"Mit der »Christina« begann für Onassis das ausschweifende Leben"

Sven Thienemann war Kapitän auf den Luxusyachten des Reeders und Playboys Aristoteles Onassis. Walpenisleder zu organisieren gehörte dabei noch zu seinen leichteren Aufgaben.

SZ-Magazin: Kapitän Thienemann oder einfach Herr Thienemann?
Sven Thienemann: Herr Thienemann. Kapitän, das war mal. Damals, als ich nach dem Krieg als Walfänger zur See gefahren bin und klar sein musste, wer auf dem Schiff das Sagen hat. Aber schon Onassis hat mich nicht mehr Kapitän genannt.

Hatte er keinen Respekt vor Ihnen?
Oh doch! Respekt und, ich möchte sagen, Achtung. Er hat mir, was die Seefahrt angeht, vertraut. Ich hatte auf seiner Luxusyacht immer das Kommando. Sie sprechen von der legendären Christina.
Ein Zirkus damals! Die Christina war Anfang der Fünfzigerjahre das größte anzunehmende Ausmaß an Luxus. Wo immer wir hinkamen, kamen Prinzen, Könige und Neureiche an Bord.

Und? Wie haben sich die Herrschaften benommen?
Menschen wie Winston Churchill oder Fürst Rainier von Monaco hatten zweifellos Persönlichkeit. Aber vor allem bei den Partys am Abend waren oft ganz schöne Brühwürstchen an Deck. Kein Benehmen und dabei verwöhnt: Der eine wollte mal eben ein Schnellboot, der andere unser bordeigenes Wasserflugzeug haben. Am schlimmsten empfand ich die allerersten Monate, nachdem das Schiff im Juni 1954 ins Wasser gekommen war.

Meistgelesen diese Woche:

Warum denn?
In der Regel lag die Christina abends irgendwo an der Mittelmeerküste vor Anker und bei uns oder bei dem, den wir an Land besuchten, war eine Party. Und Onassis bestand darauf: Der Kapitän gehört dazu! Meine Frau und ich mussten immer dabei sein. Ungeheuer anstrengend! Cocktails, Whiskey, und da waren wirklich schrecklich flache und öde Menschen an Bord. Ich habe ihn nachher fast angefleht: »Bitte, befreien Sie mich davon. Ich will nicht bis Mitternacht mit euch auf einer Party sein und einen nach dem anderen trinken, und plötzlich heißt es: Wir wollen in zwei Stunden auslaufen, mal eben nach Capri oder sonst wohin.«

Hat er Sie befreit?
Ja. Ich glaube, er konnte mich sogar gut verstehen, denn viele Gäste sind ihm auch auf die Nerven gegangen.

Wie kommen Sie darauf?
Na, er war zwar stolz und wollte sein Schiff jedem vorführen. Aber in den ersten Jahren unserer gemeinsamen Zeit war er noch ein feiner, gebildeter Mann. So wie in diesen frühen Jahren ist er zwar selten beschrieben, aber so habe ich ihn kennengelernt. Er war auch sehr pingelig! An einem Morgen kam er nach einer Party aus seiner Suite auf dem Oberdeck und sagte nur: Das sind alles Schweine. Auf unserem wunderbar weißen Deck waren nämlich Ölflecken, von Oliven in Öl. Ab sofort gab es keine Oliven in Öl mehr auf den Partys. Wenn einer gewagt hätte, ein Streichholz oder gar eine Zigarette an Deck auszutreten, den hätte er zur Sau gemacht! Auch wenn es Churchill gewesen wäre.

Obwohl er so fein und gebildet war?
Fluchen konnte Onassis schon immer. Am schlimmsten mit seinen Kapitänen: Wenn wir irgendwo im Hafen lagen und einer seiner großen Tanker ankam, dann ging er dort auf Deck. Und wenn da irgendwas herumlag – ich verstehe kein Griechisch – aber da merkte man: Das waren keine Koseworte, die er seinem Kapitän sagte. Die zitterten!

Und Sie?
Zwischen mir und Onassis fiel in all den Jahren kein einziges böses Wort. Wir waren uns sehr sympathisch. Wenn ich mal an der Reling stand, dann kam er zu mir und wir unterhielten uns über ernsthafte Dinge.

Worüber?
Über die Menschen. Er war nicht glücklich. »Ein reicher Mann ist ein armer Mann mit viel Geld«, sagte er einmal. Richtige Freunde hatte er nämlich, glaube ich, nicht. Leute, die ihm zugetan sein mussten, ja. Und Freundinnen.

