Popsong

Hip-Hop heißt das neue Gift der Popbranche, selbst Madonna ist danach süchtig.

Allmählich muss doch mal die Frage gestellt werden, warum offenbar keine aktuelle Popnummer aus Amerika mehr ohne diese kurze, zwischengeschaltete Hip-Hop-Einlage auskommen kann. Nichts gegen Hip-Hop im Allgemeinen, aber es ist nun doch nicht die einzige Musik auf der Welt, die man gern hören möchte.

Man sieht es gerade wieder an der aktuellen Nummer eins, an Madonna und ihrem Song 4 Minutes: Bevor es richtig losgeht, schaltet sich erst einmal diese träge Männerstimme ein und murmelt etwas darüber, dass die Zeit unaufhaltsam davonlaufe. Im Video sieht man auch, wer da spricht: ein dicklicher Afroamerikaner mit Sonnenbrille, der relativ lustlos mit seinen Händen herumfuchtelt, die mit Schmuck behängt sind. Was soll das? Jeder große Madonna-Song, von Like A Virgin bis hin zu Hung Up, ließe sich mit einem solchen Vorspann problemlos ruinieren – mal ganz abgesehen von dieser eher mittelmäßigen Nummer. Hip-Hop sei in der Gegenwart nun einmal das wichtigste Musikgenre der USA und vielleicht der Welt, hören wir die Experten sagen, wer im Pop noch Erfolg haben wolle, müsse sich halt darauf einlassen. Das erklärt aber im Grunde noch gar nichts. Denn der dickliche Mann, der bei Madonna und sonst überall mitmurmeln darf, bei Justin Timberlake, Nelly Furtado, ist gar kein richtiger Hip-Hopper. Die Kunst des Rappens, die scharfzüngige Poesie der Straße, beherrscht er nicht, und den Sexappeal eines Stars hat ihm auch noch niemand vorgeworfen.

Was Leute wie Madonna wirklich brauchen, sind Beats und Melodien, denen der quasi schamanische Ruf vorauseilt, unfehlbar zu sein: Was immer er schreibt, heißt es, werde zum Hit, zu Gold und Platin. Der Mann – Timothy Mosley alias Timbaland ist sein Name – verkörpert zusammen mit Kollegen wie Pharrell Williams und anderen jenen neuen Typus des Hitproduzenten,
die aus dem Hip-Hop kommen und den Gesamtpop inzwischen in Geiselhaft genommen haben.

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Denn im Grunde stellen sie das Prinzip des Popsongs auf den Kopf. Es bestand immer darin, Star und Song zu einem perfekten Fantasieprodukt zusammenzuschmieden, die Entstehungsbedingungen dieser Fantasie aber im Dunkeln zu lassen. Die Songschreiber und Texter im Hintergrund konnten zwar Millionen mit ihren Hits verdienen, aber nur die extrovertiertesten und glamourösesten unter ihnen – Burt Bacharach, Phil Spector, Frank Farian – waren überhaupt in der Öffentlichkeit präsent.

Es war die Zeit, als es im Grunde noch genügte, reich und cool zu sein. Heute dagegen bedeutet Reichtum allein wenig, siehe Paris Hilton, viel wichtiger ist Medienpräsenz. Also benutzen Timbaland und Konsorten ihren angeblichen musikalischen Midas Touch, um ihr Gesicht in jedes Video zu halten und ihre murmelnde Präsenz in allen Popsongs zu erzwingen. Wenn sie für Sängerinnen schreiben, inszenieren sie sich sogar meist als eine Art Zuhälter und bestehen darauf, von den schönsten Frauen angeschmachtet zu werden.

Sollen sie doch, könnte man sagen – die Frage ist allerdings, was diese Marotte mit dem musikalischen Erbe der Nullerjahre anrichtet. Wann immer einzelne Songschreiber sehr dominant werden und eine Nummer eins nach der anderen landen, macht sich in den Hitparaden Eintönigkeit breit, ist das Murmeln und Stöhnen plötzlich überall. In den Achtzigerjahren führte an den Komponisten Stock, Aitken und Waterman jahrelang kein Weg vorbei, sie verstopften Radiowellen und CD-Regale mit ihrem immergleichen Soundbrei.

Bis auf wenige Nummern von Kylie Minogue erinnert sich heute kein Mensch mehr an diese Songs – und selbst auf den härtesten Eighties-Revival-Partys werden sie wohlweislich lieber ausgespart. Für Timbaland und seine Kumpane spricht, dass sie musikalisch wesentlich intelligenter sind. Umso größer ist allerdings die Gefahr, dass sie ihre ganzen potenziellen Pop-Klassiker durch ihre erzwungene Präsenz – und ihre hoffnungslose Eitelkeit – entwerten.