Warum diese öffentlichen Anträge?

Es gibt keine schönere Frage als diese: »Willst du mich heiraten?« Außer, sie wird vor Publikum gestellt.

Als mein Freund H. damals des Nachts mal wieder wach lag und nur an diese eine Frau denken konnte, nahm er einen Pinsel und einen Eimer Farbe und ging runter zum Fluss. Dort schrieb er in mannshohen Buchstaben an eine Wand: »Oh, Carlotta.« Carlotta konnte die Botschaft von der anderen Seite des Flusses lesen, aber sie hat so getan, als sei nichts, obwohl sie wissen
musste, wer das geschrieben hatte. Und H. konnte es ertragen, weil er einen Weg gefunden hatte, seine überbordenden Gefühle öffentlich zu machen, ohne Carlotta (und sich selbst) bloßzustellen. Damit unterscheidet er sich fundamental von Menschen, die andere mit einem öffentlichen Heiratsantrag überfallen.

Zuletzt war es die Fernseh-Moderatorin Monica Lierhaus, die ihren Freund im Fernsehen fragte, ob er sie heiraten wolle. Er hat zugesagt. Auf jedem Festival wie Rock am Ring findet sich eine Jana, die ihren Kai übers Bühnenmikro fragt, ob er ihr Mann werden will, in Fußballstadien halten Gerd, Frank und Peter vor 55 000 Zuschauern um die Hand von Doris, Inge und Sabine an. Im wirklich schlimmsten Fall kann so etwas übrigens aufs Fürchterlichste schiefgehen: In Spanien hat im Jahr 2007 eine Frau einen Heiratsantrag abgelehnt, den ihr Ex-Freund ihr in einer Fernsehshow auf Knien unterbreitete. Vier Tage später wurde sie mit durchschnittener Kehle gefunden.

Man kann das Handeln der öffentlichen Antragsteller mutig finden, weil ihre Liebe offenbar so groß ist, dass sie coram publico das Risiko der Zurückweisung eingehen. Aber ist nicht der öffentliche Heiratsantrag in Wahrheit die feige Variante, weil er die andere Person so offensichtlich in eine Zwangslage bringt? Wer hat schon die Nerven oder ist so ehrlich, vor Publikum zu sagen: »Spatzl, lass mich da noch mal ein bisschen drüber nachdenken, ja?« oder »Auch wenn du der letzte Mensch auf Erden wärst, die Antwort lautet: Nein.«

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Dem öffentlichen Antragsteller geht es in erster Linie um sich selbst und seinen Auftritt. Die andere Person spielt die Rolle des Statisten, der gefälligst Ja zu sagen hat, im Idealfall gerührt und geehrt. Der öffentliche Antrag, besonders der im Fernsehen, ist zutiefst egoistisch und eine Art Erpressung. Er ist zudem nicht nur dem Partner gegenüber eine Anmaßung. Er zwingt das Publikum dazu, an einem höchst privaten Vorgang teilzunehmen, der es nichts angeht und von dem es auch nichts wissen will. Oder doch? Der öffentliche Heiratsantrag ist so weit verbreitet, weil ungehemmter Exhibitionismus seine Wirkung erst entfaltet, wenn er auf kollektiven Voyeurismus trifft. Anders als die öffentliche Liebeserklärung, die nichts fragt, aber alles sagt: »Oh, Carlotta.«

Fotos: Getty, DPA