Offenes Ende

Ein halbes Jahr lang haben wir das Modelabel Escada und seinen Chef Bruno Sälzer regelmäßig besucht, um aus der Nähe zu beobachten, wie das Unternehmen sich gegen die drohende Insolvenz stemmt. Seit Mitte August ist klar: Die Firma ist pleite. Trotzdem herrscht Hochstimmung. Denn einiges weist darauf hin, dass Escada aus dem Zusammenbruch mit neuer Stärke hervorgehen könnte.


(Der künftige Erfolg von Escada hängt entscheidend von der Frühjahr-/Sommerkollektion 2010 ab. Hier zeigen wir Ihnen Mitschnitte der Modenschau, die bisher nur der Fachwelt vorgeführt wurden - aber lesen Sie bitte erst unsere nun beginnende Reportage...)

28. April - Die Bankrotterklärung Die Veranstaltung am 28. April 2009 heißt offiziell »ESCADA – Ordentliche Hauptversammlung«. Aber im Grunde ist es eine Bankrotterklärung, was Bruno Sälzer, der Chef des Münchner Modehauses, seinen Aktionären im Konferenzsaal des »Arabella Sheraton« vorträgt: Im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftete Escada 70 Millionen Euro Verlust. Der Umsatz sank um 15 Prozent. Die Aktie stürzte um 86 Prozent ab. Spätestens bis zum Sommer braucht Escada 30 Millionen Euro, um die Geschäfte fortzuführen. Darüber hinaus lasten Schulden von weit mehr als 200 Millionen Euro auf dem Unternehmen. Sogar Sälzer nennt die Zahlen »völlig unakzeptabel«.

Was die Mode angeht, hat Escada die beste Zeit in den Achtzigerjahren erlebt und verstaubt seitdem. Nur bei den Pelzgegnern scheint die Marke noch Gefühle zu wecken, sie demonstrieren vor dem Eingang des Hotels. Escada war einst der weltweit größte Hersteller für luxuriöse Damenmode. Aber hat das Unternehmen nicht längst jede Existenzberechtigung verspielt?

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22. Juni – Die Modenschau

Kurz vor acht Uhr abends darf Bruno Sälzer endlich vorzeigen, wofür er die letzten zwölf Monate geackert hat: Im Showroom des Modehauses, wo die Kleider sonst an Stangen oder weiß lackierten Puppen hängen, gehen Models mit lockigen Haaren den Laufsteg auf und ab und präsentieren die Frühjahr/Sommer-Kollektion für das kommende Jahr. Sälzer, brauner Teint und schwarzer Anzug, steht etwas abseits und reibt sich nervös am Kinn.

Es ist die erste Kollektion, die er zu verantworten hat, seit er vor einem Jahr von Metzingen nach München kam, von der Herrenbekleidung zur Damen-Couture, von Boss zu Escada. Sinnliche, mutige Entwürfe hat er von seinen Designern gefordert, deren Umsetzung den Modellmachern und Schneidern des hauseigenen Ateliers so viel handwerkliches Geschick abverlangen soll, »dass sie vor Schreck erst einmal ins Koma fallen« – um sich nach dem Erwachen selbst zu übertreffen.

Das Resultat sind scharf auf Figur geschnittene Blazer, Tunikablusen mit Zebraprint aus zartem Chiffon, plissierte und locker mit Kordeln gegürtete Seidenkleider für Tag und Abend – und 400 begeisterte Gäste. Nahezu jedes zweite Modell wird von Beifall über den Laufsteg begleitet. Sälzers Gesichtszüge entspannen sich zusehends.

Aus den USA und London sind die Einkäufer der Luxuswarenhäuser Neiman Marcus, Saks Fifth Avenue und Harrods angereist; sie verfügen nicht nur über bedeutende Budgets, sondern auch über das Gespür, ein verkünsteltes Kostüm von einem anspruchsvollen, ein dekoriertes Kleid von einem raffinierten zu unterscheiden. Und sie versichern Sälzer, dem neuen Escada-Stil einen gebührenden Platz in ihren Läden einräumen zu wollen. Die Aussichten des Münchner Modelabels wären langfristig wieder rosig, wenn nicht kurzfristig die Pleite drohen würde. Sälzer warnt seit Wochen öffentlich, dass dem Unternehmen im Sommer das Geld ausgeht.

Bei Opel oder Karstadt haben die Mitarbeiter aus Angst vor dem Jobverlust Warnstreiks und Mahnwachen veranstaltet. Bei Escada feiert man eineinhalb Monate vor dem möglichen Untergang ausgelassen eine neue Kollektion, deren Auslieferung in den Sternen steht – mit Barbecue, Wein und Aperol Sprizz. Natürlich sind Glamour und Träume Teil des Geschäftsmodells von Escada. Dennoch erinnert die Situation ein wenig an das heitere Treiben auf der Titanic – mit dem Unterschied, dass sich bei Escada der Eisberg schon sehr deutlich am Horizont abzeichnet.

