Spaß beiseite

Verkleiden heißt immer auch: Haltung zeigen. Eine Typologie der wichtigsten Faschingskostüme - und ihrer Träger.


INVESTMENTBANKER

seit 2009

Die geistige Vorlage für das Kostüm des selbstmordgefährdeten Investmentbankers mit einem Strick um den Hals liefert die Schadenfreude. Damit gehört diese Verkleidung zur neuesten Variante einer alten Karnevalstradition: Das Volk verhöhnt die Obrigkeit, vor der es sich sonst fürchtet. Psychologen sagen, dass sich auf diese Weise Ängste von der eigenen Person abspalten lassen und auf eine imaginäre Rolle projiziert werden.

Wer trägt es? Alle, die sich freuen, dass jetzt genau jenen Angebertypen das Wasser bis zum Hals steht, die bis vor Kurzem noch mit Auto und Model-Freundin angegeben haben.

Meistgelesen diese Woche:

ÖLSCHEICH
seit den 70er-Jahren

Während der Energiekrise in den 70er-Jahren war das Kostüm des Ölscheichs ein Dauerbrenner. Wichtiger als die Kufiya, die traditionelle Kopfbedeckung des Scheichs, die im Notfall auch durch ein Geschirrhandtuch ersetzt werden konnte, war dabei die verspiegelte Pilotensonnenbrille. Als zeitgemäße Wunschfigur verkörperte er Macht, Reichtum und ein sorgloses Leben. Heute wirkt der Ölscheich fast wie die Reminiszenz an eine gute alte Zeit, in der die Krisen noch überschaubar und die Terroristen noch Deutsche waren.

Wer trägt es? Hinter der Pilotenbrille verbirgt sich der Typus des Gernegroß, der seine finanziellen Nöte einmal vergessen möchte und passend zum Kostüm die Spendierhosen anhat.


TECHNO-CLOWN

seit den 90er-Jahren

Individualität gehört in unser Zeit nicht länger zu den Basis-Besitztümern eines Menschen, sondern ist zu etwas geworden, was täglich auf kraftraubende Weise neu inszeniert werden muss. Dagegen bietet der Fasching die Chance, in Rausch und Taumel hinter einer Maske mit den anderen Feiernden zu verschmelzen. Die wild zusammengewürfelte Mischung szenetauglicher Versatzstücke (Elvis-Brille, bunte Perücke, Smiley-T-Shirt, Sonnenblume), die der Techno-Clown trägt, soll aber die Coolness des Trägers unterstreichen und ist damit eigentlich gar keine Maske: Wer selbst im Fasching krampfhaft auf die eigene Individualität pocht, hat nichts verstanden.

Wer trägt es? Leute, die mit ihrem Kostüm aussagen wollen, dass sie eigentlich gar nicht auf den Fasching gehören, sondern auf die Loveparade. Oder in einen Club, wo sie später auch noch hinwollen – und das soll bitte jeder sehen.

FASCHINGSLUDER
seit den 90er-Jahren

Eine landläufige These zur Kostümierungspraxis im Fasching lautet, dass die Menschen zumindest einmal im Jahr das ausleben können, was sie sich sonst nicht trauen. Demnach bestünden die geheimen Sehnsüchte von gefühlten 90 Prozent der Frauen darin, Netzstrumpfhosen zu tragen, sich mit Lippenstift Herzchen auf die Wange zu malen und die Brüste dank modernster Stütztechnologie auf Kinnhöhe zu schnallen. Das Faschingsluder ist also weniger ein Kostüm als vielmehr fleischgewordenes Klischee.

Wer trägt es?
Frauen, die endlich einmal der umschwärmte Mittelpunkt einer Party sein wollen.


