"Beim Blick auf den Mount Everest habe ich sie gefragt, ob sie mich heiraten will"

Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits sind das berühmteste Bergsteigerpaar der Welt. Ein Gespräch über die Liebe am Limit.

SZ-Magazin: Frau Kaltenbrunner, es gibt 14 Achttausender. Auf zwölf waren Sie schon. Kürzlich wollten Sie auf den K2, mussten aber kurz vorm Gipfel umdrehen. Wie fühlt sich das an?
Gerlinde Kaltenbrunner: Für mich ist so eine Expedition immer ein Erfolg, auch wenn ich den Gipfel nicht erreiche. Am K2 war ich nun schon zweimal, jedes Mal gab es zwei Gipfelversuche. Es war keine leichte Entscheidung.

Sie waren diesmal ohne Ihren Mann unterwegs. Denken Sie bei solch einer Entscheidung auch daran, dass er unten wartet?
Kaltenbrunner: Ja, schon. Ralf hat mich sogar für ein Paar Tage mit einem Filmteam im Basislager auf 5000 Meter besucht. Beim ersten Gipfelversuch hatten wir täglich Funkkontakt. Die Entscheidung, umzudrehen, hatte aber nichts mit ihm zu tun. Bei meinem zweiten Versuch eine Woche später war er dann ja auch wieder zu Hause in Deutschland. Herr Dujmovits, mit welchem Gefühl geht man ins Bett, wenn man weiß, die eigene Frau bricht gerade zum Gipfelsturm auf einen der tödlichsten Berge der Welt auf?
Ralf Dujmovits: Ich schlafe schlecht, das nimmt mich sehr mit. Auch weil ich aus eigener Erfahrung am K2 weiß, an welchen gefährlichen Stellen sie sich gerade befindet. Das ist pure Verlustangst, aber auch Angst, dass sich Gerlinde so schwer verletzen könnte, dass sie behindert wäre. Das wäre fast noch schlimmer.
Kaltenbrunner: Diese Angst kenne ich auch, allerdings kam es zum Glück bis jetzt noch nie vor, dass ich daheim wartete, während du auf Expedition warst. Als dich 2004 der Stein am Unterschenkel getroffen hat in der Südwand des Shisha Pangma – das hat mich noch lange beschäftigt.

Was war passiert?
Kaltenbrunner:
Wir waren im Alpinstil unterwegs, ohne Fixseile, zu viert in der Eiswand. Ich oben, Ralf unter mir. Da traf ihn der Stein am Unterschenkel. Ein Teamkollege und ich haben Ralf gerade noch mit den Händen zu fassen bekommen, sonst wäre er tausend Meter tief gefallen.

Wenn Sie gemeinsam unterwegs sind – streiten Sie manchmal darüber, ob Sie weitergehen sollen oder nicht?
Kaltenbrunner: Ralf wägt die Risiken analytisch ab, ich verlasse mich auf meinen Bauch. Ich spüre, ob es richtig ist, weiterzugehen. Am Annapurna waren wir unterschiedlicher Meinung. Am dritten Biwak auf etwa 6600 Meter hat er beschlossen, zurückzugehen. Ich bin weiter. Dann hat er sich anders entschieden und ist mir nachgekommen.

Hat Sie das gefreut?
Kaltenbrunner:
Ehrlich gesagt, war es nur Stress für mich. Bis zu dem Moment, als wir den gefährlichen Hängegletscher auf 6800 Meter gequert hatten und in Sicherheit waren. Ich habe ständig gebetet: Bitte, lass nichts passieren! Ich hätte mir immer die Schuld gegeben, wenn ihm was zugestoßen wäre. Als wir wieder unten waren, haben wir entschieden, dass jeder für sich seine Entscheidung trifft, sofern es dem anderen gut geht.

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Man geht also nicht mit dem anderen mit, um ihn vielleicht zu beschützen oder aus Solidarität?
Dujmovits: Im Idealfall verhält man sich wie ein Bergsteiger-Team, nicht wie ein Ehepaar.
Kaltenbrunner: Natürlich wäre es schöner, immer alles zu zweit zu machen. Aber am Berg hat jeder seine eigenen Vorstellungen.

