Leben ohne Aussicht

Kein Handy, kein Internet, keine Reisen: Seit drei Jahren isoliert der Staat den Tunesier Mouldi C. im bayerischen Hinterland, ohne dass ihm je ein Strafprozess gemacht worden wäre. Er soll - möglicherweise - Terroristen unterstützt haben. Erwiesen aber ist nichts. Die Geschichte eines Mannes, für den gilt: Im Zweifel gegen den Angeklagten.

Mouldi C. in Hauzenberg
Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei Passau, 15. Mai 2008:
»Als der Zeuge das Badezimmer betrat, sah er dort Herrn C. stehen. Um den Hals des Herrn C. war ein Elektrokabel geschlungen, das nach oben zu einem Rohrgestänge führte, an dem der Duschvorhang an der Decke befestigt war…Als der Zeuge aus der Küche zurückkam, um das Kabel mit einem Messer durchzuschneiden, versuchte Herr C., dies zu verhindern. Es entwickelte sich dabei eine Rangelei, wobei der Zeuge einige Kratzer am Oberkörper erhielt. Sein T-Shirt wurde von Herrn C. zerrissen.«

Ein Jahr später. »Willkommen im Luftkurort Hauzenberg«, steht auf der Holztafel an der Staatsstraße 2132, hinter Hundsdorf und Wotzdorf. Die letzten Schneehaufen schmelzen dahin, das Wasser rinnt bergab. Die kaputte Duschstange im Asylheim hat man durch einen Besenstiel ersetzt. Der Zeuge, der den Selbstmord verhinderte, ein Palästinenser, hört den ganzen Tag Musik. Mouldi C., der sich das Leben nehmen wollte, sitzt in seinem Zimmer. Am Metallschrank hängt ein Zettel mit den Gebetszeiten, jeden Tag fünfmal, und eine Liste der Tabletten gegen Depression und Schlaflosigkeit, täglich sieben. Darunter klebt ein Andenken an seine vier Kinder, ein Fruchtzwerge-Bildchen. Mouldi C., 38, aus Tunesien, ist seit zweieinhalb Jahren hier und weiß nicht, wie lange noch. Die bayerische Staatsregierung hat ihn isoliert; sie hält ihn für einen »Gefährder«. Gefährder haben keine terroristische Straftat begangen, aber der Staat vermutet, dass sie es vorhaben. C. hat über Jahre die Falschen getroffen und mit ihnen Geschäfte gemacht. Er besuchte den Londoner Hassprediger Abu Qatada. Er sprach mit dem Chef der italienischen Varese-Zelle, in abgehörten Telefonaten unterhielten sie sich konspirativ über »unsere Sache«. Einem Anhänger der deutschen Terrorgruppe Al-Tawhid überwies er Geld. Mit einem späteren Guantanamo-Häftling soll er versucht haben, ein Schiff zu kaufen. Das alles spricht gegen Mouldi C., reichte aber nicht einmal für eine Anklage.
C. stand deswegen nie vor einem Strafgericht. War C. ein Terrorhelfer? Ein Geschäftsmann? Ein Wichtigtuer?

Man hat seine Absichten nie durchschaut. Doch im Ausländerrecht gilt das Gebot »Im Zweifel für den Angeklagten« nicht, und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof urteilte 2005 gegen ihn: C. habe ohne Zweifel ein Netzwerk an Dienstleistungen und Kontakten für Gewaltbereite angeboten. Ob C. den Terroristen wirklich helfen wollte, sei unerheblich. Es genüge, dass er ihr Tun positiv beeinflusst habe. Seitdem ist C. ein »ausgewiesener Ausländer«, jemand, der ausreisen muss. Die Regierung setzt ihn nur deswegen nicht ins Flugzeug, weil in Tunesien gefoltert wird.

