Verbaute Zukunft

Eine Familie wird aus Deutschland zurück in den Kosovo geschickt – obwohl die Witwe mit ihren behinderten Söhnen dort keine Chance hat. Die Geschichte einer schrecklich korrekten Entscheidung.


Granit, 22 Jahre

Es gibt einen großen Traum im Leben von Granit Gjelaj: Er legt darin Stücke von frisch geschlachteten Hühnern in Plastikboxen. Mit Haarnetz, weißem Mantel und Gummihandschuhen steht er an einem Fließband, täglich von 14 bis 23 Uhr, Spätschicht in der Abteilung »Zerlegung 1«. Der Raum wäre kühl, nach ein paar Stunden würden ihm die Füße vom langen Stehen ein bisschen wehtun, im Hintergrund würde ein lokaler Radiosender laufen. Der 22-Jährige kann stundenlang davon erzählen: wie zuverlässig er arbeiten würde, dass er nie zu spät kommen würde und dass er sich seine knapp 1000 Euro Lohn gut einteilen würde. Auch wenn das Geld nie reichen könnte, um die Familie zu ernähren. Es hat auch damals nicht gereicht, als Granit noch jeden Tag dort am Fließband stand. Zwei Jahre ist das her. Je mehr Granit davon erzählt, desto weniger kann er sagen, was eigentlich so toll ist am Einpacken von Hühnerteilen. Er sagt nur immer wieder: »Ich würde alles dafür geben. Das auf jeden Fall.«

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Nun sitzt er im Garten vor einem Rohbau in Peja, der drittgrößten Stadt des Kosovo. Die Außenwände des Hauses sind unverputzt, die Fenster undicht, der erste Stock wurde nie fertig gebaut. Granit weiß, dass er nie wieder in die Nähe seines Traums kommen wird. Vor anderthalb Jahren musste er Deutschland verlassen. Seitdem steht
er jeden Tag spät auf und geht früh ins Bett. Und an schlechten Tagen denkt er dazwischen an nichts anderes als an früher, an seine 18 Jahre in Deutschland und die alte Wohnung im niedersächsischen Haselünne. Und immer wieder an die »Zerlegung 1«. Über den Kosovo spricht er fast nur in Wenn-Sätzen.

Wenn sein Vater noch leben würde. Wenn er wenigstens seine Ausbildung in Deutschland geschafft hätte. Wenn er hier Kontakte hätte. Oder: »Wenn ich gesund wäre, könnte ich Arbeit finden.« Granit hat von Geburt an nur eine Niere und eine Fehlstellung des Rückgrats. Er wirkt geduckt und hält den Kopf etwas nach links geneigt, als würde er ständig etwas zwischen Kinn und Schulter einklemmen. Um eine Hilfsarbeit auf einer Baustelle will er sich deshalb nicht bewerben. Er versucht es in Restaurants, Cafés und Läden, hat in der Brauerei und im Zementwerk nach Arbeit gefragt. »Sie sagen alle: Wir rufen Sie an.« Aber niemand meldet sich. Je nach Schätzung sind 40 bis 60 Prozent der Kosovaren ohne Arbeit.

Trim, 21 Jahre

Trim Gjelaj hat zwei Möglichkeiten. Er kann vor dem Computerbildschirm sitzen in dem kleinen, dunklen Zimmer, in dem er und sein Bruder Granit schlafen. Wenn er dort auf dem klapprigen Bürostuhl Platz nimmt, ist er »Albozz89«, der deutsch-albanische Rapper. Auf den Internetportalen MySpace und YouTube hat er seine Tracks hochgeladen. Verfremdete Fotos zeigen ihn in Gangsterpose, eine Kapuze über dem Kopf, im Hintergrund der Schriftzug »Albozz« in roten Lettern. Ein cooler, ein gesunder Junge. »Ich werde mir irgendwann noch einen Namen als Rapper machen«, sagt er und grinst. Wenn er lacht, sieht er ein bisschen spitzbübisch aus – und deutlich jünger als 21.