26. Juni – Das Ultimatum

Vier Tage nach der Party tritt Sälzer mit einer Botschaft an die Gläubiger vor die Presse. Im Jahr 2005 gab das Unternehmen eine Anleihe heraus, borgte sich also Geld bei Anlegern. Dieses Leihgeschäft endet 2012. Dann müsste Escada 200 Millionen Euro zurückzahlen – das ist angesichts der real existierenden Geschäftszahlen so utopisch wie ein SPD-Sieg bei der Bundestagswahl.

Escada ist derzeit mehrheitlich in den Händen des russischen Milliardärs Rustam Aksenenko, der spanischen Investorengruppe Bestinver und der Gebrüder Herz, denen auch Tchibo und ein großer Teil des Kosmetikherstellers Beiersdorf gehören. Sie alle haben zugesagt, weiteres Geld in die Firma zu pumpen – aber nur, wenn Sälzer das Problem mit der Anleihe beseitigt.

Deshalb legt der Chef von Escada am Morgen des 26. Juni ein Angebot vor: Jede Anleihe, die ursprünglich 1000 Euro kostete, soll gegen ein Papier im Wert von etwa 400 Euro getauscht werden. Die Gläubiger sollen auf 60 Prozent ihrer Forderung verzichten – eine Zumutung. Andererseits wird die Anleihe an der Börse nur noch für 270 Euro gehandelt.

Damit Escada seinen Schuldenberg um 100 Millionen Euro verkleinern kann, müssen die Gläubiger 80 Prozent der Anleihen umtauschen. Andernfalls werde Escada Insolvenz anmelden, droht Sälzer. Und das bedeutet: Die Gläubiger gehen womöglich ganz leer aus. Das Angebot gilt bis Ende Juli. Etwas mehr als ein Monat noch, dann entscheiden die Gläubiger über das Schicksal des einst so erfolgreichen Modehauses und seiner gut 2000 Mitarbeiter.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Als Bruno Sälzer 2008 den Vorstandsvorsitz übernimmt, ersetzt er 25 von 30 Führungskräften, er führt einen »Lauftreff« ein, außerdem will er endlich eine Fußballmannschaft)

(Anmerkung: Der künftige Erfolg von Escada hängt entscheidend von der Frühjahr-/Sommerkollektion 2010 ab. Hier zeigen wir Ihnen Mitschnitte der Modenschau, die bisher nur der Fachwelt vorgeführt wurden.)

1. Juli – Die Retrospektive

Aus den Fenstern des Berliner Bode-Museums strahlt pinkfarbenes Licht am Abend des 1. Juli. Der Teppich am Eingang des Kuppelbaus ist pink, das Abendkleid mit der ausladenden Schleppe in der Mitte der Eingangshalle, die Lilienbouquets, der Champagner. Escada hat zum Auftakt der Berlin Fashion Week zur »Pink Party« geladen. Schwarz glänzende Puppen wurden im Saal aufgestellt und ausstaffiert mit den spektakulärsten Escada-Entwürfen der vergangenen 30 Jahre.

Die Inszenierung macht den erhofften Eindruck auf die 400 eleganten Gäste: Suzy Menkes, die Modekritikerin der International Herald Tribune, fühlt sich an Donald Trump erinnert, der immer die größten Feste gefeiert habe, »wenn alle sagten, er sei pleite«. Der Münchner Designer Adrian Runhof erklärt vor einem Fernsehteam seinen tiefen Respekt für die ausgestellte Handwerkskunst. »Wenn ich diese Abendkleider sehe, bekomme ich Gänsehaut. So ein Können darf nicht untergehen.«

Bevor sich Familienunternehmen wie Louis Vuitton, Prada oder Gucci zu internationalen Luxuskonzernen mit berühmten Chefdesignern wandelten, war Escada bereits eine Weltmarke: Das ehemalige Topmodel Margaretha Ley und ihr Ehemann Wolfgang schufen ihren Erfolg 1976 aus dem Nichts. Sie experimentierten mit Farben und Drucken und entwarfen opulente Kleider für Kundinnen, die ihren Wohlstand gern zeigten, und Hosenanzüge für die Geschäftsfrau. Ihre Produkte standen für perfekte Passform und erstklassiges Handwerk. Vor allem die Amerikanerinnen waren begeistert. 1990 machte Escada eine Milliarde Mark Umsatz.

