisetzung meiner Schwester in unserem Familiengrab zuzustimmen, oder stellt mein eigener Wunsch, nach meinem Tode an der Seite meiner Frau zu ruhen, einen berechtigten Grund dar, diese Zustimmung zu verweigern? Urnenbestattungen kommen aus religiösen Gründen nicht in Betracht.« Hermann E., Ravensburg

Für gewöhnlich stoße ich mich ja daran, wenn auf ein Problem mit dem Vorwurf geantwortet wird: »Das hätten Sie doch vorher wissen können!« Nur verfolgt diese Kolumne den Anspruch, über den besprochenen Einzelfall hinaus das Leben der Menschen allgemein zu verbessern. Und dazu ist es notwendig, sich mit dem Tod zu beschäftigen. Das Problem war doch spätestens bei der Beisetzung Ihrer Frau absehbar: Sie und Ihre Schwester würden früher oder später sterben, dann wäre nur noch ein Platz im Grab übrig. Ein Gespräch unter Lebenden oder rechtzeitige Planung wäre dem besser gerecht geworden als nun eine einsame Entscheidung.

Doch muss man in der bestehenden Situation zu einem Ergebnis kommen: Im Grab liegen bislang Ihrer beider Eltern und Ihre jeweiligen Ehegatten. Sie und Ihre Schwester haben also ein gleich großes Interesse an dem einzig freien Grabplatz. Vielleicht hilft hier weiter, was man in einer der Oden des Horaz über den Tod lesen kann: »Alle steuern wir dem gleichen Ziele zu; für jeden wird sein Los aus der Urne geschüttelt, bis es früher oder später herausspringt und wir mit dem Kahn in die ewige Verbannung fahren müssen.« Da Sie zu Lebzeiten keine gemeinsame Regelung getroffen haben, würde ich Horazens Bild vom gleichen Ziel, der Urne und dem Los heranziehen: Im Tod sind alle gleich, Ihre Schwester hat das Los des früheren Todes ereilt, anders betrachtet, hat sie es gezogen. Und ich kann keinen Grund erkennen, von dem daraus erwachsenden »Recht der Erstverstorbenen« abzuweichen. Das ist nun freilich unbefriedigend für Sie. Deshalb sollten Sie mit der Friedhofsverwaltung sprechen, ob nicht eine Umbettung Ihrer Frau in ein neues Grab für Sie beide in Frage kommt. Wenn Ihnen besonders daran liegt, neben ihr zu liegen, schiene mir das eine sinnvolle und pragmatische Lösung.

Quellen:
Horaz, Oden II, 3, 25ff.
Original lateinisch:
„Omnes eodem cogimur, omnium
versatur urnaserius ocius
sors exitura et nos in aeternium
exilium inpositura cumbae.“

Meistgelesen diese Woche:

Das Bestattungswesen ist Ländersache, die Regelungen finden sich in den Friedhofs- und Bestattungsgesetzen der Länder, hier einschlägig wäre § 17 des Niedersächsischen Bestattungsgesetzes.

Niedersächsisches Bestattungsgesetz (BestattG)
Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (BestattG)
vom 08. 12. 2005 (Nds. GVBl. S. 381)

§ 15. Ausgrabungen und Umbettungen
1 Leichen und Aschenreste in Urnen dürfen außer in den bundesrechtlich geregelten Fällen vor Ablauf der Mindestruhezeit nur mit Genehmigung der unteren Gesundheitsbehörde ausgegraben oder umgebettet werden. 2Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. 3Die Umbettung darf auch zugelassen werden, wenn ein öffentliches Interesse dafür vorliegt, einen Friedhof ganz oder teilweise aufheben zu
können (§ 16).

Die genauere Ausgestaltung erfolgt in den Friedhofssatzungen und -ordnungen der Gemeinden.
In München sind Umbettungen beispielsweise folgendermaßen geregelt:

Satzung über die Bestattungseinrichtungen der
Landeshauptstadt München (Friedhofsatzung)
vom 8. November 2000
Stadtratsbeschluss:
25.10.2000
Bekanntmachung:
20.11.2000 (MüABl. S. 465)
Änderungen:
23.10.2002 (MüABl. S. 616)
09.08.2005 (MüABl. S. 375)
11.08.2006 (MüABl. S. 278)
28.03.2007 (MüABl. S. 93)
Die Landeshauptstadt München (Stadt) erlässt aufgrund von Art. 23 und 24 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (GO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.08.1998 (GVBl. S. 796, BayRS 2020-1-1-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.03.2000 (GVBl. S. 136), folgende Satzung:

...

§ 15 Ausgrabungen

(1) Die Totenruhe darf grundsätzlich nicht gestört werden.
(2) Die Ausgrabung von Leichen und Aschen zu anderen als zu Umbettungszwecken bedarf einer behördlichen oder einer richterlichen Anordnung.
(3) Unabhängig von sonstigen gesetzlichen Vorschriften zur Ausgrabung bedarf die Umbettung von Leichen und Aschen der vorherigen Genehmigung der Friedhofverwaltung. Während der Ruhezeit kann eine Ausgrabung auf Antrag nur vorgenommen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und wenn sie die Gesundheitsbehörde als unbedenklich erklärt. Umbettungen von Urnen aus anonymen Gräberfeldern und Bestattungen unter Bäumen sind grundsätzlich nicht möglich. Antragsberechtigt sind der/die Inhaber/in des Grabnutzungsrechts oder der/die Totenfürsorgeberechtigte im gegenseitigen Einvernehmen.
(4) Nach Ablauf der Ruhezeit noch vorhandene Leichen- oder Aschenreste können mit vorheriger Genehmigung auch in belegte Grabstätten umgebettet werden.
(5) Umbettungen von Leichen können nur in den Monaten Oktober mit März und nur außerhalb der Friedhofsöffnungszeiten vorgenommen werden. Die Teilnahme an einer Ausgrabung ist nur den Mitarbeitern der Friedhofverwaltung und den zuständigen Behörden gestattet.
(6) Ausgegrabene Leichen oder Leichenteile sind unverzüglich wieder beizusetzen und vor der Umbettung oder Überführung neu einzusargen, wenn der Sarg beschädigt ist.
(7) Neben der Zahlung der Gebühren für die Umbettung haben die Antragsteller Ersatz für alle Schäden zu leisten, die durch die Umbettung zwangsläufig entstehen.
(8) Der Ablauf der Ruhe- und der Grabnutzungszeit wird durch eine Umbettung nicht unterbrochen oder gehemmt.

Illustration: Jens Bonnke