Vom Einfall zum Beifall

Strom aus der Wüste, Autos mit Laptopbatterien: Die Welt ist voller guter Ideen - aber damit aus einer guten Idee ein Erfolg wird, braucht es viel mehr als nur... nun ja, eine gute Idee.

Die Rettung der Welt? Ein Kinderspiel: In der Wüste scheint praktisch immer die Sonne. Und Platz gibt es dort reichlich, allein die Sahara misst 8,7 Millionen Quadratkilometer, etwa 25-mal so viel wie Deutschland. Man könnte doch in diesem unbewohnbaren Teil der Erde großflächig Solarmodule installieren, um das weltweite Energieproblem ein für alle Mal zu lösen – und gleichzeitig den Klimawandel stoppen.

Bis zum Oktober 2009 hätten die Experten die Idee als Träumerei und Hirngespinst abgetan. Doch dann schlossen sich zwölf deutsche Großunternehmen, darunter die Münchener Rück, Siemens, RWE und die Deutsche Bank zusammen, um genau dieses Hirngespinst in die Wirklichkeit umzusetzen: Im Rahmen des gemeinsamen Projekts Desertec sollen in wenigen Jahren die ersten Wüstenkraftwerke entstehen, die in Afrika Ökostrom für die ganze Erde erzeugen. Neu ist die Idee nicht. Vor vierzig Jahren schlug bereits der deutsche Rüstungsunternehmer Ludwig Bölkow ein gigantisches Solarkraftwerk in Nordafrika vor, um den Weltenergiebedarf zu decken. Technisch innovativ ist die Idee auch nicht, Solarzellen mit vernünftigem Wirkungsgrad existieren seit Langem, ebenso Hochspannungsleitungen, die elektrische Energie über Tausende Kilometer ohne große Verluste übertragen.

Die Rettung der Welt wäre auf diese Weise sogar vergleichsweise günstig: Um 15 Prozent des Strombedarfs in Europa und Afrika aus Sonnenenergie zu decken, fallen nach Schätzungen von Experten Investitionen in Höhe von 400 Milliarden Euro an. Die Sanierung des internationalen Finanzsystems nach der Lehman-Pleite kostete bisher 7100 Milliarden Euro und ist weit weniger nachhaltig. Bleibt die Frage, warum die Wüstenkraftwerke nicht schon viel früher gebaut wurden.

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Geistesblitze und Selektionsprozesse

Es wäre nicht die erste revolutionäre Idee, die mit gehöriger Verspätung die Welt verändert: Auch das Internet, der Computer, der Fernseher und der Ottomotor verbreiteten sich erst Jahrzehnte nach ihrer Erfindung flächendeckend. Beim Wasserrad, um 100 vor Christus erfunden, vergingen sogar sechs Jahrhunderte.

An Ideen scheint kein Mangel zu herrschen, es hapert vor allem an der Umsetzung. Warum zünden manche Ideen nur so langsam? Warum verpuffen die meisten sogar völlig? Und warum verkauft sich das iPhone von Apple nur drei Tage nach Markteinführung eine Million Mal?

Wenn es um bahnbrechende Ideen geht, denken die meisten Menschen sofort an einen Tüftler, der mit einem genialen Einfall ein neues Zeitalter lostritt – sei es das Zeitalter des Automobils, des Fernsehens oder des Computers. Diese Vorstellung verbreiten auch Geschichtsbücher und Museen, und meistens schwingt da der Gedanke mit, dass eine Idee nur genial genug sein muss, um zum Erfolg zu werden. Diesem Glauben hat der Technikhistoriker George Basalla seine Theorie von der Evolution der Technik entgegengesetzt: So wie in freier Wildbahn durch Mutation unzählige Lebensformen entstanden sind, kursieren unter den Menschen auch unzählige Ideen.

Welche Ideen sich durchsetzen und welche scheitern – darüber entscheidet ein Selektionsprozess: Wirtschaftliche Interessen spielen eine Rolle, allen voran die Frage, ob sich mit der Erfindung Geld verdienen lässt. Aber auch soziale und kulturelle Faktoren – die Japaner zum Beispiel kannten schon im 16. Jahrhundert Schusswaffen, trotzdem bevorzugten sie noch jahrhundertelang Schwerter, weil diese untrennbar zum Idealbild des japanischen Kämpfers gehörten. Basallas Theorie von der Evolution der Technik schließt große Sprünge keineswegs aus, in der Regel aber entwickelt sich das Neue eher langsam. (Lesen Sie auf der nächsten Seite, was es braucht, damit eine Idee zum Erfolg wird.)

