Die letzten Tage des Steve McQueen

Am 7. November 1980 starb Steve McQueen im Alter von nur 50 Jahren. Seine Frau Barbara lebt heute in Montana und hat fast nie öffentlich über den Tod ihres Mannes gesprochen. Jetzt hat sie bei Dalton Watson das Buch »The Last Mile« veröffentlicht, dem die hier gedruckten Passagen entnommen sind. Einige Fotos daraus sind zurzeit in der Londoner Movie Poster Art Gallery zu sehen.

»Gesprengte Ketten«, »Thomas Crown ist nicht zu fassen«, »Le Mans«, »Papillon«: In den Sechziger- und Siebzigerjahren war er der coolste Kerl des amerikanischen Films – doch gegen Ende seines Lebens wandte sich der Schauspieler Steve McQueen immer mehr von Hollywood ab. Bis zu seinem Tod 1980 lebte er meist zurückgezogen in Kalifornien mit seiner Frau. Hier erzählt sie zum ersten Mal von dieser Zeit.

Ich war auf den Titelseiten von Cosmopolitan, Harper’s Bazaar, Glamour und Elle, ich hatte eine große Fotostrecke in der berühmten Bademoden-Ausgabe von Sports Illustrated. Anders gesagt: Ich war Anfang zwanzig, Model und gut im Geschäft. 1977 erhielt ich einen Anruf, der mein Leben verändern sollte. Nina Blanchard, meine Agentin aus Los Angeles, meinte, Steve McQueen habe in einer Zeitschrift eine Club-Med-Reklame mit mir gesehen und wolle, dass ich für eine Rolle in seinem neuen Film vorspreche. Das klang gut.Am Wochenende des 4. Juli trafen wir uns zum Essen im noblen »Beverly Wilshire Hotel«, wo Steve als Dauergast eine Suite in den oberen Etagen bewohnte. Nina war mitgekommen, um ein Auge auf mich zu haben. Steve hatte lange Haare, einen Bart und sah eher aus wie ein Hippie vom Strand als ein internationaler Filmstar. Anders als in seinen Filmen, in denen er oft den Schweigsamen gab, war er ziemlich mitteilungsbedürftig. Eine richtige Plaudertasche. Er sprach über seine Kinder, seine schwierige Jugend und sein verrücktes Leben. Zwei Stunden lang unterhielten sich Steve und Nina, die ungefähr gleich alt waren, und tauschten Kindheitserinnerungen aus. Ich saß da, hörte zu und staunte. Ich mochte ihn sofort. Am Ende der Unterhaltung sagte Steve, er würde mich gern in seinem nächsten Film, Ich, Tom Horn, in der Rolle einer indianischen Ehefrau sehen. Ganze fünf Minuten ging er auf die Rolle ein. Wer den Film kennt, weiß, dass da gar keine indianische Ehefrau vorkommt. Die ganze Sache war nur vorgetäuscht, Steve hatte alles inszeniert, um mich kennenzulernen.

Nach dem Treffen tadelte mich Nina, weil ich kaum etwas gesagt hatte: »Konntest du nicht einmal den Mund aufmachen?« Ich konnte selbst kaum glauben, was ich antwortete. »Ich werde diesen Mann heiraten!«, rief ich. »Ich liebe ihn!« Nach drei Monaten mit Ferngesprächen, Wochenendbesuchen und einer Flut an Briefen rief mich Steve in Idaho an und fragte mich, ob ich nach Kalifornien ziehen wolle, um mit ihm zusammenzuleben. »Pack deine Sachen, ich komm und hol dich ab.« Ich hatte kaum Zeit, darüber nachzudenken, aber das spielte auch gar keine Rolle. Steve hatte Anspruch auf mich erhoben. Ein »Nein« hätte er nicht akzeptiert.Wir fuhren nach Trancas Beach, nördlich von Malibu, nahe dem Pacific Coast Highway. Dort wohnte Steve in einem großartigen dreistöckigen Haus aus Holz und viel Glas. Man hatte einen Panoramablick auf den Pazifik und die wunderbaren Dünen, einen Steinwurf vom Wasser entfernt.

