Das Beste aus aller Welt

Axel Hacke überlegt, wie man einen Wal ausstopft und verliert gegenüber dem italienischen Kokosnuss-Schrei-Meister die Fassung.

Bruno und ich kamen auf das Naturhistorische Museum in London zu sprechen, und Bruno sagte, wie gut er sich an dieses Museum erinnern könne, dort sei ein ausgestopfter Blauwal zu sehen, großartig. Worauf ich sagte, ich sei erst vergangenes Jahr mit Luis in London gewesen. Der Blauwal sei ein Modell aus Kunststoff, keineswegs ausgestopft, was Bruno bestritt: Er habe ihn berührt, Walhaut gespürt …

Wir sahen im Internet nach. Der einzige ausgestopfte Blauwal der Welt befindet sich in Göteborg. Was Bruno verwirrte. In Göteborg sei er nie gewesen, seltsam. Hat er von diesem Wal geträumt? War er in einem früheren Leben Schwede? Ich hingegen stellte mir vor, was für eine Heidenarbeit es sein muss, einen Blauwal auszustopfen. Womit macht man das? Was stopft man in eine Blauwalhaut hinein? Alte Walplakate? Zeitungen? Wie macht man das? Mit Kleinbaggern, die eine Tagesauflage der Göteborgs-Posten in den Wal schaufeln? »Sagen Sie, was machen Sie so beruflich?«
»Die letzten zwei Jahre habe ich als Zeitungszusammenknüller beim Blauwalprojekt gearbeitet.«

Wir waren auf das Londoner Museum gekommen, weil Bruno eine Meldung über »die schlimmste Reise der Welt« gelesen hatte. »Die schlimmste Reise der Welt« ist nicht die Wahlkampfreise Frank-Walter Steinmeiers, sondern eine Antarktis-Expedition im Jahr 1911, die ein Engländer namens Wilson (dessen Original-Reisebericht nun in London versteigert wird) mit zwei Begleitern zum Cape Crozier unternahmen, wo sie Kaiserpinguine beobachten wollten. In der fast kompletten Dunkelheit des antarktischen Winters kämpften sich die Männer vor, durch Sturm und Schnee, nachts von solchem Schüttelfrost gequält, dass sie fürchteten, ihre Knochen würden brechen. Die Kälte war so schlimm, dass es morgens fünf Stunden dauerte, bis sie ihre Zelte verlassen und verpackt hatten.

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Sie brachten drei Kaiserpinguin-Eier mit und trugen sie zum Naturhistorischen Museum in London, wo der Pförtner sie mit den Worten abweisen wollte: »Was wollen Sie? Wir sind kein Eier-Laden!« Irgendwer nahm dann die Eier an, aber der Überbringer musste Stunden warten, um eine Quittung zu bekommen. Womöglich hat man denen in London auch mal einen ausgestopften Blauwal angeboten, aber sie haben ihn nicht genommen, weil sie den Walquittungsblock nicht fanden.

Am Strand in Italien haben wir einen neuen Kokosnuss-Verkäufer, er hat bei der letzten Meisterschaft im Kokosnuss-Schrei-Wettbewerb den ersten Platz belegt. Zwei Mal pro Tag kommt er, jedes Mal schreiend: »Cocco! Hallohoh! Cocco!« Dann bleibt er stehen, besprüht seine Kokosstücke mit frischem Wasser, schreit noch mal, verkauft etwas, geht weiter. Es geht einem auf die Nerven, dieses Cocco-Hallohoh, genau wie die Vu-Compras mit ihren Handtüchern, ihrem Schmuck, ihren Sonnenbrillen. Neulich blieb ein Inder neben mir im Sand hocken, bis ich schrie: »Noo-oo!« Er schlurfte davon. Fast wäre ich hinter ihm her, hätte ihm seine ganze Ware abgekauft, so leid tat er mir.

Später döste ich unterm Schirm und stellte mir vor, wie eine Antarktisexpedition vorüberzog, mit den Füßen durchs walblaue Meer patschend, an den Armen Körbe voller Kaiserpinguin-Eier, die niemand wollte. Dann warf sich ein Blauwal aus dem Wasser heraus in den Sand, laut »Hallo-hoh!« rufend, aber jemand antwortete nur, was das solle, das sei hier kein Blauwal-Laden, sondern ein Strand.

Ich schlief ein und träumte, dass ich mit einem Eimer voller Texte durch den Sand trottete, vor jeder Liege stehen blieb und etwas murmelte von meinen schönen Texten und dass sie heute günstig seien. Aber die Leute starrten auf den Boden. Ich begann, ihnen etwas vorzulesen, aber sie sagten nichts, sie waren eiskalt, diese Menschen, so eiskalt, dass ich es körperlich spüren konnte, an meinem Arm spürte ich die Kälte, ich wachte auf davon, aber es war nur Paola, die mir ein Magnum von der Strandbar mitgebracht hatte und damit über meinen Arm strich.

Neben dem gefälschten Blauwal empfiehlt Axel Hacke im Naturhistorischen Museum London vor allem die Erdbebenkammer: Sie sieht aus – und wackelt – wie ein japanischer Supermarkt.

Dirk Schmidt (Illustration)