R - Monte Rosa

»Il Rosa« verschluckt seine Besucher. Jahr für Jahr stürzen Touristen in eine Gletscherspalte, auf der Schweizer wie auf der italienischen Seite des Monte-Rosa-Massivs. Letzten Sommer wurde nur wenige Meter von der rettenden Hütte entfernt eine Frau im Eis gefunden. Sie hatte im Schneetreiben die Spur verloren, die über den Gletscher zur Signalkuppe führt, schnurgerade, mit geringer Steigung, ganz sanft. Die meisten Routen auf den Monte Rosa sind eben zu leicht, meint der italienische Bergführer Sergio. Steigeisen und Eispickel reichen bei schönem Wetter. Das lockt auch unerfahrene Bergsteiger auf den Berg. Die fahren mit der Gondel bis auf 2900 Meter hinauf, allein, stürmen den Gipfel auf 4600 Meter im T-Shirt und riskieren Kopfschmerzen und Ödeme. Oder eine Odyssee bei Schneetreiben. Erst neulich fand ein Wanderer am Gletscher einen Schuh mit gut erhaltenem Fuß darin. Den Leichnam fand man nicht.

Sergio liebt den Berg, Bergsteigernostalgie liegt ihm fern. Sergio ist 52 Jahre alt, hat lange Jahre im Himalaja gearbeitet. Etwa 200 Mal war er auf einem der über zwanzig verschiedenen Gipfel des Massivs. »Für viele Italiener zählt nur der Gipfel. Dabei ist der Monte Rosa überall schön, oben, in der Mitte, unten«, sagt Sergio. »Auf der Margherita-Hütte brüllen sie als Erstes: ›Ich hab’s geschafft!‹ ins Telefon.« Macho-Alpinismus.

Unten am Berg feiert man einen ungefährlicheren Wettstreit: In Otro wird jeden Herbst die dickste Kartoffel gekürt, in verschiedenen Kategorien. Das Valle d’Otro auf 1600 Metern ist nur zu Fuß erreichbar, es sind etwa eineinhalb Stunden auf steilem Weg vom tiefer gelegenen Alagna aus. Alagna ist ein altes Walser-Dorf. Die Walser kamen vor 800 Jahren aus dem Schweizer Wallis auf der anderen Seite des Monte Rosa ins Piemont. Wenige alte Menschen in Alagna sprechen noch Walser-Deutsch. Der Ort liegt an der GTA, der Grande Traversata delle Alpi, einem Wanderweg quer durch das Piemont.

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In und um Alagna können Wanderer oft noch in alten, traditionellen Walser-Häusern übernachten, wo sie Polenta Concha, Bacchi della Montagna und Toma-Käse für wenig oder Gargana-Rotwein für etwas mehr Geld bekommen, das im Sonnenuntergang rosafarben leuchtende Massiv des Monte Rosa im Blick.

450 Menschen leben in Alagna, vielleicht fünfzig Familien, kaum eine, die nicht irgendwann einmal ein Mitglied durch ein Unglück am Berg verloren hat. Bei Marzia war es ein Onkel. Erst nach 18 Jahren gab der Gletscher dessen Leiche frei. Marzia ist dennoch Wanderführerin und Skilehrerin geworden. So wie schon Onkel und Eltern. Marzias Vater rennt im Sommer täglich auf die Otro-Alm, um seinen Bio-Barbera zu trinken, und unterrichtet im Winter immer noch auf der Piste. Mit 78 Jahren. Das Leben am Monte Rosa mag mitunter etwas gefährlich werden, gesund ist es in jedem Fall.

Höhe: 4633m
Übernachten: Montagna die Luce, Alagna, DZ ab 100 Euro, Tel. 0039/0163/922819. Schönes Walserhaus, nette Bar, Super-Restaurant.
Essen: Rifugio Zar Senni, Valle d’Otro, Tel. 0163/922952.
Unbedingt: Bergführer im Alagna nehmen; Sergio bringt Sie sicher auf den Gipfel, ab 100 Euro pro Person. Marzia erklärt weiter unten Flora und Fauna.