Warum diese Überlänge?

Wenn wahre Geschichten des 20. Jahrhunderts verfilmt werden, scheinen 90 Minuten nie zu reichen.

Gestern kam Carlos - Der Schakal in die Kinos, ein Film über den Terroristen Ilich Ramírez Sánchez. Sein Vater war übrigens Marxist und nannte seine drei Söhne Wladimir, Ilich und Lenin. Man muss sich fragen, was er getan hätte, wenn einer der Söhne eine Tochter geworden wäre. Wladimir Ilich Lena? Jedenfalls dauert dieser Film fünfeinhalb, in der gekürzten Fassung drei Stunden.

Carlos - Der Schakal reiht sich damit ein in die eigentlich seltsame Tradition, dass Filme über tatsächliche Begebenheiten der jüngeren Weltgeschichte die Tendenz haben, außerordentlich lang zu sein. Che, ein Film über Che Guevara von Steven Soderbergh: viereinhalb Stunden. Der Baader-Meinhof-Komplex: zweieinhalb Stunden. Das sind ziemliche Happen Zeit, die da ins Land gehen! In dieser Zeit hätten Sie wahrscheinlich all die Sachen erledigt, die Sie schon seit Jahren vor sich herschieben. Die Bibliothek alphabetisch geordnet, Bankbelege sortiert, den einen Brief geschrieben, der schon so lange fällig ist, vielleicht noch kurz das Bad gestrichen, mal rechtzeitig die Steuererklärung ausgefüllt.

In unserer schnelllebigen Zeit, mit YouTube-Clips und Schnellschnell-Aktionismus, ist es eigentlich ein sympathischer Ansatz, den Menschen dermaßen zeitraubenden Eskapismus zu unterbreiten. Trotzdem drängen sich ein paar Fragen auf, was diese Neigung zur Überlänge angeht. Erstens: Was ist mit der typischen Filmlänge von 90 Minuten passiert? 90 Minuten, das ist eine gute Dauer. In 90 Minuten kann viel erzählt werden. Einen guten Film zu machen ist sowieso schon äußerst schwierig. Einen Film zu machen, der so dermaßen gut ist, dass ein Zuschauer drei, vier, fünf Stunden am Stück aufmerksam bei der Stange gehalten wird, ist eine Meisterleistung. Was gleichbedeutend ist mit: ganz schön selten. Kaum zu schaffen. Und zweitens: Warum sind ausgerechnet Filme, die sich an die Realität halten, so lang? Die Realität ist ja interessant, absolut, aber sie ist halt real. Das heißt: begrenzt.

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Wäre es - wenn überhaupt - nicht logischer, Filme, die sich in den endlosen Weiten der Fantasie bewegen können, besonders lang zu machen? Und vor allem: Gerade die Realität der jüngeren Geschichte ist ja auch unsere, der Zuschauer Realität - was bedeutet, dass wir uns schon damit auseinandergesetzt haben. Sprich: Alles schon bekannt! Zwei, drei, vier Stunden lang einen Film schauen, dessen Ende man schon kennt? Nun ja.

Fotos: Cinetext