M - Marcuse

Lust statt Börsenfrust? Ficken statt Finanzen? Petting statt Pleitewelle? In Zeiten der Wirtschaftskrise sucht unser Autor Hilfe bei dem Philosophen und Erotisierungs-Theoretiker Herbert Marcuse.

Die Gelegenheit scheint günstig: für Sex ohne Leistungsdruck. Für den Eros, für die Macht der Libido. Kurz: für den Philosophen Herbert Marcuse.

Denn der Kapitalismus entzaubert sich gerade selbst. Wer mag noch an die Selbstheilungskräfte des Marktes glauben? Jetzt, da die cleveren Bankmanager nach der Hilfe des Staates krähen, den sie jahrzehntelang verflucht haben wie die Kirche Pornos? In einer solchen Situation darf man sich an Herbert Marcuse erinnern. Nur erinnern, denn er hatte bei Weitem nicht immer Recht. Dennoch wurde er zur lichten Lustgestalt der sogenannten sexuellen Revolution. Ein Erotisierungs-Theoretiker, ein Fanatiker, der für die "Ewigkeit der Lust" kämpfte: die tatsächlich befreite Libido als zerstörerische Kraft, gegen die Verfestigung von Macht und das so böse Kapital.

Die Leistungsgesellschaft war der Feind. Aber auch die damals beginnende Pseudo-Liberalisierung des Sex, der dadurch ein gesellschaftliches Differenzierungssystem geworden ist und bei dem viele durchs Raster fallen (sollte es für Menschen, die keinen Sex kriegen, so was wie Hartz IV geben? Hilfe für sexuell Abgehängte? Kolle II vielleicht?), der zu Fickmaschinen in Pornos und Versagensängsten im Bett führte. Und zu dem Frauenhelden und singenden Fußballspieler Rod Steward, der gesagt hat: "Anstatt wieder zu heiraten, such ich mir jetzt einfach eine Frau, die ich nicht mag, und schenke ihr ein Haus." Nur wird die es im Moment wohl gar nicht wollen, so ein wertloses Haus.

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Sex als Statussymbol, als Prestigeobjekt, als Geschäft, das ist natürlich langweilig: FDP-Sex. Freiheit, so viel wie möglich, und immer dafür sorgen, dass sich Leistung wieder lohnt. War es nicht armselig, was die Manager ständig predigten: Ein freier Markt mache freie Bürger. Dabei ist es im Sex wie bei den Banken: Gewinne werden privatisiert und die Verluste vergesellschaftet.

Dagegen Marcuse, ein kleines bisschen verkürzt, zugegeben: Sexualität als Eros, Eros ohne Einschränkungen, Triebbefreiung richtig gemacht. Für alle.

Auch glaubte Marcuse, dass Triebenergie, die bereits für ein Ziel verwendet wird, für ein anderes nicht mehr zur Verfügung steht. Also Petting statt Pleitewelle? Bumsen statt Bankenkrise? Ficken statt Finanzen? Lieben statt Leistung? Stimmt das so? Kann man das so sagen? Hätte Marcuse das befürwortet? Sicher nicht. Freien Menschen von heute kann das aber auch egal sein.