Sat.1 zeigt’s allen, was derzeit im deutschen Privatfernsehen möglich ist – und das ist mehr, als man bisher dachte. Ein Billigprogramm, das die fortgeschrittene Schwundstufe der TV-Unterhaltung markiert, kann man durchaus noch billiger produzieren. Die letzten Trash-Sendungen, die sich noch als »Nachrichtenmagazine« tarnen, kann man von einem Tag auf den anderen absetzen. Die Rendite, die auf manchen Sendeplätzen durch konsequentes Sparen schon auf vierzig Prozent geklettert war, kann man durch konsequentes Gar-nichts-mehr-Ausgeben auf hundert Prozent erhöhen. Und von den 270 Angestellten, die das alles bisher mit Ach und Krach bewältigt haben, sind anscheinend noch einmal 100 absolut überflüssig. Die alte Fernsehregel, wonach der Erfolg nichts mit Qualität zu tun hat, wird von den Sat.1-Managern damit neu definiert: Er hat nun auch nichts mehr mit Geldausgeben zu tun oder damit, dass irgendwer noch irgendwo arbeitet.

Warum das alles mit Sat.1 passiert, ist allerdings kein Zufall. Kein anderer Sender im deutschen Fernsehen hat so beharrlich, und letzten Endes erfolglos, nach einer eigenen Identität gesucht. Das fängt schon damit an, dass Sat.1 im Jahr 1984 zwar einen Tag vor RTL gestartet ist, es trotzdem aber schaffte, von Anfang an auf dem Image des ewigen Zweiten sitzen zu bleiben. Mit Chuzpe, Wiener Charme und einer starken Führung an der Spitze preschte RTL vor und knallte den Deutschen konsequent Tutti Frutti und Lederhosen-Sex vor die Nase. Sat.1, mit seiner verworrenen Eigentümer- und Führungsstruktur, wollte irgendwie etwas Besseres sein, musste aber nachziehen und machte dabei eine konsequent klägliche Figur – genau wie es auch Margarethe Schreinemakers immer gelang, noch eine Stufe ekliger zu sein als Hans Meiser. Die Lebenslüge verdichtet sich schließlich in der Figur Harald Schmidts, an dem ein paar Senderschefs, die sich ihre Würde bewahren wollten, beharrlich festhielten – ohne dass es gelang, daraus jemals ein geschlossenes Image zu formen. Am Ende war Sat.1 nur noch der Sender, auf dem Schmidt komischerweise immer noch lief – und als der dann auch noch ging, kamen die Heuschrecken des internationalen Mediengeschäfts und erledigten den Rest.

Bleibt die Frage, ob man darüber groß jammern muss. Ist es wirklich so schlimm, wenn nun ein großer deutscher Sender nach den Regeln eines Kapitalismus geführt wird, der noch den letzten Cent Profit aus der Sendeminute herausquetscht? Soll man wirklich überrascht sein, wenn nun auch hierzulande ein Programm vollständig in jene No-Budget-Ödnis abgleitet, die in den USA seit Jahrzehnten als »Daytime-TV« bekannt ist? Wenn einer ausreichenden Zahl der deutschen Zuschauer das alles zu schlecht wird, werden sie den Zappbutton oder den Aus-Knopf finden, den Prozess der Verblödung stoppen und eine Art rote Linie ziehen, die kein Senderchef bei der Programmgestaltung mehr unterschreiten darf. Das wäre der eine, positive Effekt.

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Was aber, wenn das nicht passiert? Wenn die Leidensfähigkeit der schweigenden Fernsehmehrheit noch lange nicht ausgereizt ist oder, schlimmer, wenn gar niemand merkt, dass er nach Ansicht der Kritiker eigentlich leiden sollte? Dann muss das, wie es das Beispiel Amerikas zeigt, auch keine umfassende Katastrophe sein.

In den USA gibt es nicht nur die schlechtesten, sondern auch die besten Fernsehsendungen der Welt. Hier wird mit kühler Berechnung an der Schmerzgrenze des Trash operiert, um neunzig Prozent der Sendezeit zu füllen – aber andererseits auch groß investiert, um ein paar wenige, weltweit verkäufliche Spitzenprodukte zu schaffen, die kein anderer Fernsehmarkt hervorbringen kann. Je weiter der allgemeine Standard sinkt, desto größer wird am Ende die Chance, dass ein paar Sendungen wirklich herausragen können, desto mehr wissen die anspruchsvolleren Zuschauer auch die wenigen Highlights der Qualität wieder zu würdigen. Sat.1 war immer ein Ort der Verwirrung und des Herumlavierens, das Programm mit dem halben Anspruch und dem halben Erfolg. Nun steuert der Sender entweder konsequent auf seine Vernichtung zu – oder aber auf ein neues, ziemlich klares Geschäftsmodell.

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