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Der Luftkurort Hauzenberg
Bericht des Bayerischen Innenministeriums, 1. Januar 2009:

»Insgesamt wurden 94 Ausweisungsbescheide gegen islamistische Gefährder erstellt. In 57 Fällen ist der Aufenthalt beendet, in 37 Fällen noch nicht. Wenn eine Ausreise rechtlich nicht durchsetzbar ist, wird der Handlungsspielraum der Gefährder durch konsequente Anwendung des geltenden Rechts so weit wie möglich eingeschränkt.«

Für C. bedeutet das: Die Polizei nimmt ihn im Mai 2005 in Regensburg fest und fährt ihn nach Hauzenberg. Er darf weder Handy benutzen noch Internet oder öffentliche Telefone. Er darf den Ort nur mit Erlaubnis verlassen. Er muss jeden Morgen auf der Polizeiwache unterschreiben. Im neuen Ausländerrecht, das seit 2004 gilt, heißt dies alles »Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit«. Ohne den Terror vom 11. September 2001 hätte es diese Regeln nie gegeben.

Für Bayerns früheren Innenminister Günther Beckstein war der Fall C. ein Exempel. Er nannte ihn nicht Gefährder, sondern »Top-Gefährder«, und er konnte an ihm ausprobieren, was das neue Recht erlaubte. Aber das Gesetz schweigt darüber, wann eine solche Verbannung enden soll, was geschieht, wenn der Verdächtige nicht zäh genug ist, um diese Härte zu ertragen, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Wie lange also ist der Staat nur konsequent, und wann wird er unerbittlich?

Mouldi C. erfährt über sein weiteres Schicksal aus der Post. Es sind Bescheide der Regierung von Mittelfranken, die alle nordbayerischen Fälle bearbeitet, unterzeichnet von »Münchow, Regierungsrat«. Michael Münchow leitet das Sachgebiet 11 für Ausländer, er tut dies in der Ansbacher Residenz, die als Wiege des modernen Bayern und seines Beamtentums gilt. Münchow, 35, trägt Anzüge mit Einstecktuch und hat auf der Kommode in seinem Büro eine Pickelhaube der bayerischen Infanterie und einen Zweispitz ausgestellt. Münchow ist verschmitzt, aber in der Sache hart. »Wir möchten, dass C., solange dies notwendig ist, in Hauzenberg bleibt. In Regensburg würde er schnell wieder aktiv werden.«

Seit dem versuchten Selbstmord aber muss sich Münchow immer wieder zwei Fragen stellen. »Ist C. krank, oder spielt er nur? Wann könnte es kippen, wann verkraftet er es nicht mehr?« Münchow hat Mouldi C. einmal besucht, um sich ein Bild zu machen. Ausländerrechtler wie er sind nicht leicht zu beeindrucken, weil sich Flüchtlinge immer wieder mit Suizidversuchen gegen eine Abschiebung wehren. Münchow sagt es nicht so, aber man hat den Eindruck, dass er C. für ein Schlitzohr hält, für jemanden, der seine psychischen Probleme benutzt.

Die Behörden hatten den Suizidversuch »untauglich« genannt. Die Kripo hatte herausgefunden, dass die Duschstange C.s Gewicht nicht hätte tragen können, und weil sein »Stöhnen/Rufen« den Zeugen, seinen Zimmernachbarn, aufgeschreckt habe. Der Nachbar widerspricht. »Der wollte das machen«, sagt er. Die Rangelei sei Beweis genug; außerdem hätte er C. gar nicht gehört, wenn er nicht zufällig gerade am Bad vorbeigegangen wäre.

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Mouldi C. in seinem Zimmer im Asylantenheim: kein Handy, kein Internet
Tagsüber wirkt C. bemüht, nichts falsch zu machen. Im Umgang ist er sehr höflich, ergeben geht er jeden Morgen zur Polizei und hält sich fern von den Telefonzellen. Seine Stimme ist meist leise, er klingt schüchtern, resigniert. Wenn es dunkel ist, lastet die Einsamkeit auf ihm wie der Granit, den sie im Bayerischen Wald abbauen. »Ich denke über mein Leben nach, über meine Kinder, meine Familie. Ich denke, dass alles kaputt ist. Es ist wie ein Tunnel, und ich sehe kein Licht«, sagt er.

