Vom Leben gezeichnet

Die Kritzeleien des Schotten David Shrigley wirken auf den ersten Blick naiv, auf den zweiten verraten sie, wie wir wirklich sind: böse und verlogen und dumm und hilflos - aber dabei wenigstens ziemlich lustig.


Abgehackte Köpfe, zerfetzte Leiber, missgebildete Kreaturen – man glaubt David Shrigley auf Anhieb, dass er als Junge besessen war von Gewalt. Besonders Hinrichtungen hatten es ihm angetan: »Ich hatte eine Figur namens Action Man, der habe ich, sooft es ging, den Kopf abgehackt und die Augen ausgekratzt«, erzählt er. »Den Kopf«, fügt er leise hinzu, »konnte man immer wieder zurück auf den Rumpf schrauben, das war natürlich praktisch.«

In der restlichen Zeit malte er. »Ich male, seit ich denken kann, spontan und schnell, eher skizzenartig, nur dass bei mir die Skizzen fertige Bilder sind.« Wenn Shrigley zeichnet, lässt er vor allem weg, zuerst die politische Korrektheit und den Anstand, danach alles, was er nicht braucht für die Botschaft oder den Witz – das Ergebnis sind Cartoons, Grafiken, Illustrationen, die grausam intelligent, grausam poetisch und grausam lustig sind, düstere Kommentare über den Zustand der Zivilisation, die den Betrachter mit den eigenen bösen Fantasien konfrontieren, mit den Tabus einer verlogenen Gesellschaft.

Wer seine Zeichnungen betrachtet, fühlt sich ertappt. Man erschrickt, ist erleichtert, dass es niemand bemerkt hat, tut so, als wäre nichts gewesen und macht weiter mit seinem kleinen, absurden Leben. Die Zeichnungen funktionieren wie ein Zauberspiegel, der den Betrachter für eine Sekunde mit seiner wahren Natur konfrontiert – ein Prozess, der funktioniert, gerade weil Shrigley mit begrenzter Technik hantiert, weil er denkt und malt wie ein Kind, klar, direkt, ohne Umwege, mit krudem, fast ungelenkem Strich. Wenn man ihn fragt, ob er auch wirklich malen kann, ein Porträt oder eine Landschaft, vielleicht mit Öl- oder Aquarellfarben, dann sagt er, »wahrscheinlich besser als Sie, aber auch nicht besonders gut«.

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Das muss auch der Grund gewesen sein, warum seine Professoren an der eher traditionell ausgerichteten Glasgow School of Art, die er von 1988 bis 1991 besuchte, nie so richtig zufrieden mit ihm waren. Er wurde zwar aufgenommen, aber nur, um anschließend umgekrempelt werden zu können. Die Arbeiten seien zu lustig, zu wenig künstlerisch, sie erinnerten an Cartoons, nicht an große Kunst des 20. Jahrhunderts.

Doch Shrigley ließ sich nicht irritieren, er machte weiter und verteilte auf Glasgows Straßen gelbe Post-it-Zettel mit der Aufschrift »Bitte geben Sie mir das nicht zurück, ich will es nicht mehr«. Selbst ein ziemlich mieses Abschlusszeugnis brachte ihn nicht von seinem Weg ab: »Ich bin ein fieser Kerl mit Humor«, sagt er von sich selbst, »und ob ich nun ein Künstler bin oder ein Zeichner, ist doch nur eine Frage der Definition.«

Sein Starrsinn hat ihn ziemlich weit gebracht: Längst wird David Shrigley von mehreren Galerien vertreten, unter anderem in London, New York,Berlin und Paris, seine Arbeiten werden in Museen gezeigt, seine Bücher in andere Sprachen übersetzt. Für die Popband Blur und den Sänger Bonnie »Prince« Billy hat er Musikvideos illustriert, in der Kunstwelt sind alle ganz verrückt nach seinem schwarzen Humor.

»Emotional«, sagt er, »fühle ich mich nicht als Teil des Kunstmarktes, finanziell schon, immerhin bezahlt er meine Miete.« Der britische Schriftsteller Will Self hat die Faszination für Shrigley so formuliert: »Nachdem man mehrere seiner Zeichnungen gesehen hat, scheint es keine andere Realität mehr zu geben als die von Shrigley beschriebene.« Es ist die Realität, in der wir leben.

Alle Abbildungen aus Äh...was machst du da eigentlich? The Essential David Shrigley. Das Buch erscheint im September im Eichborn Verlag.