1992 starb Margaretha Ley, ihr Ehemann führte die Geschäfte allein fort. Wolfgang Ley besaß zwar ein großes Talent als Verkäufer, doch er schaffte es nicht, den Betrieb mit Tausenden Mitarbeitern und Hunderten Boutiquen weltweit zu leiten. Die Kosten und Kollektionen uferten aus. 2006 gibt Ley die Führung der Firma ab; weil die Sanierungserfolge ausbleiben, verschleißt Escada innerhalb von zwei Jahren zwei weitere Chefs.

Als Bruno Sälzer im Juli 2008 den Vorstandsvorsitz übernimmt, ersetzt er umgehend 25 von 30 Führungskräften, größtenteils durch frühere Kollegen von Boss. Und er führt einen Kollektionsrahmenplan ein: Anhand von Gesprächen mit großen Kunden, vor allem in den USA und Russland, wird sondiert, welche Mode dort künftig gefragt sein könnte. Nur innerhalb dieses Rahmens dürfen die Designer nun entwerfen, sie müssen auf Kombinierbarkeit achten und darauf, dass in der Kollektion alle Preislagen vertreten sind.

Sälzer hat das System bei Boss perfektioniert und damit satte Gewinne eingefahren. Bei Escada strebt er an, die Gewinnmarge zu steigern und gleichzeitig die Preise zu senken. Die Marke soll nicht mehr ausschließlich die wohlhabende Stammklientel ansprechen, sagt Sälzer, sondern auch Frauen, »die bei H & M einkaufen, sich aber ein schönes Teil von Escada leisten wollen«.

9. Juli – Joggen mit dem Chef

Am Eingang der Firmenzentrale, die von außen den Charme eines Sanitärfachhandels hat, versammeln sich gegen 18 Uhr rund 20 Escada-Mitarbeiter in Shorts und T-Shirt. Wie schon bei Boss hat Sälzer einen »Lauftreff« eingeführt. Wann immer es die Zeit zulässt, läuft er mit. Vom Gewerbegebiet Dornach im Münchner Osten geht es an Feldern und Wiesen vorbei zum Gewerbegebiet Feldkirchen und schließlich zu einem kleinen See. Sälzer trabt und erzählt, was er mit Escada noch vorhat: Da ist zunächst der Münchner Firmenlauf, bei dem auch ein Team von Escada in pinkfarbenen T-Shirts teilnehmen wird und eine möglichst gute Figur abgeben soll. Außerdem will er endlich eine Fußballmannschaft zusammenstellen. Hat der Mann nichts Wichtigeres zu tun?

Das oberste Ziel von Escada heißt, sinnliche, opulente und qualitativ herausragende Mode zu produzieren. »Wie soll das gelingen in einem Klima der Angst?«, fragt Sälzer. Er weiß, dass ihm der Applaus der Aktionäre und Wirtschaftsjournalisten sicher wäre, wenn er radikal Kosten senken und Mitarbeiter entlassen würde. Er hätte die Weihnachtsfeier streichen können oder auch das Fest anlässlich der neuen Kollektion. »Aber wenn ich hier spare, bringt mir das nur ein paar Euro«, sagt Sälzer. »Dafür denken die Mitarbeiter dann, sie hätten mit dem Verzicht ihren Teil zur Sanierung des Unternehmens bereits geleistet. Das ist natürlich Unsinn.«

Lieber sorgt Sälzer für Stimmung und treibt die Mitarbeiter zu Höchstleistungen an. Um ihnen dann zu zeigen, dass er selbst immer noch zulegen kann: Als die meisten Mitarbeiter an diesem Abend spätestens nach der dritten Runde um den See zurück zur Firma joggen, dreht der 52-jährige Chef schwitzend noch eine vierte. Sälzer ist Sportler, einer, der gewinnen will.

28. Juli – Die Verlängerung

Die Luft in der Münchner »Käfer Schänke« ist etwas stickig am Abend des 28. Juli. Bruno Sälzer trägt bayerische Lederhosen und Wadlstrümpfe, der Schweiß steht ihm auf der Stirn: Immer wieder muss er mit der hereinströmenden Lokalprominenz im Scheinwerferlicht der Kameras posieren. Die meisten seiner Gäste kennt er nicht, in der Freizeit meidet er gesellschaftliche Verpflichtungen und Golfplätze. Aber aus professioneller Sicht hält er die »Pre-Wiesn-Party« von Escada für gerechtfertigt: Man habe sich als Münchner Unternehmen zu einer Dirndlkollektion entschlossen. »Wenn ich Dirndl verkaufe, muss ich dazu stehen.«

Noch eine Botschaft ist ihm wichtig: »Man kann sagen, wir sind durchgeknallt. Aber wir sind nicht tot.« Es gibt Brezen in Herzform, Obazdn und Moët & Chandon.
Sälzer wirkt ungewohnt nervös an diesem Abend. Ständig blickt er auf das Display seines Handys und tippt Nachrichten. Kaum jemand in der Festgesellschaft ahnt, dass er wieder einmal um die Zukunft des Unternehmens kämpft. Der Umtausch der Anleihen läuft schleppend, bisher wurden nur etwa 40 Prozent getauscht.