Trims zweite Möglichkeit ist der Platz auf der Couch im Wohnzimmer. Dort sitzt er oft den ganzen Tag und sieht deutsches Privatfernsehen. Zwischen Sofa und Computertisch gibt es für ihn nichts. Nur die Gefahr hinzufallen. Er braucht für die paar Meter durch den Gang mehrere Minuten und ist danach völlig außer Atem. Zitternd stellt er einen Fuß vor den anderen, während er sich mit beiden Händen an den Türrahmen und Wänden festhält. Dabei schwankt er ständig hin und her. Trim leidet an der Friedreich-Ataxie, ein seltener Gendefekt, der Gehirn und Rückenmark angreift. Bis 15 merkte er fast nichts davon. Dann ließ sein Gleichgewichtssinn nach, die Schritte wurden unsicher, er traf auf dem Fußballplatz den Ball nicht mehr. Seither verändert sich sein Körper, er wird bucklig, die Fußsohlen wölben sich, die großen Zehen neigen sich zur Seite. Mit 17 konnte er noch ein paar hundert Meter gehen, mit 18 sich noch ganz gut an einer Wand entlangtasten. In ein paar Jahren wird er nur noch liegen können – der Gleichgewichtssinn und die versteiften Gelenke werden das Sitzen nicht mehr erlauben. »Darauf hab ich so keinen Bock«, sagt er. Nach draußen geht er heute schon selten. Granit hilft ihm manchmal in den Rollstuhl, damit Trim im Garten in der Sonne sitzen kann. Auf die Straße? »Da schauen mich alle an, als wär ich ein Supertalent. Die überraschten Blicke der Passanten mag ich nicht.«

Die Krankheit ist nicht heilbar. Operationen an den Gelenken könnten die Verformungen etwas ausgleichen, Schuheinlagen könnten ein wenig beim Gehen helfen, regelmäßige Ergotherapie den Muskelschwund verlangsamen. All das ist im Kosovo teuer oder gar nicht zu bekommen. Vor ein paar Monaten haben italienische KFOR-Soldaten Trim in ein Krankenhaus in die Hauptstadt Pristina gebracht. Aus Mitleid. »Normal bringen die nur kleine Kinder zum Arzt«, sagt Trim. Die Ärzte wollten mittels Computertomografie sehen, wie weit sich sein Kleinhirn bereits zurückgebildet hat. Das hätte 200 Euro gekostet. Nicht zu machen. Mit dem Gehirn verändert sich auch die Sprache – sie wird dysarthrisch, wie die Ärzte sagen; viele halten Friedreich-Ataxie-Patienten wegen ihres schweren Zungenschlags für Betrunkene. Bei Trim klingt es ein bisschen, als hätte er den Mund beim Sprechen voll. Albozz89 fällt das Rappen immer schwerer.

Alban, 18 Jahre

Wenn Alban es zu bunt treibt, sagt sein Bruder Trim nur ein Wort: »Taxi«. Dann erstarren die Gesichtszüge des jüngsten Bruders, er schiebt seine Unterlippe beleidigt nach vorn. Und gibt Ruhe. Trim sagt es, wenn Alban sich selbst so lange an den Ohren zieht, bis sie rot zu glühen scheinen, wenn er wieder einmal minutenlang auf die Mädchen im Nachbarsgarten starrt oder wenn er am schweren Zaun steht und Passanten angrunzt. »Taxi« wirkt fast immer. Ein Taxi hat Alban in Deutschland in seine Betreuungseinrichtung gebracht, die Clemens-August-Heimstatt. Alle zwei Wochen kam er am Freitagabend für zwei Nächte nach Hause. Am Sonntag hat Trim dann das Taxi gerufen. »Der weiß ja nichts«, sagt der Bruder heute. »Der glaubt ja, er kommt vielleicht wieder weg.«

Worin genau die Ursachen für Albans »komplexe Mehrfachbehinderung mit schwerer geistiger Behinderung« liegen, konnten die Ärzte nicht feststellen. Er hat nie sprechen gelernt. Der kräftige Junge kann zischen, stöhnen und mit der Zunge schnalzen. Ein bestimmter Zischlaut bedeutet, dass er gern mit dem Zug fahren möchte, ein anderer, dass er Musik hören will. Er hat Gesten für »Bitte rasieren« und »Will haben«. Früher, wenn seine Mutter ihn lange im Arm gehalten und gestreichelt hat, machte er manchmal leise »babababa«. Im Kosovo hat er seine Stimme noch nie benutzt. Nun reißt er sich immer öfter selbst die Wimpern aus. Er zeigt dann seine geröteten Augenlider jedem in der Familie. Sein Blick sagt: Mir ist langweilig. Und seine Mutter sagt nur ratlos: »Alban.«

Im Garten läuft der Junge stundenlang im Kreis und wirkt dabei, als würde er angestrengt über etwas nachdenken. Seit der Vermieter den hohen Zaun aufgezogen hat, kann er wenigstens nicht mehr ausbüxen. Er steht nun oft am Zaun und läuft dort hin und her. Wie in einer Szene aus einem schlechten Comic tritt er auf die nach oben stehenden Zähne einer Gartenharke, die am Maschendrahtzaun lehnt. Der emporschnellende Stiel macht ein dumpfes Geräusch in Albans Gesicht. Er taumelt kurz und läuft dann zur Haustür, wo er die Schuhe seiner Brüder und seiner Mutter penibel genau parallel zueinander ausrichtet, bevor er ins Haus geht.

