Die bösen Onkels

Lange dachten wir, der Feminismus hätte die Männer erzogen: zu zarteren, sensibleren, netteren Wesen. Und jetzt? Mixa. Ribéry. Kachelmann. Was wurde bloß aus dem Traum vom guten Mann?

Als der Feminismus noch Eier hatte, ließ er keinen Zweifel daran, was von Männern zu erwarten war: nichts. Ihr Sündenregister war schier endlos. Männer waren Egoisten, unfähig zu Liebe, Frieden, Zivilisation. Selbst beim Sex dachten sie immer nur an das eine – an ihre Macht. Über Gefühle, falls sie welche hatten, konnten sie nicht reden, und wenn ihnen doch einmal etwas naheging, hauten sie es entweder zu Klump oder suchten das Weite. Natürlich ohne ihren Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen.

Es dauerte nur ein halbes Lebensalter, bis diese Erzfeinde des Guten, Wahren und Schönen resozialisiert schienen. Als hätten sie nur darauf gewartet, ihr Mannsein abschütteln zu können, schabten sie sich den Brustpelz ab, gingen sie zur Ehetherapie mit, gaben über ihr Innenleben Auskunft, manchmal in regelrechten Wortstürzen. Abgesehen von den üblichen Irren in Nahost und Nordkorea gab es nicht einmal mehr in der Politik noch Bösewichte. Stattdessen bloß noch hibbelige Jungs wie Philipp Rösler und freundliche Herren wie Frank-Walter Steinmeier, bei denen man nie genau weiß, ob sie Macht nicht können oder nicht abkönnen. Selbst im Weißen Haus regiert jetzt ein Mann, der stets das Gute will und sich nicht davon verdrießen lässt, dass er von den Hinterwäldlern aus der Tea-Party-Bewegung als Wiedergänger von Hitler und Stalin verdammt wird, weil er den Amerikanern zu Krankenversicherungen verhelfen will. Man wusste nicht, wie sie es geschafft hatten, aber irgendwie waren die Männer so geworden, wie Frauen sie sich immer erträumt hatten: empfindsamer, ernsthafter, verantwortungsbewusster, nicht immer so vom Testosteron gepeitscht. Manche wittern darin eine Krise der Männlichkeit. Aber daraus spricht vermutlich nur die Langeweile einer Gesellschaft, der ein wenig das kerlige Spektakel zu fehlen begonnen hat.

Doch plötzlich zeigt sich: Vielleicht war das alles nur eine Illusion. Keine Woche in diesem Frühjahr, in der man sich nicht fragen musste, ob die Fundamentalfeministinnen mit ihrem Generalverdacht gegen Männer recht hatten, jenem Verdacht, dass in ausnahmslos jedem Mann, und mag er sich noch sehr als Lamm gebärden, ein Wolf steckt, vor dem man sich besser in Acht nimmt.

Meistgelesen diese Woche:

Es begann mit den Passionsgeschichten aus der katholischen Kirche. Sie handelten davon, wie Priester, Mönche, Gottesmänner sich an den ihnen anvertrauten Kindern vergriffen. Und beinahe ebenso schlimm wie die Untaten, von denen man erfuhr, kam einem vor, wie sie jahrelang gedeckt, verdrängt, geleugnet und verharmlost worden waren. Ohrfeigen wären seinerzeit durchaus üblich gewesen, doch er sei jederzeit zum Gespräch mit den von ihm Abgewatschten bereit, beteuerte der Bischof Mixa, ehe er zum Rücktrittsgesuch gedrängt wurde.

Es klang, wie ertappte Männer schon immer geklungen haben: unfähig zur Einfühlung in andere, talentiert im Selbstmitleid; und sehr erstaunt darüber, dass sich jemand so auf-regen konnte über etwas, was doch nur gut gemeint gewesen war. Auch Mixas Chef, der Heilige Vater, kommt einem dieser Tage oft so ungeschickt, ratlos und überfordert vor wie ein ganz normaler Durchschnittssünder. Wie kann es sein, fragt man sich, dass einer, der sein ganzes Leben lang studiert hat, wie Gnade, Güte, Demut beschaffen sind, sich so schlecht darauf versteht, die nötigen Zeichen zu setzen? Merkt er denn wirklich nicht, wie sehr er riskiert, dass seine Kirche für auch nur einen dieser Läden gehalten wird, denen das eigene Image am wichtigsten ist, nicht das Wohlergehen der Menschen?

Nur kurz konnte man sich damit beruhigen, es mit einem ganz speziellen Problem der katholischen Kirche zu tun zu haben. Dann begannen auch die Absolventen der weltlichen Odenwaldschule von ihren Kindheitserfahrungen zu berichten: wie sie von ihren fortschrittlichen Lehrern im Bett oder unter der Dusche besucht wurden oder zum Strip-Poker überredet, stell dich doch nicht so an, ist doch nichts dabei. Als die Schule erstmals davon erfuhr, es ist schon ein paar Jahre her, unternahm sie: nichts.

