Anrufe im Nahen Osten und in Nordafrika – Iran

Sechs Länder, sechs Mal Chaos und Gewalt. Wie geht es jetzt den Menschen dort? Wir haben in jedem Land hundert Mal angerufen - irgendwo, irgendwelche Nummern, ganz zufällig: eine Sammlung unverfälschter Stimmen.

    Im Februar haben auch im Iran die Menschen demonstriert. Wieder einmal. Die Situation blieb stabil, die Proteste waren nicht so heftig wie im Juni 2009, als die sogenannte Grüne Bewegung gegen die Wiederwahl des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad mobil gemacht hat. Wir versuchen es zuerst in der Provinz und wählen die Vorwahl von Mazandaran am Kaspischen Meer.

    Eine Frau hebt ab.
    Haben Sie Zeit für ein paar Fragen?
    Ich hole meinen Mann.
    Nein, warten Sie, wir würden gern mit Ihnen sprechen. Verfolgen Sie die Nachrichten?
    Nein, wir schauen nicht fern. Wenn ich den Fernseher aufdrehe, sagt mein Mann immer, ich soll leiser drehen. Dann höre ich nichts und lasse es ganz bleiben.
    Haben Sie mitbekommen, dass Leute auf die Straße gegangen sind?
    Nein. Mein Mann nimmt mich ja nie mit nach draußen.
    Haben Sie Verwandte in Teheran?
    Ja, ja.
    Und was erzählen die?
    Ich weiß es nicht, ich rede nicht mit denen, das will mein Mann nicht, weil er sagt, dass Telefonieren so teuer ist.
    Das heißt, Sie haben gar nichts mitbekommen von den Protesten?
    Hören Sie mal, ich kann nicht mal lesen. Mit mir zu reden bringt nicht viel. Jetzt ist mein Mann da, er beantwortet bestimmt eure Fragen.
    (Sie reicht den Hörer weiter. Ihr Ehemann ist deutlich schweigsamer.)
    Wie geht es Ihnen?
    Ach, die üblichen Herzprobleme. Aber was soll man machen … Was wollen Sie denn von mir?
    Wir wüssten gern, wie sich die Lage im Iran entwickelt.
    Hier ist alles ruhig. Sonst noch was?
    Was machen Sie morgen?

    Morgengymnastik und dann zum Arzt.

    In Teheran erreichen wir einen älteren Herrn, der sich als Geschäftsmann vorstellt.
    Keiner hat das hier erwartet, dass die anderen Länder wie Dominosteine umfallen. Selbst die nationalen Medien berichten darüber. Gestern habe ich im Radio gehört, wie sie mit Gaddafi abrechnen. Es ist unglaublich.
    Wird es in Iran auch bald so weit sein?
    Die meisten Iraner fürchten ein Blutbad wie in Libyen, aber viele sehen auch die Erfolge in anderen Ländern. Vielleicht ist das unsere Chance. Vor ein paar Wochen hat sich die Grüne Bewegung wieder in Teheran versammelt.
    Die Proteste sind doch gleich niedergeschlagen worden.
    Ja, aber das Regime hat Angst vor den Grünen. Warum sonst fordern sie jetzt die Todesstrafe für die Oppositionsführer? Die Grüne Bewegung lebt. Sie lebt!
    Viele haben Angst, so offen am Telefon zu sprechen. Sie nicht?
    Ich bin ein alter Mann, was sollen sie mir noch anhaben?
    Haben Sie eine Botschaft an die Welt?
    Lasst uns nicht alleine, wenn es bei uns so weit ist. Steht uns zur Seite!

    Teheran, ein Mann meldet sich, er sagt, er sei Journalist.

    Natürlich sind wir neidisch, wenn wir sehen, was in anderen Ländern passiert. Aber wir hatten in den vergangenen hundert Jahren drei Revolutionen. Irgendwann reicht es. Unsere Bewegung ist nicht so wütend und traurig wie die in den arabischen Ländern. Bei uns wird es so schnell keine Revolution geben.
    Können Sie das genauer erklären?
    Die Grüne Bewegung ist ein Mittelschichtsphänomen, sie reicht nicht weiter als in ein paar Großstädte. Die Bewegung braucht mehr Zeit und mehr Leute für einen friedvollen Wechsel, keine Revolution. Was heute in den arabischen Ländern passiert, haben wir vor 32 Jahren erlebt.