Oder auch gar nicht: In der Geschichte der Menschheit gab es unzählige Ideen, die jahrzehntelang unbeachtet in irgendeiner Schublade vor sich hin staubten, sagt Günter Faltin, der an der Freien Universität Berlin das Fach Unternehmensgründung lehrt, Forscher seien nämlich »fast nie geeignet, erfolgreiche Unternehmer zu werden«.

Charles Goodyear zum Beispiel erfand Mitte des 19. Jahrhunderts die Vulkanisation von Gummi. Auf dieser Technik beruht bis heute die Produktion von Autoreifen. Er selbst starb jedoch völlig verarmt, weil es ihm nicht gelang, Profit aus seiner Erfindung zu schlagen. Reich wurden erst zwei deutsche Entwickler, die einige Zeit später seine Ideen aufgriffen. Freundlicherweise nannten sie ihre Firma Goodyear.

Damit eine Idee zum Erfolg wird, »braucht es Verkäufer, Charismatiker, Trüffelschweine«, erklärt Faltin. Überzeugungskraft und Spürsinn dafür, was der Markt, was die Kunden wollen, sind ungleich wichtiger für den Durchbruch einer Idee als technisches Know-how. Ikea-Niederlassungen haben sich nicht so sehr wegen ihres Angebots in aller Welt verbreitet, sondern wegen der Art, wie die Möbel dort verkauft werden – als Bau-Set, das der Kunde selbst zusammenschraubt.

Und die Idee, die aus dem Nichts kommt, der geniale Einfall, der die Welt verändert? Historisch gesehen ist er die absolute Ausnahme. Wie der berühmte amerikanische Werber James Webb Young schon 1965 in seinem Buch A Technique for Producing Ideas schrieb, lautet die Regel: »Eine Idee ist nicht mehr und nicht weniger als eine neue Kombination alter Elemente.« Selbst so vermeintlich elementare Erfindungen wie die Glühbirne lassen sich auf die Verbindung von Bekanntem zurückführen – in diesem Fall Elektrizität und Glasbläserei.

Die neue Kombination, die andere Wahrnehmung von Bekanntem – sie scheint auch bei Desertec gelungen zu sein: Der pensionierte Physiker Gerhard Knies, der das Projekt seit zwanzig Jahren vorantreibt, erklärt, er habe bewusst die Aufmerksamkeit »auf das Potenzial der Solarenergie gelenkt und weg von den technischen Details«. Dieses Potenzial wurde in der Vergangenheit von etablierten Stromkonzernen bewusst kleingeredet: Angesichts des schlechten Wetters und des niedrigen Wirkungsgrades von Solarzellen werde der Strom aus der Sonne in Deutschland nie fossile Energie ersetzen können.

Knies überging diese Diskussion und stellte die entscheidende Frage: Was ist nötig, um die dramatischen Folgen des Klimawandels einzudämmen? Seine Antwort: 10 000 Gigawatt Strom. So viel verbraucht die Menschheit jährlich, und Knies rechnete vor, dass sich dieser Bedarf mit Sonnenkraftwerken in der Wüste problemlos abdecken ließe. Schon war die Öffentlichkeit elektrisiert. (Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Rolle ökonomische Interessen spielen.)

Der ökonomische Faktor

Was ist überhaupt eine Idee? In der antiken Philosophie Platons bezeichnet der Begriff das Urbild der Dinge, von denen wir uns nur ein Abbild machen. Die Definition als geistige Vorstellung ist bis heute im Englischen erhalten: »I have no idea« heißt eben nicht »Ich habe keine Idee«, sondern »Ich habe keine Ahnung«. Im Deutschen wird der Begriff heute ausschließlich mit dem Einfall gleichgesetzt, also einem – meist neuen – Gedanken, der bestimmte Folgen hat.

Der österreichische Kapitalismustheoretiker Joseph Schumpeter spitzte die Definition noch mehr zu, ihm ging es vor allem um die Frage, welche ökonomischen Auswirkungen eine Idee hat. Ob sie neue Produktionsmethoden hervorbringt oder neue Märkte eröffnet. Die Frage, ob sich damit Geld verdienen lässt, spielt seit der Industrialisierung eine entscheidende Rolle, wenn es um die Durchsetzung neuer Ideen geht.

Umgekehrt haben ökonomische Interessen auch viele Innovationen verhindert: Die Autoindustrie wehrt sich bis heute gegen die Einführung des Elektromotors, weil die Abkehr vom Benzinantrieb für sie mit immensen Kosten verbunden ist. Sie hat in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte diesen Antrieb bis zur kleinsten Schraube perfektioniert.