Wie haben Sie sich kennengelernt?
Beim Walfang. Onassis hatte zum 1. April 1950 die deutsche Walfangflotte gekauft – oder das, was von ihr übrig geblieben war. Wir Deutsche, ich auch, hatten vor dem Zweiten Weltkrieg Erfahrungen im Walfang gesammelt. Aber nach dem Krieg hatten wir keine Flotte, bis Onassis mit einem dicken Aktenkoffer voller Dollar kam und uns die alten deutschen U-Boot-Jagdschiffe umbauen ließ. Im Frühjahr 1951 kam er mit seiner Frau und zehn Freunden nach Peru geflogen, wo wir mit der Walfangflotte weit draußen vor der Küste jagten. Sie blieben fünf Tage an Bord.

Was wollte die feine Gesellschaft dort?
Uns bei der Arbeit zuschauen. Wir jagten Pottwale, die in Herden von ungefähr fünfzig Stück auftreten. Man versucht, sich mit seinem Jagdboot in eine gute Position zu bringen, um die fetten Bullen wegzuschießen, die die Herde anführen. Onassis stand oft neben mir und fand das höchst interessant. Da fließt eine Masse Blut. Und auf dem Fabrikschiff, das zu einer Walfangflotte gehört, brauchen die für einen Pottwal, der, sagen wir, hundert Tonnen wiegt, dreißig bis vierzig Minuten.

Ein ganz schönes Gemetzel.
Na ja, über Tierschutz hat man damals noch nicht so viel nachgedacht. Auf der Rückfahrt kam Onassis auf die Brücke und fragte, ob man nicht ein Fangboot im Sommer als Yacht im Mittelmeer benutzen könnte. Wir haben gleich am Kartentisch aufgezeichnet, wie man es von innen umbauen müsste. Und so ähnlich wurde es in Kiel dann auch gemacht, mit Boot Nummer eins, der Olympic Leader, meinem Walfangboot. Eine Kammer wurde mit Vogelaugenahornholz umgebaut. Bildschön. Dann wurde alles weiß angestrichen, die Decks gescheuert und über die Kanone kam eine Abdeckung. Die Sache hatte einen Haken: Onassis wollte unbedingt mich als Kapitän.

Wo ist das Problem?
Ich hatte Urlaub mit meiner Familie geplant. Aber Onassis sagte nur: »Egal. Bringen Sie Ihre Frau mit. Sie ist mein Gast. Sie soll sich auch auf meine Kosten bordfein machen.«

Und da haben Sie sich nicht gefreut?
Nachdem der erste Schrecken verdaut war, schon. Und in dem ersten Jahr im Mittelmeer auf der Olympic Leader war es auch sehr gemütlich und familiär. Da konnten wir wirklich sagen: Wir kennen die Familie Onassis privat. Auch die Kinder Alexander und Christina. Erst mit seiner dritten Yacht, der Christina, begann Onassis sein ausschweifendes Leben.

Was war das Besondere an der Christina?
Als ich sie in Kiel übernahm, um sie zur Luxusyacht umzubauen, war es erst mal eine verrostete kanadische Fregatte. Onassis hatte aber von Anfang an sehr genaue Vorstellungen: Er wollte unbedingt Dampfmaschinen als Antrieb, was eigentlich veraltet war. Aber sie laufen ruhiger als Schiffsdiesel. Außerdem sind Fregatten die schnellsten Kriegsschiffe, das wollte er nutzen. Jedes Mal, wenn Onassis zum Stapellauf eines Tankers nach Deutschland kam, setzte er sich als Erstes in seinen Porsche, fuhr mit mir nach Kiel und brachte tausend Änderungswünsche vor. So haben wir von November 1952 bis Juni 1954 an der Christina gebaut. Kostete sein Geld…

…und hat sich gelohnt.
Oh ja, die Christina ist immer noch eine der schönsten Yachten! Natürlich sieht sie heute altmodisch aus. Und mit damals vierzig Besatzungsmitgliedern und Platz für 15, 16 Gäste ist sie nach heutigen Maßstäben auch klein. Aber ihr Luxus setzt immer noch Maßstäbe: mit dem berühmten Pool, bei dem man den Boden, der voller Mosaiksteine war, zur Tanzfläche anheben kann. Oder den Barhockern. Die waren, zumindest damals, mit Walpenishaut bezogen. Das weiß ich hundertprozentig, weil ich mich ja selbst darum gekümmert habe. Und wir hatten ein Tragflügelboot extra für uns gebaut, mit einem Motor von einem 300er-Mercedes drin. Die Kinder hatten ein sagenhaftes Spielzimmer, mit Gemälden von bekannten Künstlern und Schaukelpferd und allem, aber nur zum Angucken. Die Gäste mussten nämlich durch das Spielzimmer, wenn sie nach achtern gingen. Deshalb durfte da auch nichts herumliegen.