Herr Dujmovits, was geht in einem vor, wenn man seine Frau weiterziehen lassen muss?
Dujmovits: Da hoch zu schauen? Das ist der Hammer. Man gerät in die Verlierer-Position. Es gab eine andere Situation am Lhotse 2006, da standen wir um vier Uhr nachmittags 100 Meter unterm Gipfel vor blankem Eis, auf dem Pulverschnee lag. Ich war vorn und spurte, wusste aber nicht, ob der Schnee auf dem Eis halten würde, wir waren bereits zwei Stunden über die Zeit. Da bin ich umgekehrt und habe Gerlinde meine Gründe geschildert. Sie ist trotzdem weitergegangen, ich sah die Frau, die ich liebe, in diesen perfekten Himmel hinein aufsteigen. Anders war es am Annapurna. Da habe ich mich mitreißen lassen.

Und Sie, Frau Kaltenbrunner, haben Sie sich auch schon mal mitreißen lassen?
Kaltenbrunner: Ja, das war bei dem Versuch am Lhotse im Mai 2006. Ralf hatte den Rückweg angetreten, ich bin noch weiter. Doch dann habe ich meinen Versuch auch abgebrochen. Als er gesehen hat, dass ich umdrehe, hat er gewartet. Und als ich bei ihm war, da hat er geweint. Es war dann ein wunderschöner Abstieg. Es wurde dunkel, und zwanzig Minuten, nachdem ich meine Stirnlampe angeschaltet hatte, fiel sie aus. Stellen Sie sich vor, das wäre weiter oben am Berg passiert.
Dujmovits: Ich habe ihr dann hinuntergeleuchtet. Es war eine relativ warme Nacht, minus 17 Grad, und wir haben spontan entschieden, draußen vorm Zelt zu biwakieren. Matten raus, Schlafsäcke raus. Blitze erleuchteten immer wieder die Südwestwand des Mount Everest gegenüber. Und über uns die Sterne. Da habe ich Gerlinde gefragt, ob sie mich heiraten will.
Kaltenbrunner: Und dieses Jahr haben wir ihn zusammen geschafft, den Lhotse. Für Ralf war es der letzte Achttausender.

Ist es doppelt so schön, einen Berg gemeinsam zu schaffen?
Dujmovits: Solche Momente zu teilen ist großartig: Einen Riesengipfel, an dem man sich dreimal versucht hat, endlich zu schaffen – zusammen mit dem Menschen, den man liebt.
Kaltenbrunner: Auf manche Berge muss ich eben ohne ihn, weil er sie schon bestiegen hat.
Dujmovits: Da fehlt dann die Motivation und irgendwie auch die Kraft.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Über das Entspannen nach einem Achttausender und die Angst vor dem Tod am Berg.

War das Ihre Idealvorstellung, einmal mit einem Menschen zusammenzusein, der die Leidenschaft Extrembergsteigen teilt?
Kaltenbrunner: Ich könnte mir keinen Nicht-Bergsteiger als Ehemann für mich vorstellen.
Dujmovits: Ich war lange mit einer Nicht-Bergsteigerin zusammen, die auch die Mutter meines Sohnes ist. Das ist schwierig.

Das stellt man sich fast unlösbar vor: Der eine ist ständig unterwegs, erlebt diese Grenzerfahrungen, der andere führt ein ganz normales Leben zu Hause. Geht das überhaupt?
Dujmovits: Das ist eine große Zumutung für den, der wartet. Und der, der weg ist, kommt mit seinen Erlebnissen zurück und erwartet gleichzeitig, dass er zu Hause nahtlos da anknüpfen kann, wo er weggegangen ist. Aber der andere führt auch sein Leben.

Apropos Leben: Wie erholt man sich nach einem Achttausender? Einfach mal nichts tun?
Kaltenbrunner: Das könnte ich nicht. Irgendwas machen wir immer, kleine Bergtouren, Mountainbiken. Und danach schwimmen wir oft noch ein, zwei Kilometer zum Ausgleich.

Ist das Ihre Art sich zu erholen? Zwei Kilometer schwimmen? Was ist mit Urlaub?
Dujmovits:
Wir waren mal in Thailand, aber da haben wir nicht am Strand gelegen, sondern sind geklettert. Es gibt dort wunderschöne Felsen, die über dem Wasser hängen.

Was ist das für eine Stimme, die Ihnen sagt: Ich muss auf alle Achttausender?

Kaltenbrunner: Das hat sich langsam entwickelt. Ich habe mich auf jeden Berg einzeln vorbereitet, ohne daran zu denken, sie alle zu besteigen. Aber 2006, beim neunten, dem Kangchendzönga in Nepal, habe ich gedacht, es wäre schön, auf jedem mal gestanden zu haben.

