Die Gewissensfrage

Darf man sich über ein Schnäppchen auch dann freuen, wenn das Objekt der Begierde höchstwahrscheinlich falsch ausgezeichnet war?

»Ich habe lange nach einem bestimmten Gerät gesucht, das nur in Spezialgeschäften zu haben ist. Der Preis: um die 100 Euro. Dann fand ich es zufällig in einem Haushaltswarenladen, ausgezeichnet mit unglaublichen 45 Euro. Ich habe die Verkäuferin gefragt, ob der Preis wirklich stimme. Sie bejahte, schlug aber vor, den Chef zu holen, der sich in der Materie gut auskenne. Das lehnte ich ab – weil ich sicher war, dass es sich um einen Fehler handelte –, bezahlte und ging. Nun ist die Freude über das Schnäppchen verflogen, und ich zweifle. Was soll ich tun?« Jack K., Berlin

Schnäppchen. Wenn ich je einmal in die Verlegenheit kommen sollte, eine Liste moralisch suspekter Begriffe zu erstellen, Schnäppchen käme ganz weit nach oben. Zwar gibt es Fälle, in denen ihr Erjagen keine moralischen Bedenken hervorruft, dieser hier gehört jedoch leider nicht dazu.

Natürlich müssen viele auf jeden Cent achten, und natürlich kann man sich darüber freuen, wenn man etwas für 45 statt für 100 Euro be-kommt. Von der Differenz kann man nett essen gehen oder – noch besser – ein halbes Jahr lang die Freitags-SZ mit Magazin kaufen. Hier aber geht, wenn der Preis tatsächlich falsch war, die eigene Ersparnis nicht nur zu Lasten eines anderen, sie beruht 1:1 auf dessen Schaden.
Das kann auch die Rückfrage bei der Verkäuferin nicht wirklich verhindern. Diese ehrt Sie, und viele werden argumentieren, dass Sie damit mehr als genug getan haben. Das hält aber einer genaueren Betrachtung spätestens ab dem Zeitpunkt nicht mehr stand, zu dem Sie bemerkten, dass die Verkäuferin sich nicht auskannte und somit auch nicht die richtige Ansprechpartnerin war. Ab da konnte Sie die Vergewisserung bei ihr höchstens noch formal entlasten. Sie waren auch nach der Nachfrage davon überzeugt, dass es sich bei dem güns-tigen Preis höchstwahrscheinlich um einen Irrtum handelt. Und auch wenn es eindeutig Sache des Verkäufers ist, sich um eine korrekte Auszeichnung seiner Waren und die Kompetenz seines Personals zu kümmern, ändert es nichts daran: Das bewusste Ausnutzen eines Irrtums ist nicht richtig.

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Was tun? Das Einfachste scheint mir, im Geschäft anzurufen und den Sachverhalt zu klären. Vielleicht stimmte der Preis ja doch, weil es ein Abverkauf war oder der Händler eine besonders günstige Quelle hat. Dann können Sie sich doppelt erfreuen: am guten Gewissen und am Schnäppchen. Falls nicht, kann der Händler wenigstens seine Preisschilder korrigieren. Danach wird es allerdings haarig. Ich fände es in diesem Fall, sagen wir mal vorsichtig: schön, aber eigentlich auch richtig, wenn Sie anbieten, die Differenz nachzuzahlen oder das Gerät zurückzugeben – weil es Ihnen zum richtigen Preis zu teuer war. Vielleicht verzichtet der Händler ja auch darauf. Auf jeden Fall würde ich mich an Ihrer Stelle damit wohler fühlen.

Illustration: Marc Herold