Lassen wir die Küche im Dorf

Es war ein langer Weg von der Feuerstelle zum modernen Designtraum. Schade, dass wir unterwegs vor lauter hübschem Drumrum vergessen haben, wozu wir eigentlich am Herd stehen. Eine Stilkritik.

Neuerdings enden Partys nicht mehr in der Küche, sondern sie beginnen dort. Die Einladung las sich noch ganz unverdächtig: Ein befreundetes Paar, das von Berlin nach München zurückgekehrt war, lud zum »Munich recall«. Als ich ankam, hatten die anderen Gäste schon einen Kreis um einen sakralen schwarzen Kochblock gebildet. Blaue Flammen loderten auf. Die Gastgeber standen sich gegenüber und produzierten in aberwitziger Geschwindigkeit essbare Kunstwerke.

Wir waren die Schiedsrichter, die Punkte verteilten nach Geschmack und Optik. Ich ertappte mich dabei, unauffällig nach versteckten Kameras zu suchen. Doch ich fand nur Arbeitsplatten aus satiniertem Glas, einen Induktionsherd mit Topferkennung und geschmiedete Sushimesser für 4000 Euro. Ich war unverhofft in ein Kochduell geraten, dessen Star die Küche war, und die Frage drängte sich auf: Was sagen Küchen eigentlich über uns aus? Und wieso verhalten sich einige Menschen so komisch in ihnen? Es ist noch gar nicht lange her, vielleicht 100 Jahre, da erschienen Pamphlete »wider das verkochte und verbügelte Leben der Frauen«. Die Küche wurde darin als »Galeerenstrafanstalt« beschrieben. Heute blättern wir in Designbroschüren, in denen die Küche als neuer Lebensraum gepriesen wird, mit puristischen Werkbänken und psychoaktivem Lichtdesign. Aus der Fronarbeit ist die reine Lust geworden, und die schönen Menschen, die in diesen schönen Küchen um die Wette kochen, schwingen den Kochlöffel, als ginge es um das Jüngste Gericht. Alle sind gut drauf. Aber sind sie das wirklich?

Der Psychoanalytiker C. G. Jung hat davon gesprochen, dass unsere Wohnungen ein Spiegel unseres inneren Selbst wären. Wenn dem so ist, dann müssten manche der Köche (mit ihren Küchen) auf die Couch. Folgende Krisenherde lassen sich diagnostizieren:

Meistgelesen diese Woche:

1. Größenwahn: Die Nonplusultraküche mit Profi-Gasherd, Kühlkammer und strömungsoptimierter Dunstabzugshaube. Die Hausherren inszenieren sich als Dreisterneköche, scheitern aber schon beim Spiegelei.
2. Putzzwang: Mattschwarze Optik blank poliert, bloß kein Störfaktor Lebensmittel im Blickfeld. Nein, hier kocht nicht die Trauerhilfe Denk, die Architektin hat es nur gern ordentlich.
3. Profilneurose: Der zum Connaisseur mutierte Altachtundsechziger schneidet den bei Mondschein geräucherten San-Daniele-Schinken mit einer Aufschnittmaschine aus Gusseisen, die mehr kostet, als die Abwrackprämie für den alten VW-Käfer eingebracht hat.
4. Klaustrophobie: Acht-Quadratmeter-Wohnküche. Zehn Gäste auf neun Stühlen spielen einen Abend lang »Reise nach Jerusalem«. Wie gut, dass Rüdiger, der neue Freund der Gastgeberin, auch noch seinen Collie mitgebracht hat.
5. Fetischismus: Offene Küche, die an einen OP-Saal erinnert. Motto: »Meine Tomate muss sich freuen, wenn sie im zartrauen Schnitt eines frisch gewetzten Messers seziert wird.«
6. Realitätsverlust: »Das schmeckt wie im Restaurant!« Gut, dass keiner den Cateringservice bemerkt hat, der am Hintereingang parkt.

Wer den Kult um die Küche verstehen will, muss zurück zum Ursprung aller Küchen, zur Feuerstelle. Wenn der Ethnologe Wulf Schiefenhövel die Spezies der Zacherls und Lafers im Fernsehen betrachtet, erinnert ihn das an das Gebaren der Hominiden des Pleistozän. »Da spricht uns etwas im Stammhirn an. Diese Sendungen klinken sich in unsere archaischen Bilder des gemeinsamen Speisebereitens am Feuer ein.« Schiefenhövel vermutet, dass wir seit rund 300000 Jahren biopsychisch vom Feuer geprägt sind. In allen Kulturen war die Feuerstelle der Mittelpunkt des Lebens, Spuren davon finden sich bis heute in ihrer zentralen Lage in menschlichen Behausungen.

»Das Konzept des Wohnens ist ja primär ein psychologisches und nicht nur ein bauliches«, sagt Schiefenhövel, der über das Urhaus geforscht hat. Seit mehr als vierzig Jahren besucht der Professor des Max-Planck-Instituts regelmäßig einen Eingeborenenstamm in Papua-Neuguinea. Die Eipo kennen keine Elektroquirls und Eismaschinen. Die Frauen kochen. »Die Männer kommen erst ins Spiel, wenn es um große Zeremonien geht.« Hat sich heute daran wirklich so viel geändert?

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Norm follows function" - die Erfolgsgeschichte der Einbauküche.)

Norm follows funtion: Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky (1926).