Gehen Frauen eigentlich anders an einen Berg heran als Männer?
Dujmovits: Den Satz »Ach, das geht schon« hört man von Frauen nicht. Frauen, die sich für eine Expedition interessieren, trauen sich das, was sie sich zutrauen, zu Recht zu. Männer stapeln gern mal hoch.
Kaltenbrunner: Ich glaube, die Motivation, auf einen Achttausender zu steigen, ist bei Männern eine ganz andere als bei Frauen. Männer sagen oft, dass sie auf den Gipfel müssen. Sie müssen das einfach schaffen, verstehen Sie?

Aber bei Ihnen beiden waren es jedes Mal Sie, Frau Kaltenbrunner, die dafür war, weiterzusteigen, während Ralf zurückwollte.
Dujmovits:
Ich bin neun Jahre älter als Gerlinde und war früher auch wagemutiger. Aber ich habe eben auch schon viele Tragödien miterlebt, bei denen es Tote gab.
Kaltenbrunner: Das ist für mich nicht ausschlaggebend. Auch ich habe in den letzten drei Jahren viele Tote gesehen. Ich war sogar unmittelbar dabei, wie am Dhaulagiri, wo spanische Bergsteigerkollegen und ich von einem Schneebrett verschüttet wurden und zwei Kameraden gestorben sind. Meine Entscheidung, den Gipfelversuch am K2 nun schon zum vierten Mal abzubrechen, fiel, ohne dass ich dabei an Cristina Castagna dachte, meine Freundin, die vor Kurzem am benachbarten Broad Peak abgestürzt ist. Ich versuche, solche Gedanken auszuschalten und mich nur auf die aktuelle Situation zu konzentrieren.

Sie haben Freunde verloren; das Risiko auf dem K2 zu sterben, liegt bei 30 Prozent. Ist es das wirklich wert?

Kaltenbrunner: Ich kann mir nichts vorstellen, was mir die Berge verleiden würde. Es trifft mich natürlich stark, wenn jemand umkommt, aber es ist kein Grund für mich, mit dem Bergsteigen aufzuhören.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Über Liebe bei einer Tasse Wasser und Sex im Hochgebirge.

Wie haben Sie beide sich eigentlich kennengelernt?
Kaltenbrunner: Ich kannte Ralf aus dem Fernsehen; ich hatte seine 33-stündige Live-Durchsteigung der Eigernordwand 1999 gesehen.
Dujmovits: Ich wusste nichts von ihr. Sie schrieb ja noch keine Schlagzeilen. 2002 am Manaslu im Basislager auf 4800 Meter sind wir uns zum ersten Mal begegnet. Ich war gerade im Küchenzelt und habe mit meinem Team die nächsten Tage besprochen. Gerlinde biwakierte mit ihrem vierköpfigen Team nebenan. Da kam sie plötzlich herein und hat sich vorgestellt. Ich war sofort beeindruckt.

Wie ging es weiter?
Kaltenbrunner: Später haben wir uns noch mal gesehen, im Lager 1 etwa 800 Meter weiter oben, da hat er mir einen Becher Wasser angeboten.

Einen Becher Wasser?
Dujmovits:
Ein Schluck Wasser dort oben ist Gold wert. Das ist geschmolzener Schnee, und um diesen Schnee zu Wasser zu machen, muss man ziemlich viel Energie aufwenden.
Kaltenbrunner: Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut. Dann hat es vier oder fünf Tage lang geschneit. Beide Teams sind zusammen zum Gipfel aufgebrochen und wir mussten alle ziemlich hart spuren.
Dujmovits: Gerlinde ist immer vorneweg gegangen, das hat mich beeindruckt. Am Ende sind zwanzig Männer hinterhergelaufen und Gerlinde und ich haben abwechselnd gespurt.
Kaltenbrunner: Da habe ich gemerkt, dass es richtig gut passt zwischen uns, das war klasse.

Waren Sie anschließend ein Paar?
Dujmovits:
So leicht ist Gerlinde nicht zu haben.
Kaltenbrunner: Im Basislager schlug Ralf mir vor, im nächsten Jahr an die Kangchendzönga-Nordwand mitzugehen. Seit dieser Expedition 2003 sind wir zusammen.