Und noch jetzt, da die Leidensgeschichten in den Zeitungen stehen, ergeht zusammen mit der öffentlichen Zerknirschtheit auch der Appell, der Reformpädagogik noch eine Chance zu geben. Dabei hat man aus all den vereinzelten Einzelfällen lauter Einzelner das Allgemeine doch schon gelernt: Man sollte sich auch von den gütigen, partnerschaftlichen, freundlichen Erziehern das Misstrauen besser nicht wegschmelzen lassen. Wenn ihnen danach ist, hält der pädagogische Eros sie ja doch nicht davon ab, einem Schützling ans Geschlechtsteil zu fassen.

(Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum uns die Verhaftung eines sympathischen Wettermanns und die außerehelichen Fehltritte eines Fußballstars leider nicht wirklich überraschen.)

Schließlich wurde auch der Wettermann verhaftet, der im Fernsehen immer so nett tapsig gewirkt hatte. Er habe sie vergewaltigt, wirft eine Frau ihm vor, die sich mit ihm jahrelang in einer Liebesbeziehung gewähnt hatte; schnell stellte sich heraus, dass es wohl einige gegeben haben muss, die das auch gedacht haben. Und aus Franck Ribéry, der vor jedem Fußballspiel die Augen schließt und zu Gott betet, wurde plötzlich ein Mann, der sich eine 17-Jährige zum Sex einfliegen hatte lassen und sich damit verteidigte, er hätte sie doch schon für 18 gehalten.

Wer die Zeitungen sehr genau las, der konnte auch auf die Geschichte Göran Lindbergs stoßen, vor seiner Pensionierung Polizeichef von Uppsala und Rektor der schwedischen Polizeiakademie. Der 63-Jährige war auf dem Weg zu einer 14-Jährigen verhaftet worden, mit der er sich im Internet verabredet hatte, mit einer Tasche voller Dildos. Mittlerweile haben sich neun Frauen gemeldet, die angeben, von Lindberg vergewaltigt worden zu sein, die Anklage lautet vorerst auf Vergewaltigung in zumindest vier Fällen, Vorbereitung auf Vergewaltigung von Minderjährigen, Kauf sexueller Dienste und Kuppelei.

Vor seiner Festnahme war der gute Mann immer ganz anders auffällig geworden: als Ehrenfeminist, der keine Gelegenheit ausließ, weibliche Chefs zu fordern und Vorträge gegen Frauenhandel und sexuellen Missbrauch zu halten, sogar vor den Vereinten Nationen.

Der Schrecken, den solche Geschichten auslösen, geht tief. Nicht nur, weil sie alle von Männern handeln, denen man nicht zugetraut hätte, was ihnen nun vorgeworfen wird. Sondern auch, weil man sich dabei ertappt, nicht ganz so überrascht zu sein, wie man es gern wäre. Natürlich ist einem als aufgeklärten Menschen die Unschuldsvermutung habituell geworden, aber als lebenserfahrener Mensch, auch das merkt man bei solchen Fällen, fällt einem auch die Schuldvermutung leichter, als sie sollte. Wie gut, dass es Gerichte gibt, die streng nach Faktenlage urteilen, denkt man.

Wenn man doch bloß nicht so sehr an der Idee hinge, dass es auch gute Männer gibt, ein paar jedenfalls, genügend von ihnen, die einem das Vertrauen geben könnten, vertrauen zu können. Wenn man Kinder in eine Schule gibt, will man schließlich nicht immer im Hinterkopf haben müssen, dass man auf der Hut sein sollte, auch bei denen, die es einem leicht machen, an sie zu glauben. Nur zu verständlich, dass jetzt wieder einmal die Ermahnungen losgehen, von den Einzelfällen bloß nicht aufs Ganze zu schließen. Als ob einen das Allgemeine über die Einzelfälle trösten könnte.

Und warum, fragt man sich, hört man eigentlich vergleichbare Einzelfallgeschichten fast nie über Frauen?

Am Ende hat der Feminismus ja doch recht gehabt, ehe er aus Erschöpfung milde wurde. Man kann keinem Mann über den Weg trauen, keinem einzigen, möglicherweise steckt in ihm der Teufel, man sieht es ihm nicht an. Vielleicht sollte man sich wieder den guten alten Misstrauensvorschuss angewöhnen, der längst aus der Mode gekommen ist. Wenn kleine Jungs moralische Vorbilder brauchen, könnten sie sich zur Not ja an ihre Mütter halten. Und falls die Männlichkeit noch weiter in die Krise gerät, weil uns die guten Männer abhanden kommen: na und?

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Peter Praschl, 50, empfiehlt einen Film, den sich Frauen besser nicht ansehen sollten, oder erst recht: In Neil LaButes In the Company of Men von 1996 (als DVD erhältlich) veranstalten zwei Büro-Würstchen einen Wettkampf. Wer von den beiden schafft es, die taube Sekretärin ins Bett zu bekommen? Die Waffen: Sensi-bilität, Einfühlungsvermögen, Neugierde, tiefes persönliches Interesse – also all die Tugenden, die den angeblich Neuen Mann ausmachen – und mit denen sich die altbekannten Schurken bestens panzern können. Virtuos inszeniert, sehr zynisch, sehr grausam. Und sehr aufschlussreich.