Es musste erst ein Batteriehersteller kommen, dem Tradition und Perfektionswahn der Autoingenieure egal waren, damit aus der Idee ein Erfolg wurde: Die Firma Tesla packte einfach 6831 Laptopbatterien in eine Box und ließ sich von ein paar Ingenieuren eine ansprechende Verpackung bauen. Seitdem kann sich die kleine Firma aus Kalifornien kaum retten vor Bestellungen für ihren Tesla Roadster.

Nur wenn der Staat ins Spiel kommt, verlieren die ökonomischen Zwänge an Bedeutung. Insbesondere das Militär ist eine große Triebkraft für neue Entwicklungen. Ohne das Manhattan-Projekt etwa, in dessen Rahmen 100 000 Menschen für die damals unvorstellbare Summe von zwei Milliarden Dollar die Atombombe entwickelten, gäbe es heute wohl kaum eine Nuklearindustrie.

Viele andere Innovationen, die längst in unseren Alltag eingedrungen sind, entstammen den Entwicklungslabors des Militärs: das Internet genauso wie der Laser (siehe Seite 22).Auch die wirtschaftliche Lage der Konsumenten entscheidet, ob und wann sich Neues durchsetzt: Um 1920 waren Waschmaschinen und Autos fast ausschließlich in den USA verbreitet. Die Europäer schafften sich diese Konsumgüter erst dreißig oder vierzig Jahre später an, als ihr Lebensstandard entsprechend gewachsen war.

Das gilt heute mehr denn je: Der Erfolg des iPhones von Apple hat weniger damit zu tun, dass es sich um eine bahnbrechende Erfindung handelt. Vielmehr gibt es in den Industrieländern inzwischen genügend Menschen, die sich so ein Gerät leisten können. Und Apple-Chef Steve Jobs hat früh verstanden, dass sich in einer saturierten Gesellschaft neue Produkte besser verkaufen, wenn sie neben der reinen Funktion auch ein Lebensgefühl transportieren.

Zwanzig Jahre lang waren Computer fade, graue Technikkisten. Dann tauchte Steve Jobs auf und gab seinem Designer Jonathan Ive in den Neunzigerjahren den Auftrag, sich etwas Neues zu überlegen. Ive entwarf die ersten iMacs in auffälligen Farben. Da ist sie wieder: die Idee als Kombination – in diesem Fall aus Technik und Design.

Andere Ziele, wahre Interessen

Häufig spielen bei der Durchsetzung von Ideen Interessen eine Rolle, die mit der Idee selbst gar nichts zu tun haben – eine Erfahrung, die der Desertec-Gründer Gerhard Knies schon mehrmals gemacht hat. Ende 2007 etwa erfuhr das Büro des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy von dem Wüstenprojekt. Die Franzosen zimmerten zu dieser Zeit an einer Allianz der Länder am Mittelmeer, die ihnen wieder mehr Einfluss in Europa verschaffen sollte. Doch diese Allianz galt es mit Inhalten und Ideen zu füllen – da kam Desertec wie gerufen. Sarkozy wiederum überzeugte Angela Merkel von dem Projekt. Das war auch nötig, denn zuvor hatte es in Deutschland politisch keine Rolle gespielt. Der damalige Experte für Solarenergie in der Regierung, Hermann Scheer, hatte Desertec abgelehnt, weil er die Macht der großen Energieerzeuger brechen wollte und allein die dezentrale Stromgewinnung favorisierte. (Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich die Gesellschaft einer neuen Technik annähert.)

Doch selbst die Zustimmung zweier Regierungschefs beschied Desertec nur einen vorübergehenden Erfolg. Als Ende 2008 israelische Raketen auf Gaza niedergingen, »standen plötzlich alle politischen Ampeln auf Rot«, erzählt Knies. Vor allem arabische Politiker wollten nicht mehr mit den Europäern zusammenarbeiten, die Israels Offensive nur sehr halbherzig kritisierten. Für Knies waren diese Erfahrungen Anlass genug, sich von der unberechenbaren Politik abzuwenden und sich andere Mitstreiter zu suchen. »Also habe ich die angesprochen, für die das Projekt aus finanzieller Sicht interessant ist: die Industrieunternehmen, die von den riesigen Aufträgen profitieren werden.«

