Das Beste aus aller Welt

Axel Hacke fragt sich, wie eine Zukunft ohne Straßenlärm aussieht, wie es wäre, wenn Zeitungslesen 50 Dezibel erzeugen würde, und die Angst vor Umweltzungen, die uns vom Globus lecken.

Kürzlich lief ich an einem Sonntagmorgen durch den Tiergarten in Berlin, joggte siegessäulenwärts, allein auf breiten Wegen, nur ab und zu das Hecheln eines anderen Läufers im Nacken, oder war es ein Berliner Hund? Alles war sehr ruhig. Dann kam mir ein kleiner Mann entgegen, etwas älter, in schlabbrigen Klamotten, eine Pudelmütze über dem Kopf und in der linken Hand einen kleinen Kassettenrekorder. Er lief langsam und hörte laut, was aus dem Gerät drang: keine Musik, sondern – ich schwör! – Straßenlärm. Beschleunigende Autos, brummende Motoren, kreischende Bremsen. So zog er gemächlich an mir vorbei.

Der Mann fiel mir später wieder ein, als ich Artikel über die Zukunft des Elektro-Autos studierte. Immerzu war die Rede von Kohlendioxid-Reduktion, auch vom Verschwinden der Tankstelle, was einen zu schwermütigen Betrachtungen veranlassen könnte: Wenn wir alle Auto-Strom künftig über Nacht daheim in unsere Mobile hineinzapfen, wo werden wir nachts Getränke kaufen können? Aber was überhaupt nirgendwo richtig gewürdigt worden ist: das künftige Verschwinden des Straßenlärms. Nur lautlose Autos! Rollen, Surren, Gleiten. Gedämpfte Geräusche, als wäre frischer Schnee gefallen! Wie werden wir Enkeln und Urenkeln jene ungeheuren Lärmschutzwände erklären, mit denen Autobahnen eingeröhrt sind? Wie werden Städte sich verändern, wenn plötzlich unvermietbare Häuser an großen Magistralen zu interessanten Wohnlagen werden? Wird es viele Menschen geben, die (von Kindheit an lärmgewöhnt, als Fünfjährige Spielzeugautos »Brumm, Brumm« übers Parkett geschoben habend) durch Parks joggen wie der alte Mann, endlich einmal anderes im Ohr als ewig’ fade Ruhe?

Irgendwann wird kein Mensch mehr wissen, dass Autofahren mit Lärm verbunden war. Interessant, wie zwei Dinge entkoppelt werden, die für uns heute untrennbar zusammengehören. Manchmal stelle ich mir vor, dass, anders herum, Dinge laut sein könnten, die für uns selbstverständlich leise sind. Dass es zum Beispiel, aufgrund irgendeiner Laune der Schöpfung, Krach machen könnte, zu Fuß zu gehen. Dass es mit erheblichem Rattern verbunden wäre, wenn wir uns nur von einem Zimmer ins andere begäben. Dass Zeitunglesen nur zum Preis von fünfzig Dezibel möglich wäre, siebzig bei der Bild-Zeitung. Und dass es richtig lärmig wäre, wenn wir im Park joggten. Wie unser Leben dann aussähe…
Bitte, wenn wir bei Visionen sind: Wann wird jemand das geräuschlose Mobiltelefonat erfinden?

Meistgelesen diese Woche:

Leser S. aus Augsburg und Leserin K. aus Köln reisten nach Kanada (unabhängig voneinander, denn sie kennen sich nicht). K. und ihr Mann mieteten ein Auto in British Columbia, S. und seine Freundin ein solches in Vancouver. Beide Male gab es Verträge in deutscher Sprache, in denen einige unserer schönsten Wörter Platz gefunden hatten: Betankungsservicegebühr, Haftungsausschluss. Und mittendrin in einem Vertrag der Satz »Ich lehne Seelenruhe ab«, im anderen »Auf Seelenruhe wird verzichtet«, beide Male unterschriftlich abzuzeichnen. Wahnsinn! Am Beginn eines Urlaubs auf Seelenruhe verzichten, ja, sie ausdrücklich ablehnen zu müssen. Mit Elektroautos undenkbar.

Leser Z. aus Freiburg wies mich im Oktober auf ein Interview mit dem Kabarettisten Bruno Jonas hin, zu lesen auf sueddeutsche.de. Es ging um den 1200. Geburtstag Haidhausens. Jonas soll sich, ausweislich des Textes, aus diesem Anlass auch über die »großen Umweltzungen in der Bayerischen Landespolitik« geäußert haben. Ich suchte anderswo weiter nach dem bemerkenswerten Wort und fand auf der Internetseite des »Projekts Deutscher Wortschatz« an der Uni Leipzig einen Satz über »ökonomische Umweltzungen in Indien«, auf der Website des Louise-Schroeder-Gymnasiums München die Erwähnung von Umweltzungen in der Ära Napoleons. Es war gruselig. Her mit dem Elektroauto, bevor Umweltzungen uns vom Globus lecken!

Illustration: Dirk Schmidt