    Als Nächstes versuchen wir es in der nördlichen Provinz Semnan. Ein Mann hebt ab.
    Hallo, wir rufen aus Deutschland an
    Warten Sie! Warten Sie! Er sagt zu jemandem im Hintergrund: Da rufen welche aus dem Ausland an! … Was wollen Sie?
    Wir wollen über die Ereignisse im Nahen Osten sprechen.

    Über Politik geben wir keine Auskunft. Dafür ist unsere Behörde nicht zuständig.
    Welche Behörde?

    Ja, wissen Sie denn nicht, wo Sie sind?
    Um ehrlich zu sein, haben wir eine zufällige Nummer gewählt.
    Was soll denn das? Wir geben ja nicht einmal einem gewöhnlichen Studenten Auskunft, wenn er hier reinkommt, ohne die entsprechende Bewilligung vom Ministerium.
    Welches Ministerium?
    Haha, das hätten Sie wohl gern, das sage ich Ihnen aber nicht!
    Wollen Sie uns denn vielleicht erzählen, was sich außerhalb Ihres Büros abspielt?
    Gar nichts. Holen Sie sich eine Genehmigung vom Ministerium, dann kann ich vielleicht Ihre Fragen beantworten.
    Welches Ministerium war das noch?

    Haha. Wie gesagt, ich kann Ihnen wirklich nicht helfen. Haben Sie noch einen schönen Tag.

    Meistgelesen diese Woche:

    Wir erreichen noch eine jugendlich klingende Frau auf ihrem Mobiltelefon.
    Ich weiß nicht, ob ich die geeignete Gesprächspartnerin für Sie bin.
    Warum denn?
    Mein Lifestyle entspricht nicht unbedingt dem eines Durchschnitts-Iraners. Ich arbeite nicht, ich gehe nicht aus, ich sitze nur zu Hause. Mein Leben spielt sich eher auf Facebook ab. Ich denke eigentlich nur noch daran, so schnell wie möglich das Land zu verlassen.
    Wohin wollen Sie denn?
    Europa, England oder Deutschland. Ich will Soziologie studieren oder Psychologie. Ich habe mich auch in Malaysia an Universitäten beworben, aber dort wurde ich abgelehnt.
    Haben Sie das Gefühl, dass sich in Iran bald etwas ändern wird?
    Nein, das braucht Zeit. Die Leute gehen nicht mehr auf die Straße. Sie erinnern sich noch zu gut daran, was nach den Präsidentschaftswahlen hier passiert ist, die Toten, die Eingesperrten, die Verprügelten.
    Was halten Sie von den Protesten in Ägypten und Libyen?

    Ich glaube ja, dass das von Amerika geplant war. Keiner kann mir erzählen, dass das aus heiterem Himmel passiert ist und dann auch noch funktioniert. Ohne Amerikas Hilfe hätte es keinen Umsturz in Ägypten gegeben. Aber das wird sowieso nichts mit der Demokratie in Ägypten.
    Wie meinen Sie das?

    Wir sind immer noch im Nahen Osten. Wir werden hier nie Demokratien wie in Europa oder Amerika haben. Bei uns mischen sich einfach immer zu viele Leute ein.

    Außer in Iran haben wir noch in folgenden Ländern angerufen:
    Libyen - "Niemand weiß, was morgen passieren wird"
    Ägypten - "Jetzt ändert sich alles"
    Marokko - "Ich bekomme viele Morddrohungen"
    Tunesien - "Wir können wieder Brot kaufen gehen"
    Jemen - "Das ist alles aus dem Westen gesteuert"


    Telefonate und Produktion: Ilhem Ajili, Christoph Cadenbach, Amr Elhadad, Max Fellmann, Ellhem Hysene, Solmaz Khorsand, Wolfgang Luef, Burhan Schawich, Anna Schmidhauser, Laura Selz,
    Hakan Tanriverdi, Zeidan Ali Zeidan

    Foto: afp