Der ultimative Kick

Mit Disziplin, Humor und Akrobatik kämpfte sich Jackie Chan vom Stuntman zum Weltstar. Seit gestern läuft Rush Hour 3 in den deutschen Kinos. Ein Treffen mit dem Meister der lustvollen Selbstbeschädigung.

Jackie Chan ballt die beiden Hände zu Fäusten und schlägt sich krachend auf die Brust. »Hier traf mich der Tisch, direkt auf den Knochen«, sagt er. Dann verzieht er das Gesicht, als läge der missglückte Stunt erst wenige Minuten zurück. »Das war sehr, sehr schmerzhaft.« Es geht um eine Szene aus Rush Hour 3, Chans neuer Actionkomödie. In einem Pariser Nachtclub muss sich der von Chan dargestellte Inspektor Lee gegen eine messerwerfende Chinesin verteidigen. Im Lauf des Kampfes kommt er auf einem Sessel zu sitzen, steckt die Füße unter den vor ihm stehenden Couchtisch und schleudert diesen mit einer ruckartigen Beinbewegung in die Luft, der Killerin an den Kopf. »Wir hatten die Szene zweimal gedreht, beides gute Takes«, erzählt Chan. »Aber ich habe gesagt, los, das können wir besser, wir machen’s noch mal, sodass der Tisch in der Luft einen doppelten Salto dreht.« Beim dritten Versuch landete das Möbelstück auf Chans Brustkorb und traf dabei auch sein Schlüsselbein – das er sich erst beim vorigen Film gebrochen hatte. Nun musste wieder der Arzt kommen.

Die Szene mit dem Tisch ist nur ein winziges Detail in Jackie Chans Werk. Aber auch in diesen paar Sekunden Film steckt viel von dem, was sein Kino ausmacht, was den 53-jährigen Hongkong-Chinesen zum Dauerhelden des asiatischen Publikums und »populärsten Filmstar der Welt« (Time) werden ließ, zur »lebenden Legende« (Neue Zürcher Zeitung). Zuerst geht es darum, einen Tisch überhaupt mit den Beinen zielgenau werfen zu können – Chans Erfolg gründet sich auf Fitness und Körperbeherrschung, auf seine Meisterschaft in Akrobatik und Kampfkunst. Dann ist an jener Szene auch sein Wille ersichtlich, sich immer wieder selbst zu überbieten, einen doppelten Salto statt eines einfachen zu versuchen, im Kleinen wie im Großen bis an die Grenzen des physisch Machbaren zu gehen.

Und schließlich bezeugt der missglückte Tischwurf Chans Bereitschaft, mit dem eigenen Wohlergehen für die Unverwechselbarkeit seiner Filmkunst einzustehen: Viele Jahre lang lehnte Chan es ab, sich doubeln zu lassen, und so hat er sich bei Stunts und Leinwandkämpfen schon Dutzende Knochenbrüche geholt; nur knapp entging er der Querschnittslähmung oder dem Verlust des Augenlichts. Und als er 1985 bei den Dreharbeiten zu Der rechte Arm der Götter von einer Mauer auf einen Baum springen wollte und dabei mit dem Kopf voran zu Boden krachte, kostete ihn das fast das Leben. Seitdem hat er ein Loch im Kopf, das mit einem Plastikstöpsel verschlossen ist.

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So ein Kino mag vielen anspruchslos erscheinen, und tatsächlich gibt es bei Jackie Chan auch nur selten nuanciert gezeichnete Charaktere, große Gefühle, schmollende Lippen in Großaufnahme oder gescheite Aussagen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Seine Actionfilme finden ihren Sinn in der Zurschaustellung von körperlichem Wagemut und greifen damit auf eine der ältesten Kinotraditionen zurück: Film als Spektakel, als Jahrmarktsattraktion, als Fenster in eine Welt voller tollkühner Taten und furchtloser Abenteurer.