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Und dort lebten wir also zusammen. Es funktionierte sofort hervorragend. Wir hatten viel Zeit für uns, denn Steve drehte bis zu seinem Tod nur noch zwei Filme. Im Allgemeinen war das Leben in Trancas Beach ruhig und friedlich. Nur manchmal gerieten die Dinge etwas außer Kontrolle – wegen unseres Nachbarn. Wem der Name Keith Moon etwas sagt, der weiß, wovon ich spreche: vom Schlagzeuger der legendären Rockband The Who. Seinen Spitznamen »Moon the Loon« (»Moon der Verrückte«) hatte er sich durch seine Alkohol- und Drogeneskapaden wirklich verdient. Als Nachbar war er unerträglich. Er feierte wüste Partys, hörte überlaute Musik und blieb nächtelang wach. Es war aber gar nicht mal der Lärm, der Steve und mich verrückt machte.

Moons Bad hatte ein riesiges Fenster mit farbigem Glas, in dem er die ganze Nacht das Licht brennen ließ. Es schien direkt in unser Schlafzimmer. Immer wieder rief Steve ihn an, bat höflich, das Licht auszuschalten. Ohne Erfolg. Eines Nachts, als wir uns wieder einmal wegen des grellen Lichts schlaflos hin und her wälzten, sprang Steve auf und schrie: »Verdammt, ich hab genug von diesem Mist.« Er griff sich ein Gewehr und marschierte rüber zu Moons Haus. Einen Augenblick später hörte ich einen Knall, der durch die ganze Nachbarschaft hallte, dann das Geräusch von zersplitterndem Glas. Seelenruhig kam Steve ins Haus zurück, legte das Gewehr beiseite und öffnete eine Flasche gut gekühltes Old Milwaukee Bier.

In dieser Nacht schliefen wir so tief wie noch nie. Und über sein zerstörtes Badfenster verlor Mr. Moon nie ein Wort.

Heute kann ich kaum glauben, dass mein Ehemann in den Sechzigerjahren eine Mode-Ikone war. Ich weiß natürlich, dass sein Bild die Titelseiten von Harper’s Bazaar und GQ schmückte und dass er in Thomas Crown ist nicht zu fassen einfach umwerfend aussieht, mit seinen Dreiteilern, der goldenen Taschenuhr und der Persol-Sonnenbrille. Mir ist klar, dass dank des Films Bullitt der Rollkragenpullover wieder in Mode kam und über die Jahre Millionen von Ford Mustangs verkauft wurden. Noch heute benutzen ja große Firmen und Konzerne seinen Namen und sein Bild, um ihre Produkte zu vermarkten. Und doch: Der Steve McQueen, den ich kannte, war ein Mann mit einem einfachen Geschmack. Er trug Jeans, Holzfällerhemden, Chukka-Schuhe, Shirts und Fernfahrerkappen. Der größte Teil seiner Garderobe stammte tatsächlich aus seinen Filmen, er nahm das Zeug am Ende der Produktion einfach mit. Ansonsten kaufte er seine Kleidung am liebsten bei Supermärkten wie Kmart ein.

Außerdem verbrachten wir endlos viel Zeit auf der Suche nach Antiquitäten, Möbeln, Spielzeug, Motorradteilen und allerlei Kleinkram. Wir durchstöberten die Regale der Antiquitäten- und Gebrauchtwarenläden, gingen zu Garagenverkäufen und Tauschbörsen. Steves Hauptkriterium für einen Kauf war: Alt muss es sein. »Das Neueste, was ich habe, bist du«, sagte er oft lachend zu mir. Vernunft spielte für Steve keine Rolle. Suchte er zum Beispiel nach einer Laterne und fand fünf derselben Sorte, nahm er sie alle mit. Es war, als wollte Steve alles kaufen, was ihm in seiner Kindheit gefehlt hatte, was er sich als Jugendlicher nicht hatte leisten können. Das Einzige, was er sich nicht kaufen konnte, war die Zeit, all die schönen Dinge zu genießen.

