"Ich bin ein schreckliches Vorbild"

Bond, Bowie, Bielski: ein Gespräch mit dem Schauspieler Daniel Craig über Männerrollen und Selbstfindung.

SZ-Magazin: Herr Craig, wir wollten mit Ihnen über männliches Selbstverständnis reden.
Daniel Craig:
Warum mit mir?

Sie spielen James Bond, der ist so was wie der absolute Mann. Ein Symbol, auf das sich viele einigen können.
Stimmt. Und er sieht aus wie ich. Sie haben mal erzählt, dass Sie als junger Mann ein großer Fan von David Bowie waren. Das ist ja jemand, der mit der Inszenierung von Männlichkeit viel experimentiert hat, sich wie eine Frau geschminkt hat… Ah, ich verstehe, worauf Sie rauswollen. Ja, Bowie war in den Siebzigerjahren der androgyne Typ, der versucht hat, die Grenzen zu verwischen. Und Bond dagegen ist der harte, heterosexuelle Mann. Aber ich glaube, tough zu sein hat überhaupt nichts mit Sexualität zu tun. Die härtesten Männer, die ich kenne, sind schwul. Und die härtesten Frauen, die ich kenne, sind Lesben… Na gut, das ist irgendwie logisch, viele Lesben wollen ja gerade hart sein. Was ich meine, ist: Hart zu sein, das hat gar nichts mit Sexualität zu tun. Ich spiele Bond, ja. Und der ist ein Macho-Symbol, ja. Aber privat interessiere ich mich für Kunst, für Theater, und der Beruf Schauspieler ist ja auch nicht unbedingt so hart wie Baggerfahrer, oder?

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Was hat Sie an der Androgynität von David Bowie fasziniert?
Ich fand immer Menschen spannend, die Grenzen ausloten. Bowie, Lou Reed, Bryan Ferry – die kamen ja aus einer ziemlich restriktiven Zeit. Und darauf haben sie mit ihrem Aussehen reagiert. Sie haben versucht, aus den alten Klischees rauszukommen, aus den Regeln, die für Männer und Frauen bis dahin galten. Das war ja auch gesellschaftlich ein ganz wichtiger Bruch. Wir reden hier von den Siebzigerjahren, da haben die Leute die ganze bis dahin geltende Moral in Frage gestellt.

Haben sich dadurch die gängigen Männerbilder verändert?
Nicht nur die. Besonders auffällig finde ich die Veränderung des klassischen Familienbildes. Da gelten heute viele veraltete Vorstellungen nicht mehr. Eine Familie kann heute aus einem Kind und zwei Adoptivvätern bestehen, oder es kann ein Paar mit Kindern aus vorigen Beziehungen sein, und so weiter. Das wird akzeptiert – und das macht die Familie ja im Grunde auch nicht weniger normal. Wichtig ist nur, dass die Familie funktioniert, dass alle füreinander da sind. Dass allein diese Funktion heute als moralisch wertvoll betrachtet wird – und eben nicht die Zusammensetzung einer Familie –, das ist ein ganz großer Erfolg der damaligen Zeit.

Hat sich die Art, wie Männer Frauen behandeln, verändert?
Auf jeden Fall. Ich glaube, da herrscht heute mehr Respekt. Aber ich muss dazu sagen: Ich bin aufgewachsen als Sohn einer alleinerziehenden Mutter – da lernt man von vornherein, Frauen ganz anders zu behandeln. Mir wurde früh Respekt gegenüber Frauen beigebracht.

Ist es heute überhaupt noch möglich, einer Frau in den Mantel zu helfen? Oder muss das schon als altmodische Macho-Geste gelten?
Oh, ich versuche das ständig! Ich bin so erzogen worden.

Und – schon mal passiert, dass Sie dafür schräg angesehen wurden?

Ja, immer wieder. Aber was bleibt einem übrig? Ich entschuldige mich – und dann helfe ich der Frau trotzdem in den Mantel. Ich kann nicht anders.

Welche Rolle hat sich in den letzten dreißig Jahren stärker verändert? Die der Männer oder die der Frauen?
Eigentlich die der Frauen, würde man meinen. Der Feminismus der Siebzigerjahre war schließlich ein großer Sprung nach vorn. Aber ich fürchte, die Emanzipation ist in den letzten Jahren wieder ein Stück zurückgeworfen worden.