Die Körperlichkeit seiner Filme erinnert dabei an die großen Komiker der Stummfilmzeit, deren Erfolg ebenfalls nicht auf Dialog oder Tiefsinn beruhte, sondern auf lustvoll zelebrierter Selbstbeschädigung. So wie einst Charlie Chaplin hat heute Jackie Chan eine Strahlkraft, die bis in den hintersten Winkel der Erde reicht, denn um seine Filme zu mögen, braucht man keinerlei kulturelle Vorbildung. »Ich glaube, dass man Körpersprache besser begreift als gesprochene Sprache«, erklärt er und macht zum Beweis einige universell verständliche Handbewegungen. »Deshalb sehen die Leute überall auf der Welt meine Actionfilme.«

Chan ist ein lebhafter Gesprächspartner, der viele seiner in kurzen englischen Sät-zen vorgetragenen Ansichten mit Gesten oder Gesichtsausdrücken unterstreicht. Beschreibt er Filmszenen, so würzt er seine Rede mit lautmalerischen Wortschöpfun-gen: »Ssst – ssst – ssst«, zischt er, wenn es um einen Schwertkampf geht, und mit »Kajumm« beschreibt er jenen Moment bei den Dreharbeiten zu Rush Hour 3, als auf seinen Befehl die große Festbeleuchtung des Eiffelturms angeschaltet wurde. Während er redet, sitzt er auf der Vorderkante des Sofas, ein Energiebündel, stets bereit, aufzuspringen und zur nächsten Aufgabe zu eilen. »Ich bin einfach so aktiv. Mein Kopf – ich habe ständig neue Ideen. Urlaub? Wie buchstabiert man das?«

Mehr als fünfzig Filme als Hauptdarsteller hat er seit Mitte der Siebziger gedreht, dabei oft Regie geführt und fast immer die Stunts und Kampfszenen choreografiert. Er hat eine eigene Filmfirma in Hongkong, eine Zeichentrickserie für Kinder namens Jackie Chan Adventures und im Augenblick auch eine von 200 000 Bewerbungen überschwemmte Castingshow im chinesischen Fernsehen, bei der nicht Sänger oder Models gesucht werden, sondern – Kung-Fu-Kämpfer.

Seit 1983 ist Chan mit einer taiwanesischen Schauspielerin verheiratet, doch verbringt er wegen seines Filmpensums kaum Zeit mit seiner Frau und dem inzwischen erwachsenen Sohn Jaycee. Nach allem, was man weiß, zieht er die Arbeit jeder anderen Beschäftigung vor. »Ich muss einfach jeden Tag aufs Filmset gehen. Ich liebe es, die Kamera anzufassen, den Kamerawagen, die Scheinwerfer, all diese Dinge. Ich liebe es einfach. Als wir mit Rush Hour 3 fertig waren, riefen alle, jaaa, jetzt wird gefeiert!« Er rollt missbilligend mit den Augen. »Ich nicht! Ich habe am Tag darauf mit dem nächsten Film angefangen.«

Die Wurzeln seines Arbeitseifers wie seiner Kampfkunst liegen in einer Kindheit, die auch einer chinesischen Sage entstammen könnte – oder einem Roman von Charles Dickens. Jackie Chan wurde unter dem Namen Chan Kong-sang im April 1954 in Hongkong geboren, und seine Eltern waren so arm, dass sie erwogen, ihn direkt nach der Geburt an eine reiche Ärztin zu verkaufen. Als er sieben war, brachten sie ihn in die China Drama Academy von Meister Yu Jim-yuen, ein Internat, in dem einige Dutzend Jungen und Mädchen die ehrwürdige Kunst der Pekingoper erlernten. Chan blieb zehn Jahre in dieser Anstalt und unterzog sich dort einem Regiment, das heute als schwerste Kindesmisshandlung gelten würde.

Das Training begann jeden Morgen um fünf und ging bis Mitternacht. Die Schüler wurden in Kampfkunst, Akrobatik, Schauspiel und Gesang unterrichtet, wobei der Meister schon kleinste Fehler – einen wackeligen Handstand, einen ungenauen Kung-Fu-Tritt – unerbittlich mit dem Rohrstock bestrafte. Auch bei Disziplinlosigkeiten gab es Schläge. Kaum ein Tag in der China Drama Academy verging ohne Schmerz und Tränen, sodass die Schüler aus purer Überlebensnotwendigkeit mentale Mechanismen entwickeln mussten, um die Strenge ihres Daseins zu verkraften. Eine Lösung: Humor. »Wir haben die ganze Zeit herumgealbert«, erklärt Jackie Chan. »Wenn wir bestraft wurden, haben wir geweint. Und in der nächsten Minute schon wieder gelächelt. Das ist der Grund, warum ich so eine unbekümmerte Art habe.«