Ein Spielzimmer, in dem keiner spielen durfte?
Wie gesagt: Mit der Christina begann er sich zu verändern. Die Yacht war sein Lebenstraum. Er hat dieses Schiff beinahe mehr geliebt als seine Frau und seine Kinder. Für die Kinder hatten wir in einer Schublade in der Kapitänskajüte immer kleine Geschenke, einmal einen kleinen Kreisel. Nur hatte der unten einen Nagel, der winzige Ritzen in das Holz an Deck gemacht hat. Onassis wurde so böse, dass er seinem Sohn Alexander den Kreisel wegriss und über Bord schmiss. Einmal hatte Alexander ein Tretauto mit schwarzen Gummireifen bekommen. Das habe ich versteckt und in Amerika Bescheid geben lassen, dass wir schnell weiße Reifen brauchen. Die kamen nach acht Tagen per Flugzeug. Das Geld war egal. Aber ein schwarzer Streifen auf Deck, und das Auto wäre auch im Meer gelandet.

Ziemlich jähzornig, der Mann.
Er war sehr impulsiv. Andererseits: Das mit dem Kreisel tat ihm zum Beispiel mit Sicherheit nachher leid, als Alexander weinte. Er hat die Familie ja geliebt, sie war ihm beinahe heilig. Trotzdem litten die Kinder darunter, dass ihr Vater immer groß-artiger wurde.

Was meinen Sie mit »großartiger«?
Er hatte keine Zeit mehr für die kleinen Dinge, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Christina war zwar nach seiner Tochter benannt. Aber je größer die Schiffe wurden, desto weniger Zeit nahm er sich für die Kinder. Sie wurden von Kindermädchen betreut und morgens den Gästen vorgeführt. Mussten einen Knicks machen und dann wieder gehen. Daddy hat keine Zeit! Dabei hat er vor allem spätabends, auf Deck, viel über die Kinder geredet. Sie bewegten ihn.

Hat sich das Verhältnis zwischen Onassis und Ihnen auch verändert?
Nein, zwischen uns blieb es gut. 1951 bei der ersten Kreuzfahrt mit dem Walfangboot bekamen meine Frau und ich sofort ein Jahresticket für das Casino in Monte Carlo, das Onassis ja gehörte. Wir durften überall mit hin und waren geachtete Leute. Ich musste mir erst mal einen weißen Smoking besorgen. In der Gala ist mal ein Bild erschienen, da sieht man uns zufällig mitten auf der Tanzfläche bei einem Ball. Das Verhältnis zu seinen Kapitänen verschlechterte sich erst, als mein Nachfolger kam. Allerdings: Es gab auch andere Reisen. Frau Onassis fuhr mit den Kindern nach New York und in den vier Wochen, in denen sie weg war, kam eine Dame an Bord.

Etwa Maria Callas?
Den Namen habe ich vergessen. Die war auch nur eine von vielen, die dann noch kamen. Aber es war ein sichtbares Zeichen dafür, dass das gemütliche, familiäre Treiben vorbei war.

Und wodurch ersetzt wurde?
Durch den Playboy Onassis. Oder besser den Playman, denn so jung war er ja nun nicht mehr. Ich habe von dieser Entwicklung den Anfang mitbekommen; und zum Glück nicht mehr das, was ich von den späteren Kapitänen und auch aus der Zeitung erfahren habe. Da habe ich manchmal gedacht: Meine Güte, was ist aus dem geworden? Nur noch Christina und Frauen. Daueraffäre mit Maria Callas, eine eigenartige Ehe mit Jacky Kennedy. Um seine Geschäfte hat er sich immer weniger gekümmert.

Wann haben Sie das Schiff und Onassis verlassen?
Später als geplant. Die Vereinbarung lautete: Ich baue dir dein Schiff und blase ihm Leben ein, aber länger als ein Jahr werde ich nicht Kapitän sein. Ich will zu meiner Familie. Er sagte: abwarten. Na ja. Ich fuhr zwei Jahre mit ihm und ging dann von Bord. Schließlich bin ich Seemann und kein Zirkusdirektor.

Fotos: privat