Die Gewissensfrage

Ein Arbeitskollege fehlt häufig wegen Krankheit. Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass dieser kollege eine Firma nebenher betreibt, für die er während seiner Krankheitstage arbeitet. Der Arbeitgeber möchte nun diesen kollegen überführen, indem ein fiktiver Auftrag an die Firma des kollegen gesandt wird, den dieser dann bearbeitet und dabei ertappt wird. Ich bin mit diesem Kollegen befreundet; er kennt meine Einstellung und weiß, dass ich sein Verhalten nicht gut finde. Muss ich ihn aber vor dieser konkreten Maßnahme warnen? HANNS-BERT O., Köln

Damit es nicht ganz so altväterlich klingt wie »Unrecht Gut gedeihet nicht«, will ich es etwas weniger biblisch formulieren: Sobald der Wurm drin steckt, wird es schwierig, sich richtig zu verhalten.

Um es klar zu sagen: Ihr Kollege ist ein Betrüger. Wenn er für seine eigene Firma arbeiten kann, ist er nicht arbeitsunfähig und kassiert zu Unrecht seine Lohnfortzahlung. Gegen diesen Betrug will sich der Arbeitgeber wehren, indem er Ihren Kollegen mit einem fiktiven Auftrag überführt. Keine Sternstunde zwischenmenschlichen Umgangs, aber nachvollziehbar. Sie jedoch bringt es in eine schwierige Situation. Denn ich komme um ein Wort in Ihrer Frage nicht herum: »befreundet«. So tiefst zuwider mir das Verhalten Ihres Kollegen ist und so wenig es mir gefällt: Sie können einen Freund nicht schweigend ins offene Messer laufen lassen.

Diesen Interessenskonflikt hatte womöglich der römische Politiker und Philosoph Cicero vor Augen, als er schrieb: »Nur zwischen rechtschaffenen Männern kann es Freundschaft geben.« Zuvor hatte schon Aristoteles festgestellt, dass es unter schlechten Menschen keine echte Freundschaft gebe, sondern nur eine Nutzfreundschaft, »denn schlechte Menschen freuen sich nicht aneinander, wenn nicht ein Vorteil daraus entsteht«.

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Bei Aristoteles findet sich auch eine Lösung für Ihr Problem. Der griechische Philosoph überlegte, wie man sich verhalten soll, wenn ein Freund sich zum Schlechten wende: Da »Gleiches mit Gleichem befreundet« sei, müsse man, nachdem man versucht hat, auf den Freund einzuwirken, die Freundschaft beenden. »Denn man darf nicht ein Liebhaber des Schlechten sein noch dem Schlechten ähnlich werden.« Also verbinden Sie die Warnung an Ihren Freund mit dem Hinweis, dass Sie das nicht noch einmal tun werden. Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Hultschiner Str. 8, 81677 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.

Illustration: Jens Bonnke