Und immer wieder Skepsis

Eine neue Idee kann nur auf fruchtbaren Boden fallen, wenn möglichst viele Menschen offen für Veränderungen sind. Die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem aber ist ein relativ junges Phänomen, es lässt sich erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts beobachten, sagt Dagmar Schäfer, Forscherin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Trotzdem haben sich die Menschen bis heute eine gewisse Skepsis bewahrt. Die Autorin Kathrin Passig, Mitbetreiberin des Blogs Riesenmaschine.de, analysierte kürzlich in einem sehr unterhaltsamen Aufsatz »Standardsituationen der Technologiekritik« und beschrieb, wie sich die Gesellschaft stufenweise einer neuen Technik annähert:

1. Wozu soll das gut sein? (So reagierte der IBM-Ingenieur Robert Lloyd 1968 auf den ersten Mikroprozessor.)
2. Wer will so was? (So kommentierte der US-Präsident Rutherford B. Hayes 1876 die Erfindung des Telefons.)
3. Das ist doch nur was für Minderheiten! (Hieß es bis weit in die Neunzigerjahre über das Internet.)
4. Ganz nett, aber das ist nur eine Zeiterscheinung. (Sagte Charlie Chaplin zur Einführung des Tonfilms.)
5. Na gut, das wird uns wohl bleiben, aber wichtig ist es nicht. (»Das Internet wird die Politik nicht verändern«, schrieb die Berliner Tageszeitung taz im Jahr 2000.)
6. Die neue Erfindung ist wohl doch wichtig, könnte aber noch viel besser sein. (Siehe Internet, Auto usw.)

Politiker und Leitartikler kritisieren diese Haltung gern, besonders die Deutschen seien technologiefeindlich, zu wenig offen für Neues. Der britische Historiker David Edgerton argumentiert dagegen, der Widerstand gegen Neues habe schon seine Berechtigung, denn wann immer etwas Neues in die Welt kommt, muss sich erst beweisen, ob es überhaupt besser ist als das, was die Menschen bereits kennen und nutzen.

Als das Auto erfunden wurde, gab es Pferde und Eisenbahnen. Die weltweite Kommunikation war auch schon lange vor dem Internet mit Fax, Telex und Telefon möglich. Eine Gesellschaft muss also selektieren, was sie will oder nicht, stellt auch der Historiker Basalla fest; ob sie also Atomkraftwerke will, den Transrapid, den Nacktscanner.

Dieser oft langwierige Diskurs hat die absurde Folge, dass viele neue Produkte bei der Markteinführung auf Technologien beruhen, die bereits dreißig oder vierzig Jahre alt sind, erklärt die Berliner Historikerin Dagmar Schäfer. Ein Standardbeispiel seien gentechnisch erzeugte Lebensmittel und Medikamente. Natürlich gibt es Ausnahmen: Wenn Ressourcen knapp werden, sagt Dagmar Schäfer, »steigt das Innovationspotenzial rasch an«. Die Solarindustrie zum Beispiel habe die größten Fortschritte während der Ölkrise gemacht.

»Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist«, schrieb der französische Dichter Victor Hugo vor gut 150 Jahren. Man könnte sogar sagen, nichts ist so stark wie eine Idee, wenn die Zeit eigentlich schon abgelaufen ist. Dämme werden meist erst dann gebaut, wenn die Stadt schon einmal überschwemmt wurde, Häuser werden meist erst erdbebensicher gemacht, wenn die Städte schon einmal zur Hälfte zerstört wurden. Und »wer todkrank ist, ist sofort bereit, alles Geld der Welt auszugeben, um zu überleben«, sagt der Desertec-Gründer Knies – in Anspielung auf die existenzbedrohende Lage der Menschheit, sollte der Klimawandel wirklich so eintreten, wie ihn die Wissenschaftler vorhersagen.

Knies ist durchaus bewusst, dass der Patient zunächst einsehen muss, wie krank er ist. Die verheerenden Folgen des Klimawandels werden nach den gängigen Prognosen erst in einigen Jahrzehnten eintreten, im Moment sind die Symptome nur ansatzweise spürbar. Jetzt Gegenmaßnahmen zu ergreifen, erfordert schon sehr viel vorausschauendes Denken und Abstraktionsvermögen. Der Physiker Knies sieht sein Projekt deshalb auch als Experiment, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht: Sollte Desertec tatsächlich umgesetzt werden, wäre das für ihn ein Beleg, dass der Mensch nicht nur innovativ ist, sondern auch klug.

Nichts ist abwegiger als die Idee, einen vollständigen Artikel zum Thema "Ideen" schreiben zu wollen. Deshalb empfehlen die Autoren Rainer Stadler und Max Fellmann zur Vertiefung drei Bücher: Ideen von Peter Watson, The shock of the old von David Edgeton, Kopf schlägt Kapital von Günter Faltin.

Illustration: Dirk Schmidt