Was immer er versucht hat – es ist gescheitert. In Tunesien hatte er sich als Student in der islamistischen En-Nahda, einer Muslimbruderschaft, gewaltlos gegen das Regime engagiert und musste in Haft. Deutschland gewährte ihm 1992 Asyl, eben weil er als Islamist politisch verfolgt wurde. 1997 zog seine Verlobte nach, eine Tunesierin, sie heirateten. Die ersten Kinder wurden geboren; er versuchte, in Regensburg ein Fuhrunternehmen aufzubauen und einen Imbiss. Nebenbei war er Imam und traf immer wieder Terrorverdächtige. Er sagt, dass er nur Autos verkaufen wollte, dass er nur über Gott und die Welt redete. Jede Form von Gewalt sei ein Fehler. Der 11. September: ein Fehler.

Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, 9. Mai 2005:
»Sein Verhalten, seine Kontakte und Aktivitäten sind…mit der normalen Lebensweise eines von geringen Einkünften lebenden Familienvaters nicht vereinbar. Der Kläger benutzt sehr viele verschiedene Telefonnummern und Telefonapparate. Er verfügt über außergewöhnlich viele Kontakte in ganz Europa zu Personen, die unstreitig dem internationalen Terrorismus zugerechnet werden müssen.«

Nach dem Urteil muss C. in Hauzenberg leben. Er beginnt einen Hungerstreik und muss bald in die Psychiatrie. Dort verschwindet er plötzlich, flüchtet nach Spanien, bittet Monate später in London um Asyl und wird nach Deutschland zurückgeschickt. Ein Jahr war er weg, aus Angst, wie er sagt. »Ein Fehler«, glaubt er jetzt, auch das. Der Staat hat nicht vergessen, dass der tunesische Patient auf einmal in der Lage war, sich monatelang allein durch Europa zu schlagen.

Jetzt ist er allein. Er hat so viel Aufmerksamkeit erregt, dass ihn wohl nie wieder ein Terrorist um einen Gefallen bitten wird. Seine Frau ist mit den Kindern in Regensburg geblieben: zwei Töchter und zwei Söhne, zwischen fünf und zwölf Jahre alt. Zweimal im Monat kommen sie ein Wochenende lang und schlafen im Asylheim auf dem Boden. Die Kinder sind gegenüber Fremden unbefangen, die Kleinste verschenkt Schokolade. »So ist unsere Mentalität«, sagt C., um seinen früheren Umgang zu erklären, »wir reden mit allen.«

Seine Frau Douja quält sich mit der Ungewissheit. »Hat er etwas Schlimmes getan, soll er ein paar Jahre ins Gefängnis«, sagt sie, »danach führt er ein neues Leben mit seiner Familie.« So aber ist kein Ende in Sicht, und etliche Atteste erzählen, was das für die Familie bedeutet. Eine Sonderpädagogin schreibt über die Tochter: »Sie leidet unter der ständigen Angst, dass ihr Vater nicht mehr zurückkommt und ihre Mutter den Alltag nicht mehr bewältigen kann.« Über den Sohn schreibt der Kinderarzt: »Er ist durch die Trennung von seinem Vater massiv psychisch belastet. Es begann vor fünf Jahren durch ein nächtliches gewaltsames Eindringen mehrerer vermummter Polizisten in die Wohnung.« Die Mutter und drei der vier Kinder müssen zur Psychotherapie, C. verzweifelt so sehr am Alleinsein und am Zustand seiner Familie, dass er inzwischen selbst chronisch depressiv ist.

Die Mutter erzählt vom Alltag mit vier Kindern. Eine Lehrerin habe zu ihr gesagt, ihr Sohn habe ein Problem im Kopf. Sie weint nicht. Es ist ihr Mann, der zu schluchzen beginnt. Er eilt zur Tür, sein Sohn läuft hinterher.

Die Familie wäre für C. die beste Therapie, glauben seine Ärzte. Doch nach Regensburg darf er nicht, und nach Hauzenberg will seine Frau nicht. Sie will ihre Kinder nicht aus der Heimatstadt reißen und dem Stigma aussetzen, Abkömmlinge eines Terrorverdächtigen zu sein in einem kleinen Ort.

