Die Filmkulisse

Mel Gibson, Richard Gere, Pier Paolo Pasolini – wer hat eigentlich noch nicht in Matera gedreht? Als Urlauber fühlt man sich in der italienischen Höhlenstadt auf jeden Fall so gut aufgehoben wie ein Star am Set.


Ort Ich liege unter Limonenschaum in einer Badewanne, die an ein aufgeschlagenes Ei erinnert. Hinter mir erleuchten Duftkerzen die 2500 Jahre alte Höhle, in der man barfuß zu einer modernen WC-Grotte laufen kann, mit Wänden aus gepressten Muscheln, von der Natur in Jahrtausenden löchrig erodiert. Über dem Bett ein Tonnengewölbe, auf der Matratze altes Leinen, das ein lang verstorbener Patrizier nicht benutzen wollte. Schränke? Fehlanzeige. Meine Höhlensuite gehört zu einem Höhlenhotel in der alten süditalienischen Felsenstadt Matera. Gegenüber vom Hotel, getrennt durch eine tiefe Schlucht, liegt das Plateau, auf dem Mel Gibson die Kreuzigungsszene in Die Passion Christi drehte. Gleich werde ich frühstücken in einer Jahrhunderte alten Felsenkirche, in der Krypta sitzend, Feigen- und Schokoladenkuchen essend, während das Ave Maria erklingt.

Umgebung Matera sieht von Weitem aus wie ein Kreuzfahrtschiff, das nach der Sintflut auf einem Felsplateau strandete. Viele Höhlen verfallen wildromantisch, andere wurden modernisiert: zu Hotels, Restaurants, Cafés, Ateliers, Schaugrotten. Die Stadt ist voller Filmkulissen: Pier Paolo Pasolini drehte die Geburt Christi in Das 1. Evangelium nach Matthäus. Richard Gere war hier König David. Insgesamt spielten 26 Filme in den »Sassi«, so nennen die Materaner ihre Stadtteile voller Höhlen mit den scheinbar darübergestapelten Häusern. Und die 15 Drehorte von Mel Gibsons Passion Christi wurden für Wallfahrten seiner Fans gekennzeichnet.

Gefahr Nur im Film.

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Touristen Tagsüber gönnen sich Gruppen von Japanern und Amerikanern historisch versierte Führer, abends und am Wochenende kommen die Italiener zum Essen, dazwischen Individualreisende, die sich zu Hause zur kreativen Szene zählen.

Beste Zeit Frühjahr und Herbst. Im Sommer knackt das Thermometer die 40 Grad. Das fühlt sich inmitten der Steinstadt noch heißer an, zumal es kaum Schatten spendende Bäume gibt. Im Winter fällt Schnee, aber gut renovierte Höhlen haben Heizung.

Geschichte Matera galt lange Zeit als Schandfleck Italiens, nachdem Carlo Levi in seinem Roman Christus kam nur bis Eboli die Zustände in den Höhlenwohnungen beschrieb: 20 000 Menschen ohne sanitäre Anlagen, neben ihren Tieren schlafend, gepeinigt von Malaria, Typhus und schweren Augenkrankheiten. 1958 wurden alle Höhlenbewohner enteignet und zwangsumgesiedelt. Erst in den Achtzigerjahren erkannte Italien seinen einmaligen Schatz: Matera ist seit der Jungsteinzeit besiedelt, gilt als eine der ältesten Städte der Welt. Unter anderem wegen eines raffinierten Regenwassersammelsystems gehört es seit 1993 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Seitdem dürfen einige Höhlenwohnungen wieder bewohnt werden, und einige stehen heute zum Verkauf. Die Kommune beteiligt sich zwar zu 50 Prozent an den Kosten der Restaurierung, aber die Bewerbungskriterien für Käufer sind undurchsichtig. Ende der Siebziger besetzten junge Leute eine Höhle und wohnen immer noch darin.