PRINZESSIN

seit dem 19. Jahrhundert

Märchen enden meist bei der Eheschließung, mit dem knappen Verweis auf ein langes und glückliches Leben. Die Wirklichkeit hat für Prinzessinnen dagegen meist ein tragisches Schlusskapitel vorgesehen wie die Beispiele Marie Antoinette, Sisi, Grazia Patrizia oder Lady Diana zeigen. Dass die Prinzessin als Ich-Ideal trotzdem stets Hochkonjunktur hat, muss daran liegen, dass beim Aufsetzen eines Krönchens im weiblichen Gehirn automatisch Endorphine ausgeschüttet werden, die den Realitätssinn angenehm vernebeln.

Wer trägt es?
Die Prinzessin verkörpert den kindlichen Aspekt der Frau und wird gewöhnlich von solchen bevorzugt, die auch im wirklichen Leben noch auf ihren Prinzen warten.

BABY
seit ca. 2006

Demografischer Wandel hin, vergreisende Bevölkerung her: In den letzten Jahren hat das Baby eine rasante Karriere als Fetischobjekt in der Gesellschaft hingelegt. Egal, ob es sich dabei um den eigenen oder um adoptierten Nachwuchs handelt, als Statussymbol hat der durchgestylte Säugling der It-Bag längst den Rang abgelaufen. Nicht verwunderlich also, dass das Baby auch als Faschingskostüm ansehnliche Zuwachsraten verzeichnen kann. Mit Windel, Lätzchen und Schnuller verströmt das Riesenbaby eine derbe Komik, wie man sie auch vom allerorts beliebten Herrenballett kennt.

Wer trägt es?
Witzbolde, die damit ungewollt ein altes Drama zwischen Mann und Frau zitieren: Schöne Frau, wollen Sie meine Mama sein?

COWBOY
seit den 30er-Jahren

Wer sich für dieses Kostüm entscheidet, braucht nicht lang zu erklären, worum es geht. Im Figurenkatalog der westlichen Populärkultur ist der Cowboy ein Held und Retter und verkörpert draufgängerische Verwegenheit, die ihn überaus attraktiv macht. In totaler Verkennung historischer Fakten wird dem Cowboy gern die Squaw als Partnerin zur Seite gestellt: Womöglich, weil die keusche Tracht der Siedlerinnen als Kostüm undankbar wäre. Anfang der 60er-Jahre verhalf Marie Versini mit ihrer Darstellung von Winnetous Schwester Nscho-Tschi der Squaw als Dauerbegleitung des Cowboys zum Durchbruch. Nachdem der wildeste aller Cowboys bis vor Kurzem noch das Weiße Haus bewohnte, sanken die Sympathiewerte der Figur rapide, und es bleibt abzuwarten, ob sie sich jemals wieder erholt.

Wer trägt es?
Traditionalisten, die wissen, dass ein Mann in Jeans und Stiefeln einfach besser aussieht als in Clownperücke und Glitzerleibchen.

AUSSERIRDISCHE
seit den 60er-Jahren

Der gemeine Science-Fiction-Fan steht im Hipness-Ranking ganz unten. Ähnlich wie dem Computerfreak wird ihm mangelnde soziale Kompetenz unterstellt. Was bleibt, ist die Flucht in unendliche Weiten und die Allmachtsfantasie, einmal zum Herrscher des Universums aufzusteigen. Im Zuge der Techno-Bewegung erlebte das Kostüm der Mars-Frau ein Revival, ist dabei aber eher vom fröhlichen Futurismus der 60er-Jahre als von der düsteren Endzeitstimmung der Jahrtausendwende geprägt.

Wer trägt es?
Tagträumerinnen, die die Flucht in unendliche Weiten dem Alltag vorziehen.

TOD
seit dem 16. Jahrhundert

Eines der ältesten Kostüme überhaupt: Schon seit der frühen Neuzeit ist der Tod fester Bestandteil des Faschingszugs. Als großer Gleichmacher verweist er auf die Scheinhaftigkeit des Lebens, in dem der Tod die einzige verlässliche Größe darstellt. Moderne Varianten des Kostüms sind gruselige Maskenmörder aus Horrorfilmen wie Scream oder Nightmare.

Wer trägt es? Spielverderber. Denn im Fasching sind alle für einen Moment unsterblich.

Illustration: Yuko Shimizu