Fausts Neue

Interviews mit Menschen, die wir gut finden. Diese Woche: Katharina Lorenz und ihre gefeierte Darstellung des Gretchens in Wien.

Respekt, Frau Lorenz, die Kritiker feiern Sie für Ihre Darstellung des Gretchens am Wiener Burgtheater als »Sensation«.
Katharina Lorenz:
Stimmt. Ich war überrascht, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet, dass ich so viel Lob bekomme. Aber mein Partner Tobias Moretti, der den Faust spielt, wird in Grund und Boden geschrieben. Da kann etwas nicht stimmen: Wir erzählen doch beide eine Liebesgeschichte.

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edenfalls ist es Ihnen gelungen, die Rolle des Gretchens völlig neu zu interpretieren: als moderne, selbstbewusste Frau.
Ich muss zugeben, dass ich lange Zeit ratlos vor dem Gretchen stand, nicht wusste, wie ich einen Zugang finden kann. So habe ich mir erst einmal eine Ukulele gekauft und das Lied Es war ein König in Thule gelernt. Und meine Mutter hat mir das Stricken beigebracht.

Was hat dann bei Ihnen den Ausschlag gegeben, die Figur so anders zu zeigen, als sie seit Jahrhunderten gesehen wird?
Ich habe viel über die Fantasien der Männer nachgedacht. Faust hat ja eine ganz bestimmte Vorstellung im Kopf, er folgt einem Bild, das mit dem Gretchen selbst gar nicht so viel zu tun hat. Von dieser Projektion wollte ich mich einfach lösen. Irgendwann wurde ich richtig wütend und dachte mir: Was soll das? Ich bin dreißig Jahre und keine 15 mehr. Wie soll denn das Gretchen sein?
Sie ist jedenfalls nicht nur die Unschuldige, die ins Verderben gerissen wird. Die ist nicht nur Opfer, sondern auch Täterin. Für mich ist das Gretchen eine sehr starke Frau, sie kann gar nicht stark genug sein. Erst als mir das alles klar war, konnte ich meine eigene Kraft zulassen.

Und was haben Sie sich zur berühmten Gretchenfrage überlegt: »Wie hast Du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon«?
Ich dachte lange, ich müsste einen anderen Zugang finden. Schließlich habe ich nichts anderes gemacht, als einfach diese Frage zu stellen. Nach der Premiere hörte ich oft: Die Gretchenfrage nach der Religion wirkte überhaupt nicht komisch. Das hat sicher mit der Zeit zu tun, in der wir leben und viele Menschen wieder auf der Suche nach einem Glauben sind.

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Ursprünglich sollten Sie unter der Regie von Jürgen Gosch den Faust am Burgtheater spielen. Doch er starb im Juni dieses Jahres. Deshalb beschloss der neue Intendant, Matthias Hartmann, den Faust selbst zu inszenieren. Es heißt, Sie hätten anfangs gezögert, unter ihm das Gretchen zu spielen. Warum?
Ja, ich habe lange gebraucht, um zuzusagen. Zu Gosch hatte ich großes Vertrauen, Hartmann dagegen kannte ich nicht so gut. Ich dachte, wenn das nach hinten losgeht, stehe ich mit meinem Gretchen ziemlich allein da. Ich fragte mich: Willst du nicht oder hast du Schiss? Und zugegeben: Ich hatte Schiss. Nun bin ich froh, dass ich mich getraut habe. Ich bin wie geheilt und habe große Freude am Spielen.

Katharina Lorenz stand vor ihrem Engagement am Burgtheater Wien in Hannover und Düsseldorf auf der Bühne. Außerdem spielte sie in Fernsehserien wie Tatort oder SoKo Leipzig mit. Als Gretchen im Faust I ist sie in diesem Monat noch vier Mal zu sehen: am 17., 18., 22. und 23. Oktober.

Foto: Reinhard Werner