Übernachten Albergo Diffuso Sextantio »Le Grotte della Civita«, Sassi di Matera, www.sassidimatera.com, Via Civita, 28, 75100 Matera, Tel. 0039/835/33 27 44. 18 Zimmer bzw. Suiten, DZ für 275 Euro.

Essen In den Restaurants Materas gibt es lauter mir unbekannte Gerichte aus der bäuerlichen Küche, obwohl ich schon ein halbes Leben lang nach Italien fahre: knusprige Peperoncini, »Cruschc«, die im heißen Wind an den Häusern getrocknet, in Öl ausgebacken und wie Chips gegessen werden oder in Kichererbsenmus und Rührei – Aromaknaller auf der Zunge, mal süß, meistens scharf. Stockfisch schwimmt auf Auberginenpüree, ganz fest, überhaupt nicht versalzen. Mangold zu Saubohnenpüree – passt. Weitere Antipasti: Zwiebel- und Spinat-Brotbällchen, Fleisch- und Auberginenklößchen, scharfer Schinken und »Ricotta forte« aus Schafsmilch. Hauptgänge: Zichoriensuppe oder spezielle Nudeln wie die gekürzten Bandnudeln mit gekochten Kichererbsen und Trüffeln in reichlich Sauce. »Involtini«, deftige Fleischröllchen aus zartem Lamm, oder »Lucania«-Würste aus fein gemahlenem Fleisch und wilden Fenchelsamen vom Grill. Dazu kugelrunde Kartoffeln vom Spieß und nur mit Auszugsmehl gebackenes, knuspriges Brot. Und das in Italien!

Außerdem: Lammfleischstücke aus Tonamphoren mit Chili, Tomaten, Pecorino. Und Wildschwein, gegart in Balsamico. Der hiesige Wein dazu, vor allem der weiße, hat zwar eine seltsam modrig duftende Blume, aber sie entwickelt sich am Gaumen fein würzig. Und schmeckt noch zu den Dolci: honigsüßer Ricotta-Kuchen, Halbgefrorenes mit heißer Schokolade, Kekse mit Kichererbsen und Maroni drin, Calzone, gefüllt mit Zucker und Quark. Es ist zwar nicht so, dass man in fast jedes Restaurant gehen kann wie im Piemont, aber hier schmeckt’s: »Le Botteghe«, www.lebotteghemt.it, Piazza San Pietro Barisano, 22, Matera, Tel. 0039/835/34 40 72.

Anreise Per Flugzeug oder Zug nach Bari, dann in den Bummelzug nach Matera umsteigen oder sich für die restlichen 63 Kilometer ein Mietauto nehmen.

Bloß nicht spätnachts ankommen. Kein Schild, nur Kerzenschein weist den Weg ins Höhlenhotel. Fällt dann das Scheunentor unter dem einzigen rostigen Gitterfenster zu, wähnt man sich als nächstes Mordopfer in den Kulissen von Im Namen der Rose, Teil 2. Es dauert ein bisschen, bis man sich als Teil des Gesamtkunstwerks fühlt.

Unbedingt Wer die MUSMA-Schilder sieht, soll natürlich ans New Yorker MoMA denken. Weil die kleinen Pfeile an bröckelnden Ruinen hängen, denkt man: diese süditalienischen Angeber! Dann aber sieht man am Eingang der ersten Höhle Adam und Eva von Savero Todaro als kalkweiße Kinder mit Bergmannshelm und ist im Nu von der Bildhauer-Kunstsammlung überzeugt, sie reicht von Hans Arp über Piet Kroke und Pasquale Santoro bis Wilfred Zogbaum, allesamt große Namen. Musma: www.musma.it, Palazzo Pomarici, Via San Giacomo, 75100 Matera, tgl. ab 10 Uhr, montags geschlossen. Für 2019 kandidiert Matera als Kulturhauptstadt – vielversprechend!