Inwiefern?
Frauen werden heute wieder stark zu Objekten gemacht. Eigentlich fast mehr als zu der Zeit, als ich jung war. Ihre Körper, ihr Aussehen… Dieser ganze Körperfaschismus. Das ist heute alles schlimmer als früher. Und das ist natürlich nicht nur ein äußerliches Problem, sondern auch ein psychologisches. Die einen machen etwas vor, die anderen ahmen es nach. Aber das gilt ja für Männer auch. Und prompt bin ich ein Teil dieses Problems, ich in meiner winzigen Badehose in Casino Royale.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Ich bin ein totaler Versager in allem, was mit Business zu tun hat.")

Weil Zuschauer Sie nachahmen könnten?
Ich fürchte schon. Um im Film gut zu wirken, musste ich manisch an meinem Körper arbeiten, absolut fit werden, Muskeln aufbauen. Und für eine gewisse Zeit ist das ja ganz in Ordnung, das muss eben sein für die Rolle. Aber jemand, der so was immer durchzieht, lebt absolut ungesund! Insofern bin ich ein schreckliches Vorbild, möglicherweise…

In Ihrem neuen Film Defiance spielen Sie einen Mann, der im Zweiten Weltkrieg Hunderte von Juden im Wald versteckt und so vor den Nazis rettet. Das ernste Thema ist für Sie eine gute Gelegenheit, von der Badehosen-Frage wegzukommen…

Tja, die Badehose. Ich habe schon vor einiger Zeit mal gesagt, dass mir die Leute ein bisschen arg viel über diese Szene aus Casino Royale reden – und dann wurde überall geschrieben, oh, er schämt sich. Tatsache ist: Ich bin mir völlig im Klaren darüber, was Bond ist. Massen-Entertainment. Und die Bauchmuskeln, die Badehosen, die schwarzen Anzüge… Das gehört nun mal dazu.

Der fiktive Bond rettet die Welt. Die realen Bielski-Brüder, deren Geschichte der Film erzählt, haben unter Lebensgefahr Menschenleben gerettet. Was macht aus einem Mann einen Helden?
Ich würde sagen: die Entscheidung, die er unter Druck trifft. Der Mann, den ich in Defiance spiele, handelt aus dem Bauch heraus, unter grauenhaftem Druck, der hat gar keine Zeit, sich groß eine Strategie zu überlegen. In seinem Fall ist der heroische Akt also, unter Lebensgefahr anderen zu helfen.

Obwohl er das zunächst nur widerwillig macht.
Und er bringt zu Beginn die Mörder seiner Familie um, ganz kaltblütig! Ein zwiespältiger Charakter. Aber genau das ist doch das Problem mit Helden: Sie können ja nie dem Bild entsprechen, das Schriftsteller, Regisseure oder Medien zeichnen. Auf der einen Seite haben Sie einen Menschen, auf der anderen…Propaganda.

Ähnliche Diskussionen gab es in letzter Zeit auch um einen anderen Mann, der als Held gefeiert wird – Graf Stauffenberg.
Ja, den kann man auch von zwei Seiten sehen. Oder nehmen Sie Oskar Schindler: Dem haben Kritiker später vorgeworfen, er sei ja nur ein Geschäftsmann gewesen, der seine Arbeiter brauchte. Was bleibt also? Man muss, glaube ich, darauf schauen, was diese Menschen geleistet haben. Das allein zählt.

Welche Figur der Gegenwart ist für Sie ein Held?
Das mag jetzt arg offensichtlich klingen, aber Desmond Tutu und Nelson Mandela habe ich immer bewundert. Die Entscheidung, nach dem Ende der Apartheid in den Neunzigerjahren die Schuldigen nicht einfach zu bestrafen, sondern sie mit dem zu konfrontieren, was sie getan haben – das war wirklich heldenhaft. Und sehen Sie, wieder so eine Entscheidung unter Druck: Die beiden wurden von allen Seiten bombardiert mit Forderungen, die Menschen forderten Todesstrafen, sie wollten Rache! Aber Tutu und Mandela haben das Richtige getan.

Sie haben mal gesagt, in Ihrem Beruf sei Konkurrenzkampf besonders wichtig. Gibt es Schauspieler, die Sie um bestimmte Fähigkeiten beneiden? Die Ihnen etwas voraus haben?
Ich habe ziemlichen Respekt vor Komikern. Die haben einen harten Job. Ich bin in so was nicht gut. Also ja, wenn Sie so wollen – Ben Stiller beneide ich durchaus.