Die Prozesse

Im Archiv des Anwalts Michael Kolostori in Osnabrück nehmen die Akten zum Fall Gjelaj mehr als einen Meter Regalplatz ein. Im Landratsamt Emsland in Meppen lagern vier dicke Aktenordner. Ebenso viel liegt in den Kellern verschiedener Gerichte und Ämter. Es sind Bescheide, Gutachten, Urteile und Stellungnahmen, die sich vor allem um eine Frage drehen: Kann die Familie Gjelaj in Deutschland bleiben? Am Ende, nach 18 Jahren, zehn Asylanträgen und drei angesetzten und nie durchgeführten Abschiebungen steht ein rechtskräftiges Nein. Ein einziges Dokument hat den Aufenthalt der Gjelajs in Niedersachsen begründet: der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. August 1994, Aktenzeichen 1319034-138. Der zweijährige Alban bekam in Deutschland Asyl. Das war nichts anderes als Glück. Die Entscheidung fiel in einer kurzen Phase im Jahr 1994, als die Gerichte des Landes Niedersachsen Kosovo-Albaner pauschal als Verfolgte einstuften. Nur wenige Wochen später setzte das Bundesverfassungsgericht dieser Praxis ein Ende. Alban aber hatte seinen Bescheid. Und mit ihm durften die Brüder und die Mutter in Deutschland bleiben. Der Vater war damals bereits tot.

Danach sollte eigentlich das folgen, was Gesetzgeber und Behörden eine gelungene wirtschaftliche Integration nennen, das ist jener Faktor, der dafür ausschlaggebend ist, ob eine Familie, die nach vielen Jahren ihren Asylstatus verliert, trotzdem bleiben darf: Es geht um regelmäßigen Schulbesuch, abgeschlossene Ausbildungen, sichere Arbeitsstellen. Bei den Gjelajs klappte nichts davon. Als das Bundesamt im Jahr 2004 den zehn Jahre alten Asylbescheid aufhebt, ist Trim bereits erkrankt. Alban verstopft zu Hause immer wieder die Toilette und zerreißt seine Kleidung. Der Mutter ist die Situation längst über den Kopf gewachsen. In all den Jahren hat sie nur zwölf Monate in einem Altenheim als Aushilfe gejobbt, ansonsten Sozialhilfe bezogen.

Trim wird in der Schule gehänselt, weil er wegen seiner Friedreich-Ataxie bereits wankt wie ein Betrunkener. Er sammelt in einem Schuljahr 32 Fehltage. Vor Gericht kann die Mutter seine Zeugnisse nicht lückenlos vorlegen. Auch werde er es »voraussichtlich niemals schaffen, den Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit sicherstellen zu können«, teilt ihm der Landkreis in einem Brief mit. Integration sehe eben anders aus. Und dem Ältesten, Granit Gjelaj, nützt sein Job in der Geflügelfabrik nichts. Man findet einige Gramm Cannabis bei ihm, ein Gericht verurteilt ihn zu 200 Euro Geldstrafe. Wer kifft, hat sich nicht integriert.

Es gibt Richter, die die Abschiebung Behinderter und Kranker in den Kosovo aus humanitären Gründen verbieten, wenn sich deren Zustand dort erheblich verschlechtern würde. Bei Alban konnten die Richter in Osnabrück das nicht erkennen. Selbst wenn er ohne Betreuung und Therapie verkümmern sollte, würde er dort an derselben Behinderung leiden wie in Deutschland. Keine wesentliche Verschlechterung also. Für Trims Krankheit wurde dasselbe erkannt: Er wird an der Friedreich-Ataxie sterben, im Kosovo genau wie in Deutschland. Dass es mit ihm ohne seine Therapien schneller bergab gehen wird, bestreitet niemand. Ein Abschiebehindernis ist das aber nicht.

