Gottschalk

Es war ja fast etwas still geworden um ihn, aber jetzt darf er sich endlich wieder "unser Thommie" nennen.

Das einzig Interessante an dem ansonsten komplett unbemerkenswerten Drama um Marcel Reich-Ranicki und seine Schmipftirade beim Deutschen Fernsehpreis ist das Gefühl der Dankbarkeit, das Thomas Gottschalk seitdem entgegenschlägt. Die Kommentatoren sind ganz aus dem Häuschen, wie toll er doch »geistesgegenwärtig eingegriffen« und »die Situation noch mal gerettet« habe, die FAZ sprach gar allen Ernstes von einer »Sternstunde« – und Gottschalk darf endlich wieder das sein, was er zuletzt eher nicht mehr war, nämlich »unser Thommie«. Geht’s noch?

Was, zum Geier, musste da überhaupt gerettet werden? Welches Harmoniebedürfnis verlangt danach, Reich-Ranickis Zurschaustellung von Altersegozentrik auch noch diesen unwürdigen Versöhnungsversuch hinterherzuschieben? Die Sache offenbart einerseits die Sehnsüchte einer Fernsehnation, die geistig noch irgendwo in den Fünfzigerjahren feststeckt und wie eine neurotische Hausfrau vor dem Albtraum zittert, die Gäste in ihrer guten Stube könnten sich irgendwie in die Haare kriegen. Andererseits zeigt sie wieder einmal in erschreckender Klarheit, wer Gottschalk wirklich ist: nämlich Deutschlands unersättlichster Opportunist. Bei anderen Moderatoren spürt man im Hintergrund immer die Angst, dass ihre Unfähigkeit im nächsten Moment offensichtlich werden könnte, ihre servile Kumpanei ist eine Art ständig vorauseilendes Gnadengesuch. Nicht so bei Gottschalk. Er macht sich um seine Fähigkeiten seit Jahren keine Sorgen mehr. In seiner patentierten »Frechheit«, die unfehlbar am kleinsten gemeinsamen Nenner des Ungefährlichen und garantiert Verzichtbaren orientiert ist, darf er sich bombensicher fühlen. Die Hoffnung jedenfalls, seine Mischung aus Zotigkeit und Sentimentalität gehe mittlerweile am Kern seines immer noch beachtlichen Publikums vorbei, ist reines Wunschdenken.

Dieser Vorsprung an Souveränität auf der Showbühne hat allerdings auch dazu geführt, dass Gottschalks Verlangen, von allen geliebt zu werden, mit den Jahren ins Krankhafte gewachsen ist. Gern zitiert er »die Oma und den Enkel«, denen er gleichermaßen Freude bereiten wolle, sein klassisches Samstagabend-Publikum also – aber gerade dabei belässt er es nicht, die Bildungsbürger müssen es schon auch noch sein, Deutschlehrer wollte er einmal werden, und ja, die Fernsehkritiker natürlich ebenfalls.

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Bedenkt man, wie komplett bedeutungslos gerade diese letzte Berufsgruppe für das aktuelle Stadium seiner Karriere ist, nimmt sie als Feindbild in Gottschalks Welt einen bemerkenswerten Platz ein. Nur so erklärt sich auch seine Reaktion auf Reich-Ranicki – eine Art schwanzwedelnder Wunsch, auch von dieser vermeintlichen Autorität noch ein Fleißbildchen für guten Willen zu ergattern. Noch vom letzten bürgerlichen Geschmackswächter anerkannt zu werden, drunter ist Glück für Gottschalk nicht zu haben – und damit trifft er wohl eine tiefe öffentliche Sehnsucht nach nationaler Kumpanei vor dem Bildschirm.

Sein Gegenmodell Harald Schmidt hat sich von solchen Sehnsüchten erfolgreich frei gemacht. Er ist jetzt so weit, die Wahrheit – sprich seine grundlegende Verachtung für das Publikum – zu akzeptieren. Seither fehlt ihm aber auch jeder Antrieb, noch weiter Fernsehen zu machen – außer einem gewissen schwäbischen Geist, der an den paar Millionen, die für ihn noch auf Straße liegen, nicht vorbeigehen kann.

Nein, ein lebensfähiges Modell für das Älterwerden von deutschen Fernsehlegenden scheint noch nicht gefunden zu sein, und für Gottschalk könnte dieser Prozess, wenn die Locken endgültig zu dünn werden und die »schrillen« Klamotten um seine Glieder schlackern, noch hart werden. Als geradezu mythisches Vorbild sei deshalb hier noch einmal der unsterbliche Amerikaner Johnny Carson hervorgehoben, der nach seiner letzten Sendung mit 67 Jahren in den Sonnenuntergang von Malibu Beach verschwand – und von einer Öffentlichkeit, die es zuerst überhaupt nicht fassen konnte, tatsächlich nie mehr gesehen wurde.