Prinz Kitsch

An dem Berliner Modedesigner Harald Glööckler wirkt eigentlich alles zu grell, zu bunt und zu vulgär: die aufgespritzten Lippen und die Goldkettchen genauso wie seine Mode. "Schwaben-Versace" nennen ihn die Medien, und in der Pariser Modeszene kennt ihn kein Mensch. Trotzdem sollten wir uns an ihm ein Beispiel nehmen.

Natürlich hat er das Gefühl, in eine andere Zeit zu gehören, in das Rokoko oder das Barock, aber gerade sitzt Harald Glööckler auf einem weißen Billighocker und wartet. Gleich wird er bei MTV Home auftreten. Die Kamera schwenkt hin und her zwischen dem Moderator und einer jungen Frau mit kurzem Rock und riesigem Busen, von der man nicht weiß, welche Funktion sie hat.

Glööckler sitzt im Halbdunkel, als wäre er aus Versehen hierhergeraten. Ab und zu sucht er mit den Augen seinen Lebensgefährten Dieter, ein Mann um die
60, graue Haare, Bauchansatz. Treffen sich ihre Blicke, lächeln die beiden Männer. »Lass gut sein«, sagt dieser Blick. Ausgerechnet Harald Glööckler, der Mann mit den aufgespritzten Lippen und Ringen, so groß wie Bahlsen-Kekse, ist der normalste Typ der Welt: Er wirkt ein bisschen unsicher, ein bisschen skeptisch und ein bisschen stolz, dass er gleich im Fernsehen sein wird.

»Wie war ich?«, fragt Glööckler fünf Minuten später. »Alles wunderbar. Hast du gut gemacht«, sagt Dieter Schroth, der gleichzeitig sein Geschäftspartner ist. Die beiden sind seit 23 Jahren ein Paar, sie waren keine einzige Nacht getrennt voneinander. Glööckler wirkt unzufrieden. Er sagt es nicht, aber man spürt es. Er hätte sich gern unterhalten. Über Mode (»auch für fülligere Damen«), seine Philosophie (»Luxus muss erschwinglich sein«), über neue Projekte – die Marke Glööckler expandiert, er selbst ist erfolgreich auf Homeshopping-Kanälen in
Japan und England, gerade wird über eine Sendung in den USA verhandelt – aber das hat den Moderator alles nicht interessiert. Der wollte nur rumblödeln.

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Wieder mal war Harald Glööckler nicht als Designer gebucht worden, sondern als Kunstfigur, die man ausstellen kann wie einen seltenen Vogel. Die man auch auslachen kann, weil er so ulkig spricht, dieser Vogel. Ein großes Missverständnis: Glööckler mag kein großer Designer sein, aber er ist ein guter Geschäftsmann und ein faszinierender Mensch.

Harald Glööckler wird als Harald Glöckler in Zaisersweiher in der Nähe von Pforzheim geboren. Seine Eltern führen einen Gasthof. Sein Vater, ein gelernter Metzger, trinkt und schlägt seine Frau. Der Junge ist zart, in seinem Kinderzimmer hängt ein Poster von Marlene Dietrich, im Ort rufen sie »Schwuli« hinter ihm her. Glööckler ist 13 Jahre alt, da sieht er seine Mutter die Treppe nach unten fallen, gestoßen vom Vater, drei Tage später ist sie tot, mit 39.

Von nun an träumt sich das Kind fort aus Zaisersweiher, in seiner Fantasie ist es ein König, der die Menschen glücklich macht, vor allem die Frauen. Die will er
beschenken, auch die armen, auch die rundlichen, er will sie zu Prinzessinnen machen. Der kleine Harald wird süchtig nach Mode, nach Stoffen und Schönheit, wie sie sich ein Kleinbürger vorstellt: Alles muss glitzern und glänzen, überall Gold und Prunk und Pomp.

Er lernt Einzelhandelskaufmann bei Sämann, dem größten Modekaufhaus der Gegend, kündigt und gründet sein eigenes Label »Pompöös«. Er entwirft Kleidung, Möbel, Porzellan, die Firma läuft mal gut, mal schlecht, Glööckler wird bekannt, die Medien nennen ihn »Schwaben-Versace«, er darf im ZDF-Fernsehgarten, beim Promi-Dinner auf Vox und bei Let’s Dance als Juror auftreten, zuletzt verkauft er seine Mode via Teleshopping, »das ist die Zukunft«, sagte er. Jetzt hat er eine Biografie geschrieben. Titel: Harald Glööckler. Es ist ein rührendes Buch, weil es verblüffend ehrlich ist.

Es verschweigt nichts: nicht die provinzielle Herkunft, nicht die dunklen Stunden, nur das Alter des Autors. Einmal heißt es: »In unseren Laden kamen so prominente Leute wie Hartmut Engler«, das ist der Sänger von Pur. Der Satz ist ernst gemeint.

Glööckler teilt die Welt in zwei Hälften: Auf der einen Seite stehen die Schubladendenker und ängstlichen Spießer, auf der anderen die Künstler, die Träumer, die Kinder. Verbringt man ein paar Stunden mit ihm, fühlt man sich, als hätte Alice im Wunderland einen an die Hand genommen. Auf einmal wird die Welt größer. Und bunter. Im Grunde macht er im Jahr 2010, was die Romantiker vor 200 Jahren gefordert haben: Er romantisiert den Alltag, er verzaubert das Banale, er macht das Leben geheimnisvoll.

Sein Buch sollte in deutschen Jobcentern ausliegen. Es beschreibt einen Designer mit Goldschmuck, der mit der U-Bahn durch Berlin fährt, weil ein Auto gerade nicht drin ist. Es erzählt die Geschichte eines Menschen, der nicht das Notwendige, sondern das Unwahrscheinliche tut. Deutschland, das manchmal so klein und verzagt und konsensverliebt wirkt, braucht solche Menschen wie Harald Glööckler, weil sie dem Land geben, was es nicht hat: Mut zur Veränderung und Lust am Aufbruch.

Harald Glööckler sagt »tout le monde«, wenn er »jeder« meint, zwischen den Sätzen hüstelt er wie eine Diva, sein Penthouse in Berlin-Charlottenburg versammelt auf tausend Quadratmetern Leopardenstoffe, goldene Spiegel und Schlimmeres, aber spätestens wenn man auf der Dachterrasse steht und das hölzerne Vogelhäuschen sieht – er muss es in einem Baumarkt gekauft haben –, verzeiht man ihm alles.

Foto: Konrad R. Müller/ Gentur Focus