Für die Wohnpsychologin Antje Flade hat der soziale Raum der Küche eine Umwertung erfahren. Die Arbeitsteilung »Frau am Herd, der Ehemann hinaus ins feindliche Leben, spukt nur noch in wenigen Köpfen«, sagt die Grundlagenforscherin. »Jetzt sind es vermehrt die Männer, die an diesem Ort zu finden sind. Die neue Wohnküche ist zum Kommunikationsmittel geworden, um sich anderen gegenüber darzustellen. Die blitzenden Supermöbel sagen: Seht her, wie wichtig mir dieser Raum ist.«

Dass einige Menschen aber auch ein gestörtes Verhältnis zur Küche entwickeln, basiert vor allem auf einem Missverständnis. Der Verwechslung von Dasein mit Design. Der Beginn läst sich nicht mehr genau datieren, es hatte mit Größenwahn zu tun und mit dem Zeitgeist des Maschinenzeitalters. Der Architekt Frank Lloyd Wright dokumentierte mit Stoppuhr und Maßband die rund 360 täglichen Handgriffe und Bewegungsabläufe einer Hausfrau in der Küche. Wright träumte von einer Optimierung der Abläufe wie beim Fließband.

Das entscheidende Trauma aber versetzte der Küche eine Frau. Die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky erfand 1926 mit der Frankfurter Küche die moderne Einbauküche. Ihr nur 1,87 mal 3,44 Meter kleines Hausfrauenlabor war eine Meisterleistung der Ingenieurkunst und Ergonomie. Vorbild war die Mitropa-Küche in den Speisewagen der Bahn. Um Platz zu sparen, rückte Schütte-Lihotzky den Herd an den Rand und entfernte den Tisch. Ein revolutionärer Akt, wohnpsychologisch allerdings eine Katastrophe. Spielende Kinder, Hunde, Großmütter wie noch in der Wohnküche des Biedermeier wurden die nächsten fünfzig Jahre nicht mehr hier gesehen oder wenn, waren sie Störfaktoren.

Auf den Grundrissen der Architekten schrumpfte die Küche auf wenige Quadratmeter und fristete ein autistisches Randdasein, meist fernab vom Wohnzimmer. Auf die Spitze getrieben hat es 1970 Luigi Colani mit seiner futuristischen Kugelküche für Poggenpohl. Die Köchin sitzt in einem Ball von 2,40 Meter Durchmesser. Computer erledigen ihre Arbeit, mit Mann und Kindern spricht sie über den Bordfunk.

Dass es auch anders geht, zeigte die Münchner Küche, die Ende der Zwanzigerjahre von Hanna Löw entworfen wurde. Sie löste die künstliche Trennung von Kochen und Wohnen auf, war mit Glaswand und Durchgang ein Vorläufer der offenen Küche. Die Architektin war überzeugt, in der Küche sei Funktion nichts, Emotion alles. Das hätte uns viele Neurosen und Mauerdurchbrüche erspart.

Doch ausgerechnet Schütte-Lihotzkys Kochzelle wurde 1930 durch eine Ausstellung in Stockholm zum Trendsetter. Die skandinavischen Designer waren begeistert von der Frankfurter Küche, die sie frech kopierten und massentauglich machten: Als Baukastensystem konnte sie sich jedem Grundriss anpassen. Nach dem Krieg exportierten sie diese Küche in die ganze Welt.

Bis in die Gegenwart ist dieser Küchentypus nicht totzukriegen, er spiegelte den sozialen Aufstieg des Industriearbeiters zum Reihenhausbesitzer. Kleine Verfeinerungen zeigten an, wie weit man es gebracht hatte, die Küchenmaschine von Braun, die Bratröhre in Augenhöhe, der Tresen mit dem Barhocker.

Abgekapselt: Kugelküche von Luigi Colani für Poggenpohl (1970).

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Designer, die nicht kochen können, sollte man nicht an Küchen heranlassen«. )

Treffpunkt und Angelpunkt: Offene Küche von Otl Aicher (1982).

Die offene Küche, wie sie heute wieder im Kommen ist, verdanken wir der Pioniertat von Otl Aicher. Der Schöpfer der Piktogramme für die Olympischen Spiele 1972 und Mitbegründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung und Design war der Erste, der sich der Küche mit Demut näherte. Seine 1982 erschienene Studie Die Küche zum Kochen. Das Ende einer Architekturdoktrin ging von der Frage aus, wie eine Küche aussehen soll, in der mit Lust gekocht wird.

Aicher interviewte Sterneköche, studierte die Geschichte des Kochens und probierte das Gelernte zu Hause an Frau und Kindern aus. »Designer, die nicht kochen können, sollte man nicht an Küchen heranlassen«, befand er. Die Einpersonenküche erklärte er zum Unding und holte den Tisch in die Küche zurück. In der Mitte des Raums platzierte er eine Werkbank mit einem Loch in der Mitte für die Abfälle. Hier sollte wieder »gemeinsam gearbeitet werden an einem Ort selbstverständlicher Kommunikation«.

Aicher hasste Schrankwände, hinter denen alles verschwindet. »Schönheit ist verdächtig«, schrieb er. »Die Phase der Automatisierung der Küche ist vorbei. Der Adel der Küche liegt nicht mehr in der Aufgeräumtheit, Sauberkeit, sondern in ihrer Verfügbarkeit.«

Blank geputzte Küchen erschaffen Ungemütlichkeit, das schrieb der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich schon 1965 »über den Wohnfetischismus«. Das sei eine »in eine Tugend umgedeutete Krankheit. Die Krankheit nämlich, mit menschlichen Kontakten nicht ins Klare zu kommen und stattdessen reine Böden zu schaffen«.

Was eine Wohnung zur Heimat mache, seien »nicht schöne Möbel, sondern die menschlichen Beziehungen, die an einen Ort geknüpft sind«. Was er uns sagen wollte: Design in der Küche ist eine Vorspeise, aber nicht der Hauptgang.

Modernste Form der prähistorischen Feuerstelle: b3-Küche von bulthaup.

(Fotos: Franziska von Stenglin, Ökobuch Verlag GmbH, Poggenpohl)