Wie wichtig ist Konkurrenz für Sie im Leben?
Ich habe mich für den Beruf des Schauspielers entschieden, weil ich absolut kein Geschäftsmann bin. Ich kann überhaupt nicht mit Geld umgehen, ich bin ein totaler Versager in allem, was mit Business zu tun hat. Vielleicht sagt Ihnen das ja schon genug über meine Konkurrenzfähigkeit. Und ich bin überzeugt: Business ist im Grunde etwas, wo es immer nur darum geht, andere zu verarschen. Niederzumachen. Mit dieser Art von Konkurrenz kann ich überhaupt nichts anfangen. Beherrsche ich auch einfach nicht.

Das klingt, als hätten Sie die Finanzkrise vor Augen.
Klar, die ist ja genau so entstanden. Es wurde einfach nichts dagegen getan, dass die einen die anderen immer mehr verarschen. Die Industrie, das Großkapital, die Banken, die haben alle gemacht, was sie wollten, die Regierungen hätten rechtzeitig bremsen müssen.

Und jetzt?
Es wird wohl immer Leute geben, die andere übers Ohr hauen wollen. Aber es sind ja fast keine Leute mehr übrig, die man noch übers Ohr hauen könnte. Wer hat denn überhaupt noch das Geld für große Investitionen in das Falsche?

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Ich hatte mir das Leben eigentlich immer einfacher vorgestellt."

Macht Ihnen die Krise Angst?
Natürlich. Wir brauchen jetzt starke politische Köpfe. Leute, die unter Druck die richtigen Entscheidungen treffen. Ganz genau: Helden.

Ist es für junge Männer heute schwerer als in Ihrer Jugend, eine klare Rolle in der Gesellschaft zu finden?
Ich glaube schon. Zumindest machen junge Männer heute auf mich oft einen, wie soll ich sagen, ratloseren Eindruck als früher.

…und einen brutaleren, oder? In England gibt es ja mittlerweile fast jedes Wochenende Messerstechereien und Morde unter Jugendlichen. Was ist da los?
Das frage ich mich auch oft. Diese neue Brutalität ist rätselhaft. Als ich jung war, gab es auch ständig Raufereien, Bandenkriege, ja, die Leute haben sich gegenseitig durch die Straßen gejagt.

Haben Sie da mitgemacht?
Nicht oft. Ich habe Rugby gespielt, da konnte ich alles rauslassen. So oder so, das waren einfach Schlägereien. Aber ein Messer war damals die Waffe der Feiglinge! Sich gegen Fäuste mit einem Messer zu wehren, galt als jämmerlich! Heute ist das Messer offenbar ein Statussymbol, keine Ahnung, was das soll.

Was könnte es denn sein, was diesen Jungs heute fehlt? Geht es da um so was wie Werte?

Das weiß ich nicht. Aber auf gewisse Weise finde ich es sogar gut, dass ich das nicht weiß. Als ich jung war, wollte ich mich von der Generation meiner Eltern abheben, ich wollte anders sein. Und irgendwie habe ich diese Vorstellung heute immer noch: Ich bin jetzt 40 – und ich finde, ich sollte meilenweit entfernt sein von dem, was in einem 18-Jährigen vorgeht. Das ist doch der Sinn von Generationen! Der Gedanke, wir könnten alle Freunde sein und uns herrlich verstehen, egal, wie alt wir sind, das ist doch Quatsch.

Erleben Sie als 40-Jähriger Momente, die man als Midlife-Crisis bezeichnen könnte? Momente des Zweifels?
Oh, jeden Tag! Ich hatte mir das Leben eigentlich immer einfacher vorgestellt. Nach und nach merke ich: So einfach ist es aber nicht.

Wieso? Was ist das Problem? Sie wachen doch nicht nachts auf und machen sich Sorgen.

Doch! Jede Nacht, verdammt noch mal!

Aber worüber denn, um Gottes willen?
Ach, da gibt es so viel… Das geht schon bei der Arbeit los: Wenn ich einen Film drehe, steigere ich mich sehr rein. Und ganz ehrlich – ich habe natürlich Schiss, weil ich weiß, dass am nächsten Tag ein Tross von Leuten am Set steht und darauf wartet, dass ich meinen Job vernünftig mache. Das ist Druck!

Muss ein Mann wohl aushalten können.
Ja. Aber das ist nicht immer leicht. Eine Nacht durchzuschlafen ist für mich echter Luxus.

Fotos: ap, Reuters