Die Mutter, die Nachbarn, der Vater

Die Mutter

Fata Gjelaj spricht nicht viel. Wenn die Familie am Couchtisch Nescafé trinkt, bleibt die 47-Jährige mit ihrer Tasse lieber in der Küche stehen. Sie kommt nur, um den Tisch feucht abzuwischen. Das macht sie beinahe im Minutentakt. Und lächelt dabei. Wenn sie etwas sagt, sind es Halbsätze in gebrochenem Deutsch. »Alles sehr schwierig hier«, sagt sie und lächelt. »Alban und Trim so krank.« Lächeln. Ihre weichen Gesichtszüge scheinen nur diesen Ausdruck zuzulassen. Später, wenn sie aus dem Raum ist, sagt Granit, dass er sie manchmal weinen sieht, wenn sie glaubt, sie sei allein.

»Alleinerziehende haben es hier ohnehin schwer«, sagt Schwester Donika vom Orden der Barmherzigen Schwestern. Die Nonnen wohnen und beten nur wenige Häuser von den Gjelajs entfernt. Sie helfen Bedürftigen, bringen Mahlzeiten, organisieren kostenlose Arztbesuche. Für Fata Gjelaj besorgen sie Medikamente: Thyroxin gegen ihre Schilddrüsenunterfunktion, Simvastatin, um die Cholesterin- und Blutfettwerte zu senken. Auf den Packungen steht »Unverkäufliches Muster«, auf Deutsch. »Die Frau ist sehr scheu«, sagt die Schwester. »Sie schämt sich.« Die 23-jährige Kosovarin schüttelt den Kopf. Die ersten sechs Monate nach der Rückkehr hätten die Schwestern nicht mitbekommen, dass eine Familie aus Deutschland hier eingezogen war. Irgendwann sei ihr dann dieser junge Mann aufgefallen, der im Garten im Kreis läuft.

Die Nachbarn

Man erzählt sich, Alban gehe auf Kinder los. Ein Mädchen soll er sogar gebissen haben. »Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber man hört es eben«, sagt eine junge Frau, die gerade dabei ist, ihre Hecke zu stutzen. Die Tore in ihrem Vorgarten bleiben sicherheitshalber geschlossen. »Mir tut die Familie ja leid. Aber ich habe Angst um meine Kinder«, sagt sie. Ähnliche Geschichten kann man von vielen Nachbarn hören. Alban klettere manchmal in fremde Vorgärten, er stehle dort Spielzeug und Gartengeräte. Einmal habe ihm ein Nachbar deswegen ins Gesicht geschlagen. Wenn er aus dem Garten kommt, rufen sich die Kinder in der ruhigen Wohnstraße gegenseitig zu: »Alban! Alban!« Das macht ihn nervös.

Seine Mutter nimmt ihn deshalb selten mit nach draußen. Manchmal schleicht der Junge ihr aber hinterher, wenn sie im kleinen Laden am Ende der Straße Brot holt, für 40 Cent der Laib. Er trommelt auf den gläsernen Deckel der Kühltruhe und macht dabei Zischlaute. Manchmal schenkt ihm der dicke Ladenbesitzer dann ein Eis am Stiel. »Gott hat diese Familie schon bestraft. Und jetzt tun das auch noch die Menschen«, sagt er. Die Mutter nimmt das Eis für Alban und lächelt. Ihr Sohn Granit maßregelt sie später: Wenn man dem Jungen Süßes gibt, dann wolle er doch nur mehr davon.

Der Vater

In den beiden bewohnbaren Zimmern hängt kein einziges Foto an der Wand. Die Mutter bewahrt einige Bilder von früher unsortiert in einem Kuvert auf dem Wohnzimmerschrank auf. Eines davon zeigt ihren Ehemann. Er blickt ernst, hat dunkle Haare und einen Schnurrbart. Die Söhne haben keine Erinnerung mehr an ihn.
Die Mutter spricht nicht gern über den Mann ihres Lebens. Sie war 28, als sie mit ihm gemeinsam alles hinter sich ließ. Ersan habe sich vor der serbischen Polizei versteckt und musste flüchten, erzählt sie. Ob er sich politisch engagiert hat, kann oder möchte sie nicht sagen. Aber als sein Sarg im Jahr 1993 aus Deutschland ausgeflogen wurde, hätten die Serben ihn noch am Flughafen öffnen lassen, um zu sehen, ob er wirklich tot sei. Das Ehepaar hatte zu der Zeit in einer leer stehenden Wohnung des Rentners Manfred Schneider im kleinen Weiler Rastdorf gelebt, der Ersan Gjelaj zufällig kennenlernte. »Ein sehr patenter Kerl war das«, sagt Schneider heute. »Wenn der noch wäre, dann wär’s nicht so weit gekommen.« In der Nacht zum 12. Dezember 1993 kam Ersan Gjelaj mit seinem Auto von der rutschigen Straße ab, der Wagen drehte sich um 90 Grad und prallte seitlich gegen einen Baum. Teile der Beifahrertür trafen den Fahrer am Kopf. Er war sofort tot.

