Kirsten Heisig

Die Richterin aus Berlin wollte straffälligen Jugendlichen eine Perspektive bieten. Sie sah am Ende keine mehr für sich selbst.


In ihrem posthum erschienenen Buch »Das Ende der Geduld« schildert sie ihren beschwerlichen Kampf gegen Jugendgewalt. Ihre Klientel: Jugendliche, die klauen, dealen, schlagen, rauben und bei denen oft Monate zwischen Tat und Prozess vergehen. Jugendliche wie Tarkan L.

SZ-Magazin: Tarkan, du hast Kirsten Heisig als Richterin kennengelernt. Was hast du getan?
Tarkan L. : Ein Bekannter hat behauptet, ich hätte ihm sein Handy geklaut. Ich habe ihm gesagt: Du spinnst. Als ich weggehen wollte, hat er sich mir in den Weg gestellt. Da habe ich ihm ins Gesicht geschlagen und gegen den Solarplexus getreten.

War das deine erste Schlägerei?

Nein, ich bin jetzt 22 und hab schon viel Scheiße gebaut. Das hat angefangen mit 15, mit Zigarettenklauen. Wir haben gekifft und uns Gangsterfilme angeguckt: Menace II Society, Scarface. Irgendwann dachten wir, wir wären auch so. Na ja, dann haben wir Leute abgezogen. Den Typen, den ich geschlagen habe, kannte ich, weil ich mit ihm Sozialstunden ableisten musste. Die habe ich bekommen, weil mein Hund Tyson einem Fahrkartenkontrolleur in den Oberschenkel gebissen hat. Ich bin schwarzgefahren. Aber geschlagen habe ich mich für Neuköllner Verhältnisse eher selten.

Was hattest du für einen Eindruck von Kirsten Heisig?

Ich hatte gehört, dass man sie »Richterin Gnadenlos« nennt, aber zu mir war sie total nett. Sie hat gesehen, dass ich mich gut entwickelt habe: Ich war neun Monate bei der Bundeswehr und bin erwachsener geworden. Die Richterin hat mich nur zu fünf Stunden beim Schuldnerberater verurteilt, weil ich da ein paar tausend Euro Schulden hatte.

Eine der Forderungen von Kirsten Heisig lautete, dass jugendliche Straftäter schneller vor Gericht erscheinen müssen. Wie viel Zeit lag zwischen deiner Tat und dem Prozess?
Ein Jahr. Das war viel zu lang, da hat sie recht. Das Opfer ist zum Prozess gar nicht mehr gekommen.

Wen würdest du in deinem Leben als Autoritätsperson bezeichnen?

Vor der Richterin hatte ich schon Respekt. Ansonsten mein Onkel, der ist Kampfkünstler. Meine Eltern sind früh gestorben, bei meiner Mutter war ich zwei, bei meinem Vater zwölf. Sie war Deutsche, er Türke. Ich habe bei meinen türkischen Großeltern gelebt, kleine Wohnung im Rollbergviertel, Neukölln 44.

Und deine Lehrer?
Die haben sich gewünscht, dass ich nicht so oft komme. Die hatten Stress mit mir. Erst mit 18 hab ich meinen Hauptschulabschluss gemacht.

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Wie sieht dein Leben heute aus?
Das Urteil war im April, seitdem habe ich keine Scheiße mehr gemacht. Ich werde jetzt Vater. Meine Verlobte Nadja ist im fünften Monat schwanger. Sie ist erst 18, aber das klappt schon. Im nächsten Jahr kann ich vielleicht eine Ausbildung als Mediengestalter anfangen, zurzeit bekomme ich Hartz IV und helfe meinem Onkel, der hat ein türkisches Männercafé.

Wie hast du von Kirsten Heisigs Tod erfahren?

Ein Sozialarbeiter, den ich kenne, hat mich angerufen: Eine Freundin von ihm sei gestorben, ob ich nicht mit zur Trauerfeier kommen will. In der Kapelle habe ich ein Foto gesehen und gedacht: Die Frau kennst du doch. Das war schon traurig.

Foto: dpa