Als Chan mit 17 die Schule verließ, konnte er kaum lesen und schreiben, hatte dafür aber einen durchtrainierten Körper und meisterliche Fähigkeiten in Kampfkunst und Akrobatik. Er begann in der Filmindustrie von Hongkong als Stuntman zu arbeiten und suchte nach Gelegenheiten, sich einen Namen zu machen. Seine Chance kam, als für einen mittlerweile längst vergessenen Kung-Fu-Streifen jemand gesucht wurde, der rückwärts von einem Balkon fallen, sich in der Luft drehen und auf den Füßen landen konnte. Aus fünf Metern Höhe, ohne jegliche Absicherung. Chan war der Einzige, der sich diesen lebensgefährlichen Sturz zutraute, und als er ihn erfolgreich absolviert hatte, jubelten ihm die anderen Stuntmänner zu: »Lung Fu Mo Shi!«

In seiner Autobiografie erklärt Chan diesen Begriff: »Wörtlich bedeutet das ›Drachen Tiger‹ – potenzierte Kraft, potenzierte Stärke, potenzierte Tapferkeit. Wenn du ›Lung Fu Mo Shi‹ warst, hast du dem Leben ins Gesicht gelacht – und es dann in einem Stück verschluckt.« Dank der Bereitschaft, das zu wagen, was sich sonst niemand traut, kämpfte sich Jackie Chan vom kleinen Stuntman zum Topstar des Hongkong-Kinos empor – und schließlich zum globalen Filmidol. Der Sprung von einem 21-stöckigen Hochhaus in Jackie Chan ist Nobody, der Hubschrauberflug durch Kuala Lumpur in Police Story III, bei dem er unten an einer Strickleiter baumelte – in seinen spektakulärsten Filmmomenten hallt weiterhin das »Lung Fu Mo Shi« nach, das er einst als junger Stuntman verinnerlichte.

Der Durchbruch als Hauptdarsteller gelang Jackie Chan 1978 mit den Filmen Die Schlange im Schatten des Adlers und Drunken Master, vom deutschen Verleih mit dem Titel Sie nannten ihn Knochenbrecher verunziert. Hier war zum ersten Mal die für ihn typische Mischung aus Stunts, Humor und elegant choreografierten Kämpfen zu sehen. Was macht die Kung-Fu-Szenen in seinen Filmen nun so außergewöhnlich? Als er diese Frage hört, spannt er seinen kompakten Körper an, als müsse er einen Angreifer abwehren, und antwortet dann mit einer Performance, die mit Worten nur ungenügend wiedergegeben werden kann. »Oft sehe ich langweilige Actionszenen, das hört sich dann so an.« Er klatscht einen simplen Zweivierteltakt. »Bum-ba-bum-ba-bum-ba. Langweilig! Wie kann ich also Action unterhaltsam machen, einem Tanz ähnlich?« Und er beginnt, auf dem Sofa sitzend, eine Kampfszene im Stil von Jackie Chan vorzuspielen.

Blitzschnell boxt er in die Luft, täuscht an, duckt sich weg, lässt sich in die Kissen fallen. Und die Laute, die er dabei von sich gibt, verdeutlichen, wie wichtig der Rhythmus für seine Filmkunst ist. »Bababum – – pompom – bam bam – – ssssss.« Jetzt würde Glas zersplittern, eine Tür oder ein Tisch zu Bruch gehen. Er atmet zischend aus, sofort geht es weiter »Ha – bababap bababum.« Dann holt er Luft und erklärt: »Wenn ich eine Actionszene gestalte, ist das wie ein Tanz, wie Musik, wie Jazz. Und das Publikum merkt, meine Art von Action ist überhaupt nicht gewalttätig.«*