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Mouldi C. im Flur des Asylantenheims: Er ist seit Mai 2005 hier
Der Staat wiederum möchte C. eigentlich nur loswerden. Im Juli 2007 fliegt August Hanning, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, dorthin, wo C. einst aufgebrochen ist: nach Tunis. Mit Innenminister Rafik Belhaj Kacem spricht er über den Verdächtigen. Kacem sagt, dass er ihn zurücknehmen werde und dass Tunesien die Menschenrechte achte. Hanning aber braucht etwas Schriftliches, er weiß, dass sich deutsche Gerichte auf sein Wort nicht verlassen werden.

Kacem entgegnet, die mündliche Zusage müsse schon reichen. Für ihn ist allein die Unterstellung Hannings beleidigend, Tunesien könnte foltern. Hanning bringt schließlich selbst einen Vermerk zu Papier: »Es ist davon auszugehen, dass die Zusage Tunesiens belastbar ist und eingehalten wird.« Die Behörden in Bayern vermuten aber, dass die Notiz nicht genügen wird, um C. abzuschieben.

Der Fall bleibt also auf dem Aktenstapel der Arbeitsgruppe BIRGIT (»Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus«), die Beckstein im Herbst 2004 eingesetzt hat. Alle zwei Monate tagt der Zirkel in München, im Innenministerium am Odeonsplatz. Michael Münchow kommt aus Ansbach, Gesandte von Polizei und Geheimdienst sitzen am Tisch, und Chef ist Ministerialrat Johann Steiner, Sachgebietsleiter IA2, der seit zwanzig Jahren im Bereich Ausländerrecht arbeitet. Steiner, 56, ein kleiner Mann mit Schnauzbart, ist nachdenklich und misstrauisch. Er wirkt nicht so, als mache ihm BIRGIT viel Spaß, aber er ist nun mal deren Chef. Steiner ist Mouldi C. nie begegnet, hält ihn aber nach Aktenlage für einen, den man nicht unterschätzen sollte. »Er ist clever und kann Leute gegeneinander ausspielen«, sagt er.

Nach dem Selbstmordversuch überlegen Steiner, Münchow und ihre Kollegen, wie es weitergeht. C.s Anwalt Hubert Heinhold hat ihnen einen Kompromiss angeboten: Der Tunesier soll mit der Familie bei Regensburg auf dem Land wohnen, mit Handyverbot und Meldepflicht. Steiner ist dagegen, er will C. nicht in der Nähe der Regensburger Bekanntschaften. Immerhin möchte er ihm eine intensivere
Psychotherapie ermöglichen. Er will sich nicht dem Vorwurf aussetzen, C. in den Tod zu treiben. »Niemand kann in die Menschen hineinschauen«, sagt Steiner.

Aber Hauzenberg ist als Verbannungsort für einen psychisch Kranken ungeeignet. Zur Behandlung muss C. mit dem Bus bis nach Waldkirchen fahren. Leichter zu erreichen wären die Ärzte in Passau, aber die Polizei sagt Nein: Dort könne sie C. nicht überwachen. Schließlich entscheidet die BIRGIT-Runde, C. einen neuen Wohnort zuzuweisen, mit besserer medizinischer Versorgung in der Nähe. »Es war eine Zwangsverlegung zu seinen Gunsten, um die Unterbringungssituation zu verbessern«, sagt Münchow. Frau und Kinder hätten es dann leichter, Mouldi C. zu besuchen.

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Mouldi C. im Wald bei Hauzenberg
Änderungsbescheid der Regierung von Mittelfranken, 17. Oktober 2008:

»Sie werden verpflichtet, ab dem 27.10.2008 in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Wunsiedel zu wohnen. Ihre persönlichen Belange werden nicht nennenswert beeinträchtigt. Falls Sie die Pflicht nicht beachten, wird die Regierung die Verpflichtung durch unmittelbaren Zwang vollziehen.«

Eine Zwangstherapie. Aber C. will nicht weg aus Hauzenberg. Er fürchtet die Neonazis, die Wunsiedel unsicher machen, er fürchtet noch größere Einsamkeit. Bei seiner Psychotherapeutin in Waldkirchen und im Sportverein hat er Halt gefunden, und selbst die anfangs erbosten Hauzenberger dulden ihn mittlerweile. Sie haben nie verstanden, warum der Staat den Mann von seiner Familie trennt. Wo die Familie doch den letzten Halt gibt. Wenn er jetzt Nachbarn begegnet, die Obstbäume schneiden oder Holz hacken, sagen sie »Servus« zu ihm. »Servus«, antwortet C.

