Männerchor

Weltrekord? Goldmedaille? Uns doch egal: Der Mittelpunkt der Sportwelt ist ab diesem Freitagabend, Anpfiff 20.30 Uhr, wieder die Fußballbundesliga. Denn was ist schon der einstudierte Applaus von Peking gegen die Schlachtrufe einer voll besetzten Kurve? Ein Gespräch über Fangesänge und singende Männer.

    Herr Pauer, Sie beschäftigen sich beruflich mit der Fankultur im deutschen Fußball, warum singen Fans in Stadien? Eigentlich lenkt das doch vom Spiel ab ...
    Christopher Pauer:
    In Zeiten, wo sich der moderne Fußball und die echten Fans immer weiter voneinander entfernen, bieten Fangesänge die Möglichkeit, eine Meinung zu äußern. Über die Gesänge können sich Fans darstellen. Dazu kommt natürlich das Zusammengehörigkeitsgefühl, der große Chor: wenn 10 000 Leute das gleiche Lied anstimmen, das ist schon beeindruckend. Selbst wenn das Spiel schlecht ist, hat man somit eine Fluchtmöglichkeiten.

    Wie entstehen neue Lieder?
    Oft auf Auswärtsfahrten, wenn der harte Kern der Anhänger zusammen ist. Ich habe das selber erlebt, wie sich so ein Lied im Kopf einbrennt und ausbreitet, erst singen nur 50 Leute, plötzlich singen Tausend, dann die ganze Kurve, das ist ein großartiges Gefühl. Und wer singt in Deutschland am Besten?
    Das ist eine ganz schwere Frage, jede hat seine eigenen Lieder, regionale Einflusse, da möchte ich wirklich keine Rangfolge aufstellen.

    Der FC Bayern gilt als klarer Favorit auf die Meisterschaft, wie gut sind die Fangesänge dort?
    Früher hatten die Bayern eine richtig richtig starke Szene in der Südkurve, sowohl von der Lautstärke, wie auch optisch, also Choreographien. In der Allianz Arena hat das noch nicht so richtig Fuß gefasst. aber die Münchner Fans sind sehr reisefreudig, bei Auswärtsspielen ist ihr Gästeblock immer voll.

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    Gibt es Trends in den Fankurven?
    Es wird immer schwieriger Gesänge und richtige Lieder in die Fankurven zu bringen, das klassische Fanblockverhalten ist nicht mehr so einfach durchzusetzen. Es gibt zum Beispiel immer mehr Dauerkarten in den Blöcken, junge Leute, die klassischen Mitsinger, kommen schwer nach. Der Frauenanteil ist deutlich gestiegen, die Gesamtzusammensetzung der Fans hat sich verändert, es kommen mehr Familien. Die Stehplätze, die "Singing Ara", verschwinden aus den Stadien. Und auch die Preispolitik spielt eine Rolle: Das beste Beispiel ist England, wo ein Grossteil der Fankultur in den 60er Jahren entstanden ist, mit Liverpool als Wiege des Fangesangs, wo anfangs Beatles-Lieder umgedichtet wurden. In England ist die Fankultur fast am Boden: In der ersten und zweiten Liga gibt es gar keine Stehplätze mehr und beim FC Arsenal etwa kostet die billigste Dauerkarte so weit ich weiß schon 900 Pfund - gut, so schlimm ist es bei uns noch nicht.

    War die Fußball-Europameisterschaft ein wichtiger Treffpunkt um neue Ideen von anderen Ländern zu bekommen?
    Die Fans, die die Fangesänge in der Bundesliga prägen, die so genannten Ultras, nehmen an einer EM kaum teil. Allerdings gab es bei der WM 2006 einen gewissen Austausch, die argentinischen Melodien etwa.

    Was ist Ihr Lieblingsgesang?
    Da muss ich meine eigene Mannschaft nehmen, Göttingen 05, wir singen eine Version von Udo Jürgens "Griechischer Wein" umgetextet aus "Schöner Verein", das singen nur wir. Einfach, aber sehr schön finde ich auch, das hört man eher im Osten, "Ein Schuss, ein Tor – Cottbus". Was mir persönlich auf den Geist geht: wenn überall das Gleiche gesungen wird, aktuell etwa die Melodie des Songs "Seven Nation Army" von der Band The White Stripes, da geht die Kreativität, das Regionale in der Liga verloren. "Seven Nation Army" war für den Moment ganz nett, während der EM, gerade bei der Nationalmannschaft, wo sich die Leute im Fanblock weniger kennen, aber man hat gerade bei den Kroaten gesehen, dass auch eigene Lieder gehen. Was schon etwas älter ist, aber viel Humor zeigt: als Werder Bremen den Bielefelder Patrick Owomoyela abwerben wollte, haben die Fans das Lied "Emanuela" der Band Fettes Brot umgedichtet, statt "lass die Finger von Emanuela" in "lass die Finger von Owomoyela".

    Wie sieht es in den unteren Ligen mit Fangesängen aus?
    Es gibt Traditionsmannschaften in der vierten oder fünften Liga, die etwa TSG Hoffenheim (Anmerkung: Aufsteiger in die 1. Bundesliga) locker in den Schatten stellen, etwa Essen oder Magdeburg, die haben nach wie vor einen großen Anhang.

    Was werden unter dem Aspekt des Fangesangs die Höhepunkte der neuen Bundesligasaison?
    Mit Sicherheit die Derbys: Stuttgart gegen Karlsruhe, Köln gegen Leverkusen, Hamburg gegen Bremen. Ansonsten darf man sich überraschen lassen, die besten Sachen entstehen aus der Spontanität.

    Christopher Pauer ist Redakteur mit dem Spezialgebiet Fankultur bei dem Szenemagazin Stadionwelt.