Folge 39: Nachricht von Spam

Unser Autor bekommt im Internet so viele Einladungen und Freundschaftsanfragen, dass er sich einsam fühlt.

Ich hatte ein paar Tage Urlaub. Ich habe meinen Computer nicht angemacht. Ich habe auch kein Handy, das mir die Emails hinterherschickt. Es war also Montag morgen und ich öffnete meinen E-Mail-Account, den privaten, nicht den beruflichen. Ich hatte 93 neue Nachrichten. Wow, dachte ich mir, ich werde nie einsam sein, auch nicht im Alter, auch nicht, wenn ich krank werde, ich kam mir sehr vernetzt und gemocht vor. Dann sah ich genauer hin.

Zwei Drittel der neuen E-Mails waren von Facebook. Auch gut. Neue Freunde. Neue Kontakte. Nachrichten von alten Freunden. Warum nicht?
Leider war nur eine dieser vielen Facebook-Nachrichten wirklich an mich, Tobias Haberl persönlich, gerichtet. Ein alter Freund hatte geschrieben: „Was geht bei dir, Alder?“ Immerhin. So entstehen Dialoge. Der Rest waren Nachrichten, in denen ich anderen Menschen, die ich nicht kannte, als Freund vorgeschlagen wurde, sowie Aufforderungen, Facebook-Gruppen beizutreten. Eine davon trug den Namen: „9TO5 – Days In Porn.“ Außerdem Einladungen zu Ausstellungseröffnungen und Parteiveranstaltungen zur Europawahl. Zu guter Letzt sahen viele E-Mails aus wie Nachrichten von Freunden, entpuppten sich dann aber ebenfalls als Aufforderungen, sich bestimmte Webseiten anzusehen, wo ich doch nicht mal die jeden Tag anschauen kann, die mich interessieren.

Zusammenfassend kann man durchaus sagen, dass ich enttäuscht war. Ich dachte, da meint jemand mich - und dann ging es doch meistens um die anderen Menschen selbst. Es ist wie im Leben. Der Begriff Freundschaft meint meistens nicht, dass sich zwei Menschen sympathisch sind und sich das Beste wünschen, sondern, dass einer den anderen braucht, um sich wahrgenommen, wichtiger, besser zu fühlen.

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Ich habe den Überblick über meinen Facebook-Account verloren, ich bin mit zu vielen Menschen verbunden, die mich mit zu vielen Informationen überschütten, die mich zu wenig interessieren; die offenbar so leer sind, dass sie sich freuen, wenn sie Menschen, die sie nicht kennen, anderen Menschen, die sie auch nicht kennen, als Freunde vorzuschlagen. Ich bekomme zu viel mit von der Welt. Mein Leben ist komplizierter, nicht reicher geworden. Ich finde, das ist falsch verstandene Offenheit, falsch verstandene Freiheit.

Es gibt ein altes Lied von Henry Rollins mit dem Titel: I want to disconnect myself. Endlich weiß ich, was er meint.