Aktionärsschützer kritisierten, dass die Besitzer der Anleihen auf einen großen Teil ihrer Forderung verzichten sollen, aber keine Gegenleistung erhalten, wenn sich das Unternehmen erholt hat. Mit Erfolg: Pro Anleihe sollen die Gläubiger nun zehn Aktien dazubekommen. Sälzer muss allerdings erst die Eigentümer überreden, in deren Besitz sich die meisten Aktien befinden. Der russische Milliardär Aksenenko ist schnell im Boot, ebenso die spanische Investorengruppe. Die Herz-Brüder zögern.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Sälzer sagt, er habe eine klare Vision von der Marke und sehe weltweit nichts Vergleichbares: Escada soll für »freakigen Glamour« stehen. Um diese Vision umzusetzen, werde er »notfalls mit dem Hund des Hausmeisters zusammenarbeiten«.
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Sie halten zwar große Stücke auf Sälzer und haben sich überhaupt nur bei Escada beteiligt, weil er Chef wurde. Aber schon auf der Hauptversammlung im April erklärte der Münchner Anwalt Reinhard Pöllath, der die Interessen der Brüder im Aufsichtsrat vertritt, dass man den Einstieg inzwischen als Fehler betrachte. Den Frust seiner Großaktionäre kann Sälzer nachvollziehen: »Die haben sich gerade bereit erklärt, weitere 20 Millionen Euro bei uns zu investieren. Und jetzt sollen sie auch noch mehrere hunderttausend Aktien herschenken.« Gegen 22 Uhr erhält er die erlösende Nachricht: Die Herz-Brüder lenken ein. Um 22.27 Uhr veröffentlicht Escada eine Ad-hoc-Mitteilung an die Finanzmärkte: Das neue Umtauschangebot für die Anleihe steht, es gilt bis zum 11. August um 15 Uhr.

13. August – Ende oder Anfang?

Eigentlich wollte Bruno Sälzer heute mit seiner Frau und seinen vier Söhnen für zwei Wochen nach Mallorca fliegen. Aber nun sitzt er um zehn Uhr morgens im Münchner Amtsgericht, weil nur 46 Prozent statt der nötigen 80 Prozent der Anleihegläubiger das Umtauschangebot angenommen haben. Er habe zwei Bitten, sagt Sälzer der Insolvenzrichterin: dass sie ihm »den besten und den schnellsten Insolvenzanwalt« schickt. Drei Stunden später sitzt er in der Escada-Kantine, als sein Handy klingelt: Der Insolvenzanwalt Christian Gerloff will in zwanzig Minuten vorbeikommen. Weitere vier Stunden später sagt ihm Gerloff, er sehe nach der ersten Durchsicht der Bücher gute Chancen, das Unternehmen weiterzuführen.

Die Zeitungen spekulieren, einer wie Sälzer werde sich kaum einem Insolvenzverwalter unterordnen und Escada verlassen. Sälzer sagt, er habe eine klare Vision von der Marke und sehe weltweit nichts Vergleichbares:
Escada soll für »freakigen Glamour« stehen. Um diese Vision umzusetzen, werde er »notfalls mit dem Hund des Hausmeisters zusammenarbeiten«.

In den letzten Tagen haben zwei Luxuskaufhäuser in Japan und die exklusive Kette Bloomingdale’s zugesagt, die Kleider des Münchner Modehauses in ihr Sortiment aufzunehmen. Von den anderen Großkunden ist niemand abgesprungen, auch die Brüder Herz haben angedeutet, Escada weiter stützen zu wollen.

Nur die Anleihegläubiger, die das Umtauschangebot verschmähten, könnten sich verrechnet haben. Es ist nämlich gut möglich, dass künftige Investoren wesentliche Teile des Unternehmens übernehmen – etwa die Marke, die Produktion, das Vertriebsnetz –, nicht jedoch die Anleihe. In diesem Fall wären die Papiere wohl deutlich weniger wert als die von Escada angebotenen 40 Prozent, schätzen Insider.

Am nächsten Tag erhält Sälzer eine E-Mail vom Betriebsrat: Die Mitarbeiter wollten wissen, wie es mit dem diesjährigen Oktoberfestbesuch aussieht. Sie seien natürlich bereit, selbst zu zahlen.

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(Der künftige Erfolg von Escada hängt entscheidend von der Frühjahr-/Sommerkollektion 2010 ab. Hier zeigen wir Ihnen zwei Mitschnitte der Modenschau, die bisher nur der Fachwelt vorgeführt wurden.)

Fotos: Robert Voit