Seine Depression bringt ihn immer öfter in die Psychiatrie in Mainkofen. Dort befürchtet der Arzt, dass ihn der neue Wohnort vollends zermürben würde. »Es bleibt uns unverständlich«, schreibt er, »wie riskant mit der Gesundheit eines stark depressiven Patienten umgegangen wird.« Ein ewiger Konflikt: Ärzte finden Behörden erbarmungslos, Behörden finden Ärzte naiv. Steiner sagt es so: »Wir nehmen jede ärztliche Diagnose ernst und bewerten sie im Rahmen der ausländerrechtlichen Gesamtsituation, die der Arzt wiederum nicht kennt.«

Am 16. Februar 2009 verbietet der Verwaltungsgerichtshof die Verlegung nach Wunsiedel und rügt die Bevormundung eines Mannes, der seit Jahren mit Maßnahmen überzogen sei: »Behörden ist es grundsätzlich verwehrt, dem Einzelnen vorzuschreiben, was er im Interesse seines Eigenschutzes zu tun hat.« Die Richter billigen C. diese eine Freiheit zu – die Freiheit zur Krankheit.

Von BIRGIT allerdings kann C. keine Nachsicht erwarten. Als es ihm wieder einmal schlechter geht, überweist ihn die Psychotherapeutin sofort in die Mainkofener Psychiatrie. Es ist Freitagmittag, C. erreicht die Regierung nicht, um die Erlaubnis einzuholen. Er hinterlässt eine Nachricht und fährt ins Klinikum. Bald besucht ihn dort die Polizei, es gibt ein Bußgeldverfahren, weil C. gegen die Auflage verstoßen hat. Im Zirkel der BIRGIT hatten sie diskutiert, ob man C. wirklich wegen einer Formalie bis ins Krankenhaus verfolgen sollte. Ministerialrat Steiner aber will jeden Verstoß dokumentieren. Es sind Argumente, um die Isolation fortzusetzen.

Doch irgendwann muss es enden. »Eine permanente, auf Lebenszeit angelegte Unterwerfung widerstrebt der Menschenwürde«, sagt sein Anwalt. Außerdem hält sich C. an die Regeln, mit den Verdächtigen von früher redet er nicht mehr. Aggressiv ist er nur gegen sich selbst. In einem ähnlichen Fall hat ein Gericht gemahnt: Fünf Jahre Isolation sind genug. Ein Richter, der den Fall kennt, findet schon fünf Jahre zu viel, wenn die Familie dabei kaputtgeht. Noch aber bleiben Steiner und Münchow hart. Der Staat ist selbst im Käfig. »Weil man C. anfangs zum Exempel erklärte«, sagt ein Beamter, »kann man sich jetzt keine Blöße geben.«

Das erklärt es nicht allein. Jeder, der über Gefährder entscheiden soll, hat selbst Angst. Jeder fürchtet, dass man ihn in Haftung nimmt, wenn der Gefährder zum Täter würde. »Ich möchte nicht etwas übersehen, was dann schwere Konsequenzen hat«, sagt Steiner. Ein Richter, der mit dem Fall vertraut ist, sagt: »Wer sollte denn davor Angst haben, dass der sich umbringt? Es geht doch darum, dass wir nicht umgebracht werden.«

Jenen, die C. für einen kranken, einsamen Menschen halten, bleibt nur Sarkasmus. »Ich kann nur hoffen«, schreibt der Arzt aus der Psychiatrie, »dass potenzielle Suizidversuche auch weiterhin ›untauglich‹ bleiben werden, um in der Sprache der Behörden zu bleiben.«

Matthias Ziegler (Fotos)