Panini-Bild

Warum der beste deutsche Spieler als Sammelbild nervt und lückenhafte alte Panini-Hefte viel wertvoller sind als man dachte.

Die frühesten Erinnerungen an große Fußballturniere stammen nicht allein aus dem Fernsehen, sondern vor allem aus dem Panini-Sammelalbum. Ein roter Plastikschreibtisch im Kinderzimmer, kurz vor der WM 1978: übersät mit den Bildern von kantigen polnischen Abwehrspielern mit unaussprechlichen Namen, von langhaarigen Argentiniern und Peruanern in gestreiften Trikots.

Jeder, der mit Fußball aufgewachsen ist, kann das erste bewusst miterlebte Turnier wahrscheinlich mit ähnlicher Genauigkeit datieren: Es ist jene EM oder WM, bei der man die kleinen Abziehbilder für sich entdeckte. Panini übernahm die Initiation in die Welt des Fußballs, wobei das Versenken in Namen und Daten auch anderes Wissen vermittelte. Die Flaggen von Griechenland, Polen oder Dänemark lernte man nur deshalb so früh kennen, weil sie im EM-Album abgedruckt waren. In den Bundesliga-Sammelheften wiederum ergab eine Reihe von Bildern eine große Deutschlandkarte: Wo Düsseldorf lag, wo Bremen, wo das inselartige Berlin, vermittelte sich durch die Wappen von Fortuna, Werder und Hertha BSC. Das Panini-Album war in der Grundschulzeit nicht nur ein Fußball-, sondern auch ein Geografie-Lehrbuch.

Auch wenn die Firma selbst vor jedem Turnier verlautbaren ließ, dass alle Spielerporträts in exakt gleicher Stückzahl in den Tütchen steckten, bot sich in den Schreibwarenläden in der Nähe der Schule und der Wohnung ein anderes Bild. Wer weiß, welches zufällige oder wohlkalkulierte Verteilungssystem dafür verantwortlich war: In der Nachbarschaft hatten jedenfalls alle Sammler bis zum Beginn der EM sieben oder acht Franco Causios (jenen schnauzbärtigen italienischen Mittelfeldspieler, der so finster in die Kamera blickte wie die Gesichter auf den RAF-Fahndungsplakaten), aber keinen einzigen Tony Currie aus England oder Vicente Del Bosque aus Spanien – Spieler, deren noch unbekannte Physiognomie deshalb bei den ersten Partien einen besonderen Reiz entfaltete.

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Überhaupt prägte die Frequenz, mit der die Spieler in den kleinen Tüten auftauchten, unsere Wahrnehmung so stark, dass auch ihr fußballerisches Können davon beeinflusst zu werden schien. Ein Superstar wie Michel Platini war im Sortiment der Münchner Schreibwarengeschäfte vor der EM 1984 so allgegenwärtig, dass er auf dem Platz zuerst wie ein Allerweltskicker wirkte; wir waren seines ewigen Lockenkopfs bei der Turniereröffnung bereits überdrüssig.

Und vermutlich geht es den heutigen Sammlern nicht anders: Michael Ballack etwa taucht, wie stichpunkthafte Recherchen ergeben haben, derzeit so oft in den aktuellen Päckchen auf, dass seine Aura für die Panini-Gemeinde schon vor dem ersten Spiel zu verblassen droht. Die Vorfreude auf biedere Handwerker wie Arne Friedrich oder den polnischen Abwehrrecken Jacek Bak wiederum wird von Tag zu Tag größer, weil sie als Sammelbilder offenbar kaum zu finden sind.

Wenn man heute noch einmal seine alten Panini-Hefte durchblättert, sind es seltsamerweise gerade die damals so schmerzlich empfundenen Lücken, in denen man die Sammelalben als die eigenen wiedererkennt. Ein vollständig gefülltes Heft würde nach 20, 25 Jahren nichts Persönliches mehr enthalten, wäre etwa von einem Musterexemplar der Firma nicht zu unterscheiden. Die ganze Aufregung des wochenlangen Sammelns und Tauschens, der Kampf um die Vervollständigung wird nun gerade von jenen weißen Stellen in Erinnerung gerufen, die damals nichts als Unzulänglichkeit bedeuteten. Vielleicht wiederholt sich in dieser Regung der frühere Sammlerstolz, dass ein Nachbestellen der letzten fehlenden Bilder bei dem Konzern niemals in Frage kam. Denn nur ein regelkonform – also durch Zufall oder Tausch – erworbenes Bild durfte die Lücke füllen.