Der versteinerte Papst

Wie viel Gefühl erlaubt die Kirche ihm? Der oberste Hirte hat Schwierigkeiten, die Menschen zu erreichen - weil auch sein Lächeln nie seine Augen erreicht. Ein Porträt.

Sehen können wir ihn. Und wir können sehen, dass dieser Mann keinen anderen Job mehr machen könnte. So sehr ist dieser Papst der Papst. Aber genau darum ging es ja. Alle Sozialisierung. Jede Erfahrung und Prägung. Es gab immer nur die Kirche und die Hierarchie darin.

Es ist nicht anders als beim Militär. Sprechcodes und Bewegungsregeln erzwingen eine Persönlichkeit, die in Uniform gekleidet die Erfüllung der Tugenden repräsentiert. Zwar schaut die Show, die dieser Papst liefert, ein wenig angestrengt aus. Es blitzt ein Zug zum Läppischen auf, wenn altmodische Häubchen als Bekenntnis zu einer reaktionären Tradition vorgeführt werden. Dieser Papst hat aus gehorsamer Zurichtung nicht mehr genug Persönlichkeit übrig, die Show menschlich zu gestalten. Aber. Die Show gehört zur Pflicht. Die Pflicht ist im Gehorsam aufgehoben. Der Gehorsam erzwang ja auch die Annahme der Berufung in dieses höchste Amt.

Nirgends wird so viel über Gefühle gesprochen wie in der katholischen Kirche. Und nirgends sind Gefühle abwesender. Die Gefühle werden über das Gehorsamsgebot gebrochen und in die vorgeschriebenen Gefühle umgelenkt. So lange wird das gemacht, bis eine Person sich selbst nicht mehr spürt und ohne Widerstand folgen kann. Weil dieser Vorgang umso wirksamer ist, je früher im Leben die Katechisierung vorgenommen wird, deshalb geht es immer um die Kinder. Es ist eine Militarisierung der Seelen. Es ist eine Militarisierung des Lebenssinns. Und weil eine Person danach nichts mehr von sich wissen muss, weil das Wissen der Kirche sie ausfüllt. Deshalb sucht man bei diesem Papst auch vergeblich nach einer menschlichen Regung.

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Nach einer Regung, die sich auf eine Person zurückführen ließe, die von sich selber weiß. Dieser Papst ist nur Kirche. Aus dem Adenauer-Deutschland kommend. Verfolgungslos, unbefragt, unverletzt hat er sich zu Kirche zurichten können. Innerkirchlich wird er wahrscheinlich als elegant angesehen. Seine roten Schuhe waren sicher Tagesgespräch an den priesterlichen Tafeln. Uniformen sind eine der wenigen sinnlichen Spielereien, die sich Oberbefehlshaber leisten dürfen. Obwohl. Vielleicht will er es auch darin wieder nur besser als der andere machen.

Im Amt. Da, wo er mit dem Gehorsam über den Gehorsam bestimmt. Da gibt es keine roten Schühchen. Da gibt es keine Spielereien. Und weil eine so ausschließlich an der Kirche sozialisierte Person das Leben außerhalb verachten gelernt hat. Deshalb verachtet sie alles, was außerhalb geschieht. Dabei geht es dem Amt des Papstes um die Welt. Wenn in Europa eine Enttäuschung über diesen Papst spürbar wird, dann wird das Amt nicht sehr interessieren. Die europäischen Katholiken machen nur noch ein Viertel der päpstlichen Herde aus. Und. In Afrika kann man mit diesem vorurteilsstiftenden Gehorsam gut Politik machen. Kolonialisierung wiederum. Aber Mission ist ja nichts anderes.

(Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum der Papst sich nicht darum kümmern muss, ob er menschlich wirkt - oder doch eher linkisch.)

Die Kirche ist nicht demokratisch, und die Menschenrechte wurden im Kampf gegen sie formuliert. Die Kirche deklariert sich in jedem Gebet als verfolgte Minderheit und erlügt sich so die Kraft eines Widerstands, der dann in andere Kontinente getragen wird.

Wenn das Lächeln des Papstes nie seine Augen erreicht. Wenn nie der Eindruck einer Herzlichkeit aufkommt. Der Papst muss eben immer aufmerksam sein und über seinen Gehorsam den Gehorsam überhaupt kontrollieren. Der Teufel ist eine reale Existenz und lauert. Die Kirche ist immer im Krieg gegen ihn. Von der Kälte dieses Kriegs gibt es keinen Dispens. Dafür muss eine solche Person dann von nichts anderem eine
Ahnung haben.

Im Gebet, das der Papst die irische Kirche zu beten heißt. In diesem Gebet kommen die Opfer des Missbrauchs durch katholische Priester als für die Kirche ohnehin Verlorene nicht mehr vor. Für die Opfer sollen die Täter beten. Alle anderen beten für die Kirche. Für den Papst gibt es diese Opfer gar nicht. Das folgt der inneren Ökonomie der Herde und kennt kein Außen.

Der Papst muss sich darum auch nicht kümmern. Er lebt als Amt und zieht manchmal rote Schühchen an, und der Medienerfolg ist ihm sicher. Der Papst ist billiger Medieninhalt. Ihn wird es nicht einmal interessieren, dass er ein wenig linkisch wirkt. Ein wenig angestrengt im Menschlichen. Kalt eben. Er ist der Gehorsam selbst geworden und in der Unfehlbarkeit geborgen.

Dass das nur eine von mehr als einer Milliarde Personen sein kann. Dass das nur ein heterosexueller Mann sein kann, der diese Sexualität nicht lebt, aber allen anderen gebietet. Dass alle anderen Geschlechter ihn ausschließen würden. Das wird er sich nicht überlegen. Der Gehorsam verbietet das.

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"Meine Eltern knien noch nieder, wenn der Papst im Fernsehen den Segen spendet", sagt die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz, 59. Für sie selbst sei der Papst mittlerweile ein Wesen wie von einem anderen Stern geworden, das nichts mit ihrem Leben zu tun hat. "Das Schreiben über ihn war wie ein Besuch in einer fremd gewordenen Welt." Streeruwitz’ letzter Roman trägt den Titel Kreuzungen.

Foto: Contrasto / Laif