In vielen Biografien und Dokumentarfilmen heißt es, Steve McQueen sei deshalb so gern mit seinen Flugzeugen geflogen, weil er so seinem Vater näherkommen wollte, den er nie gekannt hatte und der angeblich ein Flieger gewesen war. 1979 zogen Steve und ich uns an den Rand von Trancas Beach zurück, um dort das einfache Leben zu genießen. Als Erstes am Morgen studierte Steve immer mit seiner billigen Lesebrille die Anzeigen, um neue Sonderangebote zu finden. Eines Tages stieß Steve in der Zeitschrift Airplane Trader auf ein ganz besonderes Angebot: einen grellgelben PT-Stearman-Doppeldecker.

Das Flugzeug wurde in den Vierzigerjahren für die US Navy gebaut, hatte einen generalüberholten 220-PS-Motor, war tadellos erhalten und sollte 35000 Dollar kosten. Steve griff sofort zum Telefon und kaufte das Ding. Dann hörte er sich um und fand heraus, dass Santa Paula, ein kleiner Ort ungefähr eine Stunde nördlich von Malibu, die »Welthauptstadt historischer Flugzeuge« war. Dort musste es, so Steves Vermutung, einen Fluglehrer geben, der ihm beibringen konnte, wie man den alten Vogel fliegt. Er fand einen und tauchte völlig in das Thema ein. Bald bestimmte das Fliegen bzw. der Flughafen von Santa Paula unseren Alltag. Ich hatte dabei meine Model-Laufbahn für eine Startbahn eingetauscht. Nichts liebte Steve mehr, als mit seinem Flugzeug abzuheben und alte Freunde oder Motorradkumpels zu besuchen. Eine seiner Lieblingstouren war ein 45-Minuten-Flug in Richtung Osten zum Agua Dulce Airpark; auf der Landebahn dort war ein großes X aufgemalt, als Hinweis darauf, dass sie außer Betrieb war – also landete Steve dort besonders gern. Selbst das Essen in den Flughafencafés hatte es ihm angetan. Oft landete er nur deshalb auf den Flughäfen von Santa Barbara, Porterville, Bakersfield, Delano oder Shafter, weil er Lust auf einen Pie mit Eiscreme hatte. »Hier möchte ich sterben«, meinte Steve eines Tages.

Santa Paula erinnerte ihn an seine Heimatstadt Slater in Missouri. Für Steve war es wie eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. Eine gemütliche, ländlich gepräg-te Kleinstadt, amerikanischer Mainstream, mit einem Schuss mexikanischem Flair. Steve wollte in Ruhe gelassen werden, ein ganz normales Leben führen, und die Einwohner hier ließen ihn. Im Juni 1979 verkaufte er das Haus in Trancas, und wir suchten nach einem neuen in Santa Paula. Das war allerdings gar nicht so einfach in einem so kleinen Ort. Irgendwann fragte er mich, ob ich etwas dagegen hätte, wenn wir uns vorübergehend, bis wir ein passendes Heim gefunden hätten, in seinem Hangar einrichten würden. Ich fand das romantisch, und wir richteten uns dort ein, so gut es ging. In einem Teil arrangierten wir den Bettkasten mit der großen Matratze, daneben standen ein Esstisch und Stühle. Neben unserem Bett brachten wir behelfsmäßig eine Stange an, die als Kleiderschrank diente. Und für die Abendunterhaltung hatten wir immerhin ein tragbares Fernsehgerät am Fußende unseres Bettes stehen.

Unsere »Wohnung« war so eng, dass ich mir beim Aufstehen schon mal einen Motorradlenker in den Bauch rammte oder den Kopf am Flügel einer Stearman stieß. Dafür brachte mir Steve jeden Morgen einen Kaffee ans Bett und öffnete das Hangartor, damit wir die Welt vom Bett aus betrachten konnten. Es war jeden Tag ein großartiger Anblick. Das Leben im Hangar mit Steve war wunderschön – zumindest die ersten sechs Monate. Aber manchmal fühlte man sich im Hangar wie im Zelt. Steve schien gar nicht so interessiert daran, ein Haus zu finden. Wir hatten viel Spaß und alles, was man braucht. Nur an Platz fehlte es dann doch, nachdem Steve ein zweites Flugzeug kaufte – eine neuwertige Pitcairn PA Mailwing. Ich sehnte mich nach einem echten Zuhause mit Zimmerpflanzen und allem. Irgendwann hatte ich Steve dann doch so weit, dass wir ernsthaft nach einem neuen Heim suchten. Steve war ein echtes Energiebündel. Als ich ihn kennenlernte, hatte er die Kraft ei-nes Mannes, der nur halb so alt war wie er. 1979 jedoch, bei den Dreharbeiten zu Jeder Kopf hat seinen Preis, war das nicht mehr der Fall.