So hat Jackie Chan das Action-Genre in den Achtzigern neu erfunden. Wo vorher Geballer, Explosionen und derbe Prügeleien dominierten, brachte er Anmut, Schönheit und atemberaubende körperliche Kreativität ins Spiel. Bei vielen seiner Kampfszenen fliegen die Leiber mit der elastischen Schwerelosigkeit von Ballerinas durch die Luft, und die Choreografien, nach denen sich seine Kombattanten durch eine zu Bruch gehende Umgebung bewegen, sind von einem Tempo und einer Raffinesse, die es vorher nirgends zu sehen gab, nicht einmal im Musical. Bald stand sein Name synonym für ein ganzes Genre und in Hollywood erkannten diverse Kollegen in ihm einen der großen zeitgenössischen Filmautoren: Sylvester Stallone, Steven Spielberg und Quentin Tarantino gehören zu seinen Fans, und Brett Ratner, Regisseur der drei Rush Hour-Filme, nennt ihn den »absoluten Meister«.

Dennoch musste Jackie Chan 45 Jahre alt werden, bevor er in Hollywood auf die A-Liste gelangte. Dies geschah 1998, als Rush Hour 250 Millionen Dollar einspielte; seitdem hat er seinen Marktwert in einer Reihe von ähnlich gestrickten Actionkomödien bewiesen. Sein Erfolg ist dabei gegenläufig zum Trend in der US-Filmindustrie, deren Blockbuster mehr denn je von Tricks und Computereffekten geprägt sind – also allem, was Jackie Chan fremd ist. »Vor einigen Jahren habe ich richtig Angst bekommen«, gibt er zu. »Die Regisseure können heute aus jedem Schauspieler einen Superhelden wie Spiderman machen.« Er streckt die Arme über den Kopf, als wolle er durch die geöffnete Balkontür davonfliegen.

»Chochochochocho, weg bin ich. Keiner muss sich mehr weh tun, man braucht nur Computergrafik und bumm – fertig ist der Held. Ich habe keine Ahnung von Effekten, ich kann nur auf die traditionelle Art drehen, wie ich es gelernt habe. Bald bin ich weg vom Fenster, habe ich gedacht.« Tatsächlich ist das Gegenteil eingetreten: Der Boom des Effektkinos hat das Renommee eines ohne viele Tricks arbeitenden Performers wie Jackie Chan eher verstärkt. »Ich habe schnell gemerkt, dass es auch weiterhin genügend Leute gibt, die echte Action zu schätzen wissen«, sagt er und klingt dabei aufrichtig erleichtert.

Aber wie lange wird sein Körper noch in der Lage sein, Kampfszenen durchzustehen? Wie Jackie Chan sich die Zukunft vorstellt, verrät ein Blick auf die Filme, die er mit seiner eigenen Firma für den asiatischen Markt dreht, parallel zu seinen US-Produktionen. Hier versucht er gezielt, sein darstellerisches Spektrum zu erweitern: In New Police Story hatte er, ganz ohne witzige Momente, einen starken Auftritt als desillusionierter Polizist, und die im letzten Jahr ins Kino gekommene Action-Komödie Rob-B-Hood überzeugte auch durch eine klug in das Drehbuch eingearbeitete Vater-Sohn-Parabel. »Da steckt eine wahre Geschichte drin«, sagt Chan und lehnt sich zurück, in Erinnerung an all die einsamen Jahre in der Kung-Fu-Akademie. »Ich weiß, was es heißt, seine Eltern zu vermissen.«

Bis 2010 sei er ausgebucht, erzählt Chan dann noch und nennt eine lange Reihe von Filmprojekten, darunter nicht nur Actionstreifen. »Einmal möchte ich auch ein Dra-ma machen«, sagt er. »Nur mit Dialog, ohne Kämpfe. Einfach um zu sehen, ob das funktioniert.« Und dann guckt er schelmisch, als sei das folgende Bekenntnis sein kleines Geheimnis: »Ich möchte der Robert De Niro Asiens werden.«
Jackie Chans Karriere ist einzigartig in der Filmgeschichte: Geboren 1954 in Hongkong, wurde er zuerst zum größten Filmidol Asiens, dann zum Topstar in Hollywood. Inzwischen kennt und liebt das Publikum auf der ganzen Welt die für seine Filme typische Mischung aus Stunts, Kämpfen und körperbetonter Komik. Chan ist offizieller Botschafter von UNICEF und Ehrendoktor mehrerer Universitäten. Seit fast zwanzig Jahren engagiert er sich mit der Jackie-Chan-Stiftung für wohltätige Belange.