Gerlinde muss bei ihren eigenen Expeditionen oft die Nacht mit anderen Männern im Biwak verbringen. Macht man sich da als Mann Gedanken?
Dujmovits: Das beschäftigt mich schon hin und wieder, keine Frage.
Kaltenbrunner: Das klingt jetzt sehr romantisch, aber Ralf ist doch der Mann meines Lebens. Da muss er sich keine Gedanken machen.

Wie ist das eigentlich so als Frau in diesem Männergeschäft?
Kaltenbrunner: Anfangs haben die Männer keine Notiz von mir genommen. Es war auch irgendwie abgemachte Sache, dass Frauen zu schwach zum Spuren sind. Einmal, am Nanga Parbat, war ich in einem Team aus fünf Kasachen im hohen Neuschnee unterwegs. Ich war eine Woche davor am Kangchendzönga gewesen, also gut akklimatisiert. Aber immer wenn ich drangewesen wäre zu spuren, hat sich einer vor mir eingereiht. Irgendwann reichte es mir und ich bin nach vorn.
Dujmovits: Sie hat den ganzen Rest gespurt.
Kaltenbrunner: Als wir oben waren, haben sie mich das erste Mal gefragt, wie ich heiße. Vorher hat sie das nicht interessiert.
Dujmovits: Seitdem nennen einige Bergsteiger sie Cinderella Caterpillar. Viele können immer noch nicht akzeptieren, dass es eine Frau gibt, die stärker ist als sie.

Ist das auch eine Motivation: sich als Frau dort zu behaupten?
Kaltenbrunner:
Eben überhaupt nicht. Es sind die erhabenen Momente, wie beim Abstieg vom K2 neulich, in denen man auf ein schier unendliches Gipfelmeer hinausschaut. Etwas Schöneres gibt es nicht.
Dujmovits: Man steht auf 8300 Meter und das gesamte Karakorumgebirge liegt einem zu Füßen bis hinüber zur nördlichsten Ecke des Himalaja.
Kaltenbrunner: Vom Gipfel des Nanga Parbat sieht man 7000 Höhenmeter hinab bis ins Indus-Tal. Von keinem Fleck der Welt kann man weiter hinunterschauen.

Es kann doch nicht nur der schöne Blick sein, der Sie auf die Achttausender treibt.
Kaltenbrunner:
Wenn es den nicht gäbe, würde ich nicht bergsteigen. Ich kann mir kein intensiveres Lebensgefühl vorstellen, als allein vor meinem kleinen Zelt zu sitzen, Schnee zu schmelzen und in die Bergkulisse zu schauen.

Schon mal traurig gewesen, dass es nicht noch höhere Berge gibt?
Kaltenbrunner: Ach, es gibt auch viele wunderschöne Siebentausender, wo man keine Menschenseele trifft, namenlose Berge, die darauf warten, dass man ihnen schöne Namen gibt.
Dujmovits: Übernächsten Winter wollen wir zum Bergsteigen in die Antarktis. Es wird nie dunkel, der Horizont verschwimmt mit dem Eis, die Sonne kreist um einen herum, und man schläft, wenn der Berg Schatten wirft.

Kann man so einen Lebensplan mit Kindern vereinbaren?
Kaltenbrunner:
Die Berge werden immer meine Leidenschaft sein, daher schließe ich Kinder für mich aus. Das Schicksal der berühmten schottischen Bergsteigerin Alison Hargreaves, die zwei Kinder hatte und 1995 auf dem K2 gestorben ist, hat mich zu sehr getroffen. Der Vater ist dann mit den Kindern zum Fuße des K2 gegangen, um ihnen zu zeigen, wo die Mama geblieben ist.
Dujmovits: Das Familiengefühl können wir trotzdem ein wenig ausleben, weil ich zwei Kinder habe.

Wie oft wollen Sie den K2 noch probieren?
Kaltenbrunner:
Auf jeden Fall nächstes Jahr.
Dujmovits: Fünf Versuche sind nicht außergewöhnlich.

Wie sieht es mit Sex so weit oben aus?
Kaltenbrunner: Im Basislager, auf 5000 Meter, geht es schon noch – wenn man akklimatisiert ist.
Dujmovits: Darüber kann ich’s mir schwer vorstellen. Es ist zu kalt. Und man bekäme Kopfschmerzen von der dünnen Luft.

Foto: Rafael Krötz