Die freiwillige Rückkehr

Im November 2006 drohte der Landkreis Emsland der Familie Gjelaj zum ersten Mal die Abschiebung innerhalb eines Monats an. Erst zweieinhalb Jahre später mussten sie Deutschland endgültig verlassen. Dazwischen stehen die gescheiterten Versuche ihres Anwalts, ein Aufenthaltsrecht zu erwirken. Der Landkreis gab Fata Gjelaj 2007 im Rahmen einer »Integrationsvereinbarung« eine letzte Chance: Wenn sie binnen einiger Monate für sich selbst und ihre behinderten Kinder sorgen könnte, dürfe sie bleiben. Sie hat es nicht geschafft. Die Abschlussprüfung ihrer Umschulung zur Köchin war zu schwierig für sie. Als Aushilfe fand sie keinen Job. Im September 2008 wurde ein neuer Termin für die Abschiebung festgesetzt. Diesmal rechtskräftig. Weil die Familie letztlich ihrer Rückkehr zustimmte und damit eben nicht abgeschoben wurde, unterstützt das Sozialamt des Landkreises Emsland sie zwei Jahre lang mit monatlich 400 Euro. Nach einigen Monaten im Flüchtlingsheim Bramsche stiegen die Gjelajs im März 2009 am Flughafen Hannover in eine Air-Berlin-Maschine. Seitdem spielt Alban manchmal im Garten mit einer leeren Plastikflasche Flugzeug.

Die Zukunft

Das Holz für den Winter hat Granit bereits zusammen. Etwa zehn Festmeter in kleinen Scheiten hat er in den vergangenen Wochen an der Hausmauer aufgeschichtet. »Das war ganz schön Arbeit für meinen Rücken.« Zwei Wochen lang ist er jede Nacht mit dem Eselskarren und der Motorsäge eines Freundes in einen nahen Wald gefahren. Wenn im Garten Schnee liegt, werden seine beiden Brüder den ganzen Tag im einzigen beheizbaren Raum des Hauses sein. Trim wird vor dem Fernseher oder dem Computer sitzen, Alban wird im Kreis gehen. Wenn er nicht ins Freie kann, wird er aggressiv. Letzten Winter hat er den wehrlosen Trim in die Wade gebissen, nachdem der wieder einmal »Taxi« gesagt hatte. Granit war nicht schnell genug, um ihn zu stoppen. Den Gebissabdruck kann man heute noch an Trims dünnem Unterschenkel sehen.

Das Schwierigste kommt aber nach dem Winter. Granit fängt erst spätabends davon an, als die Familie in der warmen Spätsommernacht im Garten sitzt. Die Mutter ist da gerade mit ein paar benutzten Tellern ins Haus gegangen. Granit möchte nicht, dass sie sich aufregt. »Von März an haben wir die 400 Euro vom Landkreis nicht mehr. Ich weiß nicht, was dann sein wird.« Ihnen bleiben 80 Euro Sozialhilfe, die der Kosovo für die beiden behinderten Söhne zahlt. Mit einem Job könnte Granit vielleicht 150 Euro verdienen. Allein das Haus kostet 250 Euro Miete. Die Cousins und Cousinen, die manchmal zu Besuch kommen? »Die haben ja selber nichts«, sagt Granit. »Wären wir doch nur zu Hause.« Trim, der neben ihm im Rollstuhl sitzt, blickt nur kurz von dem tragbaren Videospiel auf seinen Knien hoch. »Das Leben geht auch dann irgendwie weiter, oder?«, sagt er und widmet sich wieder seinem Nintendo DS. Drinnen klappert die Mutter beim Abwaschen mit den Tellern. Nicht weit von ihr steht Alban im Türrahmen und knipst im Sekundentakt das Licht an und aus. Draußen sagt das Familienoberhaupt Granit nach langem Schweigen einen seiner Wenn-Sätze: »Wenn der Kosovo einmal zur EU kommen würde, dann könnten wir ja wieder zurück nach Deutschland. Diesmal würden wir es vielleicht schaffen.«

Fotos: Armin Smailovic