Steve war stolz auf die zahlreichen Stunts, die er im Lauf seiner Karriere selbst gemacht hatte. Nun aber sagte er dem Produzenten, er sei »zu alt und zu reich« für Stunts, und trat sie gern an ein Double ab. Als Steve bei der Verfolgungsjagd nach einem wesentlich jüngeren Verbrecher selber die Kenmore Street hinunterrennen musste, kam er völlig außer Atem und musste sich erschöpft an eine Ziegelwand stützen. In dem Moment war allen Anwesenden klar, dass irgendwas nicht stimmte. Besonders besorgt war ich über Steves anhaltenden Husten. Als die Dreharbeiten im Dezember abgeschlossen waren, versprach mir Steve, zum Arzt zu gehen. Was der Arzt auf Steves Röntgenbild sah, beunruhigte ihn allerdings so sehr, dass er Steve zu einer ausführlicheren Untersuchung ins Cedars-Sinai Hospital in Los Angeles überwies – wo er sich am 17. Dezember 1979 unter dem Namen Don Schoonover einfand. Ein neues Röntgenbild zeigte einen großen Tumor im rechten Lungenflügel.

Weitere Untersuchungen ergaben, dass Steve an einem Mesotheliom litt, einem seltenen und besonders gefährlichen Tumor, der meist durch das Einatmen von Asbest verursacht wird. Steves Diagnose lautete: »unheilbar«. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er reagierte darauf, indem er mir eine Frage stellte, wie nur Steve McQueen sie stellen konnte: »Also, willst du, dass wir durchs Land reisen und Spaß haben, oder soll ich versuchen, gesund zu werden?« Steve hatte mir lang vorher versprochen, er werde mich heiraten. Jetzt hielt er tatsächlich um meine Hand an. Auch dabei blieb er sich allerdings treu. Es war ein klassischer Steve-Moment. »Hier, bist du zufrieden?«, fragte er etwas verlegen, während er mir den Ring, den er ein paar Tage vorher hatte anpassen lassen, auf den Finger schob. Dann ging er zum Kühlschrank und holte sich ein Bier. Hochzeitstermin war Mittwoch, der 16. Januar 1980.

Seinen bevorstehenden Tod ging Steve so an wie sein Leben – gelassen. Nachdem das Haus in Santa Paula fertig war, verbrachte er seine letzten Tage mit den Dingen, die ihm am meisten Spaß machten: Er flog viel, fuhr Motorrad, hing im Hangar rum, frühstückte im Flughafencafé oder machte es sich zu Hause gemütlich. Wenn Steve nicht im Hangar war, saß er am liebsten in einem Rohrstuhl vor dem Schuppen hinter dem Haus. Oft ging er nach draußen und machte ein Feuer in einem alten dreckigen Topf. Dann saß er da, ich brachte ihm Kaffee und er las ein paar Stunden lang in der Morgenzeitung. Es war ein schönes Bild, er zwischen den Zitruspflanzen und unseren Tieren im Garten. Er war allein, hatte seine Ruhe und niemand belästigte ihn. Genau, wie er es wollte.

Am 7. November 1980 starb Steve McQueen im Alter von nur 50 Jahren. Seine Frau Barbara lebt heute in Montana und hat fast nie öffentlich über den Tod ihres Mannes gesprochen. Jetzt hat sie bei Dalton Watson das Buch »The Last Mile« veröffentlicht, dem die hier gedruckten Passagen entnommen sind. Einige Fotos daraus sind zurzeit in der Londoner Movie Poster Art Gallery zu sehen.

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Loel Zwecker